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„Titos gute alte Zeit”

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Titos fünfter Todestag, die Feierlichkeiten zum Sieg der Tito-Armeen im Zweiten Weltkrieg und der kommunistischen Revolution in Jugoslawien stehen ganz im Zeichen des überragenden Josip Broz.

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Titos fünfter Todestag, die Feierlichkeiten zum Sieg der Tito-Armeen im Zweiten Weltkrieg und der kommunistischen Revolution in Jugoslawien stehen ganz im Zeichen des überragenden Josip Broz.

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Unvermindert wird der Marschall Jugoslawiens verehrt, auf den als Symbol der Einheit des Vielvölkerstaates nicht verzichtet werden kann; selbst nicht als Symbol der Einheit des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens, die von seinem Nachfolgekollektiven beschworen wird. Von einer Ent-Titoisierung kann in Jugoslawien kaum die Rede sein.

Vereinzelte kritische Stimmen und Enthüllungen einst prominenter Mitstreiter über Fehlentscheidungen und menschliche Schwächen Titos, ja auch Vorwürfe , die sozialistische Entwicklung abgebogen und in eine unumschränkte persönliche Herrschaft entartet zu haben, verhallen wirkungslos. Im Gegenteil: Mit dem zeitlichen Abstand nimmt die Verklärung zu, und nicht selten wird die „gute alte Zeit” mit einer starken Persönlichkeit an der Spitze Jugoslawiens herbeigesehnt.

Die Führungsschwächen und Ratlosigkeit der Nachfolgekollektive, die mit den anstehenden Problemen nicht fertig werden und auch Kreativität oder Flexibilität vermissen lassen, fördern diese Stimmung. Daß sie von manchen Lobbyisten und Anhängern einer Politik der harten Hand in den höchsten Führungsgremien sogar zielstrebig gefördert wird, ist nicht von der Hand zu weisen.

Anders ist die Obstruktion von Beschlüssen des Zentralkomitees des BdKJ und den ZKs der sechs Teilrepubliken und zwei autonomen Provinzen nicht erklärbar. Auf die gleiche Weise wird das harte Austerity-Programm der Bundesregierung durchlöchert, was im Alltag Jugoslawiens schmerzhaft spürbar ist.

Nahezu um ein Drittel ist der Lebensstandard in Jugoslawien gesunken, die Kaufkraft des Dinar wird von einer galoppierenden Inflation dahingerafft - 50,2 Prozent 1983, 54 Prozent 1984 und bald 60 Prozent in den ersten vier Monaten dieses Jahres. Eine Million Arbeitslose sind ohne Hoffnung, Dutzende von. Großbetrieben stehen vor der Pleite, die Verschuldung des Staates hat die Rekordhöhe von 24 Milliarden US-Dollar erreicht. Sie belastet die junge Generation über die Jahrtausendwende hinaus, weshalb die tiefe Ernüchterung der Jugend, ihr Abseitsstehen, ja kaum zu übersehendes Mißtrauen und Vorwürfe an die überalterte Führungsschicht, zum brennenden Problem Jugoslawiens wird.

Die Hoffnung auf Besserung in absehbarer Zeit ist gering. Jeder versucht, mit den Sorgen fertig zu werden wie er kann. Was für den einzelnen gilt, gilt für die Wirtschaft, Gemeinden und Republiken mit entsprechend potenzierten Konsequenzen. Aktive, noch zu motivierende junge Führungsaspiranten, werden durch die Altersstarrheit der Sesselkleber entmutigt.

Die Partei und die herrschende

Ideologie stecken in ihrer tiefsten Krise seit Bestand des sozialistischen Jugoslawien. Dieses Eingeständnis legen höchste Staatsund Parteiführer öffentlich ab, was noch vor wenigen Jahren undenkbar gewesen wäre. Der Abrutsch der Parteigötter vom leninistischen Olymp ist als Demokratisierungsprozeß durchaus begrüßenswert, öffnet aber ein Vakuum, das in einem Einparteienstaat Gefahren birgt.

Es fehlt das Regulativ einer Opposition, und es fehlt an Impulsen zu einer Adaptierung des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus an die Erfordernisse unserer Zeit. Schüchterne Ansätze zu kosmetischen Korrekturen an der Arbeiterselbstverwaltung, an der Verfassung 1974, mit der Tito die Gleichheit aller Republiken und Provinzen in der Föderation sicherte, und am kurzen Rotationsturnus der Kader scheinen zuwenig.

Der Widerspruch zwischen dem immer wieder betonten Machtanspruch der marxistisch-leninistischen Ideologie, dem Führungsanspruch des demokratischen Zentralismus und die Suche nach einem Freiraum für die Marktwirtschaft in einem Plansystem, selbst einem so locker gehandhabten wie dem jugoslawischen, scheinen unlösbar.

Parteiideologen witzeln über eine Quadratur des Kreises. Das Lachen ist im fünften Jahre nach dem Tode Titos vielen vergangen. Unbehagen und Unruhe macht sich breit, längst überwunden geglaubte politische Strömungen

Tito-Begräbnis vor fünf Jahren: Verklärung nimmt zu (Votava) geben von Slowenien bis Mazedonien kräftige Lebenszeichen von sich.

Die Justizmaschinerie wird im Kosovo und in Kroatien, gegen kritische Intellektuelle in Serbien und Andersdenkende in Bosnien sichtlich überstrapaziert. Die Risse quer durch die Nationen, Nationalitäten und gesellschaftlichen Schichten werden tiefer und zahlreicher.

Was mit den äußeren Gegnern aus politischer Vernunft möglich war, bleibt den vormaligen Gegnern im Innern versagt. Das Ausbleiben der inneren Versöhnung 40 Jahre nach dem Kriege ist das eigentliche Kardinalproblem Jugoslawiens. Die Mahner stoßen bei der „neuen Klasse” auf hochmütige Ablehnung, ja teils ernten sie blanken Hohn. Fünf Jahre nach Titos Tod läuft Jugoslawien weiter aus dem Steuer.

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