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Titos Femostreise betont eine geschichtliche Wende

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Die „Normalisierung der Beziehungen“ zwischen Peking und Belgrad wurde mit Marschall Titos China-Besuch besiegelt; eine Normalisierung, die an einer interessanten Wende in der Geschichte des Weltkommunismus erfolgt ist und die Führungsrolle der UdSSR entscheidend in Frage gestellt hat. Titos besondere Anliegen waren in diesem Fall die Kooperation der Balkanländer, die Revitalisierung der Front blockfreier Länder, Probleme also, zu deren Lösung Jugoslawien Chinas Unterstützung kaum entbehren könnte. Im übrigen hatte Titos lange Reise auf Marco Polos Spuren quasi testamentarischen Charakter, denn die Uhr der Zeit tickt und tickt unaufhaltsam.

War die Reise des Marschalls nach Moskau eher höfliche Routine, der Flug nach Nordkorea eine weltpolitische Episode, so scheint sein Besuch in Peking eine hohe staatspolitische Angelegenheit mit breiter internationaler Auswirkung gewesen zu sein. Zwischen Belgrad und Pyöngyang gibt es keinerlei strittige Probleme, die Beziehungen haben sich seit dem Besuch des nordkoreanischen Präsidenten Kim Il-sung in Jugoslawien vom Juni 1975 immer mehr konsolidiert Tito reiste jetzt zum erstenmal nach Nordkorea, wobei im voraus betont wurde, daß die Ansichten beider Länder über die internationale Politik fast identisch seien. Für Belgrad besonders wichtig ist dabei der Umstand, daß die Nordkoreaner ihren Sozialismus unter spezifischen Bedingungen aufgebaut und dafür einen nationalen „eigenen Weg“ gewählt haben. Nach Belgrader Auffassung tendiert Nordkorea unmißverständlich zu einer Politik der Blockfreiheit. Tito ging mit der Absicht nach Pyöngyang, die unabhängige Politik Nordkoreas sowohl innerhalb der weltkommunistischen Bewegung, als auch im Hinblick auf Sowjeteuropa zu ermutigen und zu bestärken. Die China-Politik Jugoslawiens war bis dahin voll der dramatischen Wendungen. Schon vier Tage nach der Ausrufung der Volksrepublik China im Jahre 1949 erfolgte die . formelle Anerkennung durch Belgrad. Die Chinesen, von Stalin inspiriert, zeigten Tito damals die kalte Schulter. Nach der russisch-jugoslawischen Versöhnung im Jahr 1955 hinwiederum benützten die Chinesen Jugoslawien an Stelle der UdSSR als Prügelknaben. In den sechziger Jahren gab es dann zahlreiche heftige chinesische Angriffe gegen Jugoslawien. Im Jahre 1963 erschien in Peking ein Pamphlet unter dem Titel: „Ist Jugoslawien ein sozialistisches Land?“ Auf dem Höhepunkt der chinesischen „Kulturrevolution“, im Februar 1967 also, fanden nahezu täglich Demonstrationen gegen Jugoslawien statt Die chinesisch-jugoslawischen Beziehungen reduzierten sich auf den protokollarischen Austausch von stereotypen Glückwunschtelegrammen an Staatsfeiertagen. Das Jahr 1969 brachte schließlich die Wende und ein Normalisierungsprozeß setzte ein. Den Ausschlag hiefür gab dazu der sowjeteuropäische Überfall auf die Tschechoslowakei im August 1968. Die Aggressivität der Sowjetunion wurde zum Motor der chinesisch-jugoslawischen Annäherung. Auch zwischen Belgrad und Tirana wurde die Diskussion versöhnlicher. Im Frühjahr 1970 vereinbarten China und Jugoslawien den Austausch von Botschaftern. 1971 besuchte Titos Außenminister Mirko Tepavac Peking, wo er von Tschu En- lai demonstrativ herzlich empfangen wurde.

