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Titos Erben und die Religionsgemeinschaften

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Rein äußerlich scheint alles in Ordnung. Als Tito ausgelitten hatte, schickten die Vertreter aller Religionsgemeinschaften des Vielvölkerstaates Ergebenheitsadressen und Beileidswünsche an das kollektive Führungsgremium. Der Erzbischof von Belgrad ordnete gar an, daß am Tage des Begräbnisses von Tito alle Glocken der katholischen Kirche der Save-Stadt zu läuten hätten. Das schloß sich nahtlos an den Aufruf des Zagreber Erzbi-schofs, der zum Gebet für Tito aufgefordert hatte, als dieser noch im Klinikzentrum Laibach seinen Todeskampf ausfocht.

Diese Fakten, von den Massenmedien Jugoslawiens und der offiziellen Nachrichtenagentur Tanjug auch eilfertig kolportiert, können nicht darüber hinwegtäuschen, daß Staat und kirchliche Gemeinschaften im Vielvölkerstaat nach wie vor im Clinch miteinander sind. Wenn sich die Religionsgemeinschaften Jugoslawiens der oben genannten protokollarischen Höflichkeiten entledigt haben, dann nur, um der vielleicht liberalsten Führer-Figur des Nach-Tito-Jugoslawien, Vladimir Ba-karic, entgegenzukommen.

Dieser hatte zu Beginn dieses Jahres gemeint: „Es ist unsinnig, die Kirche als religiöse Institution zu bekämpfen. Unser Kriterium sollte nicht sein, ob jemand Atheist ist oder nicht, sondern ob jemand den Sozialismus unterstützt oder nicht, ob jemand den Frieden unterstützt oder nicht.”

Aber wie Bakaric denken nicht viele in dem 27-Mann-Team, das nun in Partei- und Staatsapparat Nach-Tito-Jugoslawien verwaltet. Davon zeugen nicht zuletzt die Klagen und Konflikte der letzten Zeit.

Besonders schwerwiegend empfindet die katholische Kirche Jugoslawiens die „systematische atheistische Propaganda in den Massenmedien und in der Schule im besonderen.” Ganz deutlich hat dies erst zu Ostern Erzbischof Ku-haric von Zagrab ausgesprochen:

„Eine systematische Atheisierung ist in unserem Land in allen Sphären der Bildung und Erziehung gegenwärtig, vom Kindergarten bis zur Universität. Das ist ein Faktum. Es ist gar nicht notwendig, das zu prüfen. Dennoch sollten wir unaufhörlich wiederholen, daß dies eine Verletzung der Fundamentalen der gläubigen Eltern ist, wenn ihre Kinder in der atheistischen Ideologie erzogen werden und wenn dies alles in den Schulen getan wird, die doch das Eigentum des ganzen Volkes sind.”

Diese scharfe Äußerung führte zwei Wochen später zu einer Antwort des Zagreber Parteiblatts „Vjesnik”, in der allerdings ganz offen zugegeben wurde, daß es einer „der erklärten Ziele der sozialistischen Gesellschaft ist, ein atheistisches Schulsystem zu fördern und ein marxistisches und wissenschaftliches Verstehen der Welt und ihrer Phänomene zu fördern.”

Grund zur Klage gibt auch, daß Katholiken sich als Bürger zweiter Klasse, als „Proletarier des Sozialismus”, fühlen müssen, wie es der Laibacher Fundamentaltheologe France Rode formulierte. Tatsächlich ist es in Jugoslawien so, daß aktiven Gläubigen etwa der Zugang zu höheren Armee- oder Polizeidienststellen verwehrt ist; Lehrern wird abverlangt, sie hätten die Pflicht gegen die Religion zu sprechen:

„Denn”, so etwa eine Partei-Anweisung aus der Vojvodina, „niemand kann von uns bezahlt werden, wenn er sich nicht unserer Ideologie verpflichtet fühlt”.

Immer wieder werden auch Gläubige politisch verleumdet - im katholischen Kroatien als „Nationalisten”, in Slowenien als „Weißgardisten”.

Aber nicht nur mit der machtvollen katholischen Kirche, mit ihren sieben Millionen Gläubigen gibt es Konflikte, auch mit den rasch wachsenden Muselmanen (sie zählen derzeit etwa drei Millionen). So befand zwar eine Versammlung islamischer Mullahs Ende Mai in der Teilrepublik Bosnien/Herzegowina, daß die „Glaubensfreiheiten erfolgreich verwirklicht würden”. Gleichzeitig wurde jedoch von „Tanjug” gemeldet, man habe die Tätigkeit einer Zahl der ehemaligen Funktionäre der islamischen Gemeinschaft in dieser Teilrepublik verurteilt, weil sie „bezeugte Volksfeinde” waren.

Auch die Lutheraner und Reformierten in Jugoslawien, die sich im wesentlichen auf die slowakische und ungarische Minderheit verteilen, bleiben nicht verschont. So kritisierte die Partei, daß „die Reformierte Kirche die Praxis eingeführt hat, Kinder nach dem Gottesdienst durch Getränke und Speisen zu erfrischen”, was nach Auffassung des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens schon zu den unerlaubten Werbemethoden der Glaubensgemeinschaften zählt.

Wenig bekannt sind die immer wieder vorkommenden Schikanen und Urteile gegen Gläubige und Priester verschiedener Konfessionen - schuld daran sind meist übereifrige lokale Parteibonzen.

So wurde in Novi Sad ein Gerichtsverfahren gegen die Organisatoren einer Werbekampagne einer kleinen christlichen Gemeinschaft eingeleitet, weil Jugendliche auf der Straße ein Flugblatt mit dem Titel „Es ist später als du denkst” verteilt hatten.

In Subotica gründete ein Student eine christliche Jugendgruppe. Er wurde verhaftet, weil bei der Gründungsversammlung neben Holzkreuz und Transparent („Wir lieben die Liebe, nicht den Krieg”) auch die Staatsfahne gehangen war. Er wurde zu drei Jahren verurteilt, weil er dadurch „das Ansehen des Staates beleidigt” hatte.

Nun mag dieses kirchenpolitische Klima, das einerseits durch diese Klagen, Vorfälle, Repressionen, andererseits durch die „liberale” These von Bakaric und einer gewissen Loyalität der Glaubensgemeinschaften Jugoslawiens begrenzt ist, nicht das allerwichtigste Problem dieses Landes ohne Tito sein.

Bedeutungslos und ungefährlich sind diese schwelenden kirchenfeindlichen Tendenzen nicht:

Denn wenn etwa die Belgrader KP-Zeitung „Politika” der katholischen Kirche Sloweniens vorwirft, „sich zum Beschützer des slowenischen Volkes aufschwingen zu wollen”, rührt sie an die Fundamente der multinationalen Gesellschaft - eben an die „nationale Frage”. Was die Macht aller Kirchen und Glaubensgemeinschaften in Jugoslawien ausmacht, ist nämlich noch immer sehr wesentlich ihr enge Identifizierung mit der jeweiligen Nation, von der sie getragen werden. Ist die Nation in Gefahr, scharen sich alle um die Kirche - wie in Polen.

Daher ist der Versuch der Partei, die Kirche von den Nationen und Völkerschaften, die sie tragen, zu trennen, zwar vornehmlich ein Angriff auf die kirchliche Existenz, letztlich aber auch ein Angriff gegen den nationalen Zusammenhalt des Vielvölkerstaates.

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