Dann wurden Partei- und Staatsführer, Diplomaten, Wirtschaftsexperten und Generäle beider Mächte förmlich vom Reisefieber gepackt. Die große BesuchsWelle nahm ihren Anfang. Im Dezember 1974 kam der Stellvertretende Außenminister Yu Chan auf vier ‘tage nach Belgrad im Oktober 1975 begab sich Jugoslawiens Ministerpräsident, Džemai Bįjedič für eine ganze Woche nach China und lud den stellvertretenden Präsidenten Teng Hsiao-ping nach Belgrad ein. Politbüro-Mitglied und Vizepräsident des Volkskongresses Saifudin führte eine Delegation hoher chinesischer Funk tionäre nach Jugoslawien. Sie blieben dort 11 Tage lang und wurden von Marschall Tito empfangen. Die Notwendigkeit „freundschaftlicher Kontakte auf allen Ebenen“ wurde dabei mehr als einmal betont. Die jugoslawischen Massenmedien sangen während dieser Tage und nachher wahre Lobeshymnen auf Saifudin und natürlich auch auf China. Betont wurde, daß Saifudin Belgrads Lösung der Nationalitätenprobleme „im Geiste der marxistischen Prinzipien“ bewundernd anerkannt habe. Saifudin überbrachte damals Tito eine formelle Einladung nach Peking und zugleich wurde die Traktandenliste für Titos Besuch vereinbart: Erneuerung und Vertiefung der Beziehungen zwischen beiden kommunistischen Parteien. (Daß dadurch Titos persönliches Prestige erhöht und seine Bewegungsfreiheit gegenüber den Blockfreien erweitert wurde, ist klar.) Ferner das Problem des Eurokommunismus, mit besonderer Rücksicht darauf, daß dieses Phänomen auch schon innerhalb der kommunistischen Partei Japans Fuß gefaßt hat. Zur Sprache kommen sollte des weiteren die Politik der Bündnisfreiheit und Chinas Einstellung ihr gegenüber; Peking bezeugt nämlich steigendes Interesse für die Aktivitäten dieser Bewegung, deren letzte internationale Konferenz 1976 in Colombo’ stattfand. Die wachsende Zahl neuer radikaler Staaten, sowohl unter den Blockfreien, als auch in der UNO und der sowjetische Einfluß galten für Peking und Belgrad gleichermaßen als wichtiger Gesprächspunkt, der auch die verschiedenen Einsätze der „kubanischen Fremdenlegion“ durch Moskau in bündnisfreien Ländern umfaßte, Aktionen Moskaus also, die den Blockfreien gefährlich werden und Titos Führungsrolle in Frage stellen könnten. China engagiert sich dabei immer deutlicher für eine block freie Strategie, was von Belgrad begrüßt wird, da die chinesische „Drei- Welten“-Theorie eine bündnisfreie Strategie zweifellos fördert.

Auf der Traktandenliste stand außerdem die Kooperation der Balkanländer - für Jugoslawien eine Frage des Überlebens und für Peking nicht weniger wichtig; schon im Oktober 1974 hatte China wissen lassen, daß „die Balkanhalbinsel den Balkanvöl- kem gehört und das Balkanproblem nur durch die Völker des Balkans gelöst werden kann“. Peking tritt für eine multilaterale Zusammenarbeit in dieser Region im Geiste des griechischen Ministerpräsidenten Karaman- lis ein, der im Jahre 1976 auf der Balkankonferenz seine diesbezüglichen Vorstellungen definiert hat. Die Position Albaniens schließlich, des bisher engsten Verbündeten Chinas in Europa, ist wegen der albanischen Kritik am „neuen Kurs“ Pekings kritisch geworden; ein Gedankenaustausch über Albanien, ohne Vorgriff auf irgendwelche entscheidenden Beschlüsse, war somit höchst aktuell geworden.

Der Zeitpunkt des Tito-Besuchs war für beide Teile insofern äußerst günstig als Hua Kuo-fengs Team seine Führungsposition inzwischen fertigen konnte und im Begriffe steht, weltpolitisch eine noch aktivere Rolle zu spielen als bisher. Breschnjew dürfte unterdessen einige schlaflose Nächte gehabt haben. Nicht nur, daß die russischen Dissidenten nicht mundtot zu machen sind und daß die Eurokommunisten sich in Westeuropa breitmachen, sorgen nun auch Peking und Belgrad für neue Aufregung. Die bisher gelungene Verstärkung des russischen Einflusses in Afrika ist ein schwacher Trost für den „Woschd“, der auch im Mittleren Osten immer mehr zurückweichen muß.

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