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Titos Solschemzyn

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Nichts ist so signiiikąnt für die Unsicherheit des Belgrader Regimes in ideologischen Fragen wie der Prozeß gegen den weltbekannten jugoslawischen Schriftsteller russischer Abstammung, Mihajlo Mihajlov, der letzte Woche angelaufen ist. Wegen „Verbreitung feindlicher Propoganda“ und „staatsfeindlicher Aktivität“ drohen dem Literaten unter Umständen zwQlf Jahre Zuchthaus und anschließend Arbeitslager.

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Nichts ist so signiiikąnt für die Unsicherheit des Belgrader Regimes in ideologischen Fragen wie der Prozeß gegen den weltbekannten jugoslawischen Schriftsteller russischer Abstammung, Mihajlo Mihajlov, der letzte Woche angelaufen ist. Wegen „Verbreitung feindlicher Propoganda“ und „staatsfeindlicher Aktivität“ drohen dem Literaten unter Umständen zwQlf Jahre Zuchthaus und anschließend Arbeitslager.

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Der 40jährige Schriftsteller und Universitätsdozent war bereits am 7. Oktober des Vorjahres verhaftet und im Bezirksgericht von Novi Sad (der Hauptstadt der Provinz Vojvodina) verhört worden. Unmittelbarer Anlaß der Verhaftung war die Veröffentlichung von fünf Artikeln in den russischen Emigrantenzeitungen „Posew“ in Frankfurt und „Ruskaya Misi“ in Paris.

Eine der inkriminierten Geschichten war unter dem Titel „Solsche- nyzin und Jugoslawien“ Anfang 1974 in der „New York Review of Books“ erschienen.

Die jugoslawische Rechtsprechung sieht lange Zuchthausstrafen für jemanden vor, der „die Absicht hat, die staatliche und soziale Ordnung zu zerstören… Kontakte mit Emigrantengruppen aufniimmt oder diese in ihren feindseligen Aktivitäten gegen Jugoslawien unterstützt“.

Nun, es ist nicht das erste Mal, daß Jugoslawien® Gerichte den unbequemen Schriftsteller vor ihre Schranken zitieren. Seine Lebensgeschichte spricht für sich. Aber noch niemals war die Strafandrohung so ernst wie jetzt:

• Noch 1963 war Mihajlov, Sohn weißrussischer Emigranten, bei Tito Liebkind gewesen. Damals gab man ihm eine Assistenitenstelle für Russisch und russische Literatur an der Universität Zadar in Dalmatien. Als Sowjetexperte besuchte er im darauffolgenden Jahr die UdSSR und verbrachte mehrere Wochen in Moskau und anderen Städten des Landes.

• Die Enttäuschung über das Gesehene und Erfahrene brachte Mihajlov zu Papier: Sein Buch „Moskauer Sommer 1964“ ist eine gründliche und kritische Abrechnung mit dem Stalinismus, dem sowjetischen System, und seiner Unfähigkeit, die Entstalinisierung durchzuführen und gleichzeitig ein Appell zur Wiederherstellung des freiheitlichen und menschlichen Geistes in der Sowjetunion. Als einer der ersten machte Mihajlov die westliche Walt auf die Existenz einer dissidenten Bewegung in der Sowjetunion aufmerksam.

• Der „Moskauer Sommer“ erschien zuerst in der Belgrader Monatszeitschrift „Deio“, Ausgabe Jänner 1965. Die sowjetischen Diplomaten in Belgrad waren entsetzt und protestierten: „Nicht einmal ein amerikanischer Schriftsteller hat jemals so kritisch über unser Land geschrieben.“ Sie erreichten schließlich, daß Präsident Tito den Autor persönlich angriff. Die Februarnummer von „Delo" wurde beschlagnahmt, Mihajlov verlor seinen Posten in Zadar und kam ins Gefängnis.

Nicht zum erstenmal in seiner Laufbahn stand Tito vor dem Konflikt zwischen Weltmeinung und „raison d’ėtat“. Einerseits verlangte die Weltmacht UdSSR die Bestrafung eines Mannes, der ihre wunden Stellen rücksichtlos aufgezeigt hatte, anderseits hatten die internationalen Proteste Titos liberales . Image in einem getrübten Licht erscheinen lassen. Die Lösung des Problems schien schwierig, wurde aber dennoch gefunden: Das Bezirksgericht in Zadar verurteilte den Dichter wegen „Schmähung einer befreundeten Maoht, der Sowjetunion“ zu einer Gefängnisstrafe, das Staats- gerieht in Zagreb hob das Urteil wieder auf, Mihajlov war frei, aber seine Schwierigkeiten begannen erst.

Unbeeindruckt setzte er seinen publizistischen Kampf gegen Überbleibsel des Stalinismus in Jugoslawien fort. Immer mehr Intellektuelle scharten sich um ihn. Die Gruppe plante sogar, eine echte oppositionelle Zeitschrift herauszugeben.

Die Reaktion des Regimes ließ nicht lange auf sich warten. 1966 fanden sich Mihajlov und einige seiner Freunde wieder hinter Gittern. Die Anklage lautete diesmal auf „feindselige Umtriebe und Kontakte mit feindseligen Emigrantengruppen“. Das Urteil: dreieinhalb Jahre Gefängnis, verschärft durch harte Arbeit und Einzelhaft.

Der Dichter mußte die Strafe voll absitzen.

Von nun an veröffentlichte er seine Artikel nur noch im westlichen Ausland, konzentrierte sich allerdings mehr auf philosophisch-literarische Themen und vermied bewußt politische Diskussionen. An-

fang 1974 veröffentlichte er „Solschenizyn und Jugoslawieh“ in der „New York Review of Books“. Dieser Artikel wurde von der russischen Emigrantenzeitschrift „Posew“ in Frankfurt nachgedruckt. Der „New Leader“ veröffentlichte den philosophischen „Brief an einen Freund im Westen“. Im Jänner 1974 erschien ein weiterer Artikel aus der Feder Mihajlovs unter dem Titel „Rumä- nisierung“. Offen zeigte Mihajlov darin die schwierigen internen Probleme Jugoslawiens auf. Die letzte Veröffentlichung fand am 26. September 1974 in der Emigrantenzeitung „Ruskaya Misi“ statt, ein historischer Essay über Kriegsereignisse im besetzten Jugoslawien.

Das ist im Grunde genommen alles, wessen sich Mihajlov schuldig gemacht hat. Es könnte ausreichen, ihn für viele Jahre im Zuchthaus verschwinden zu lassen. Eine merkwürdige Sache:

Denn immerhin hatte er fast ein ganzes Jahr lang unbehelligt schreiben dürfen. Und seine Kritik hatte sich in erster Linie gegen die Sowjetunion, nicht aber gegen seine Heimat gerichtet, seine Kontakte zu Emigrantengruppen beschränkten sich auf solche russischer Provenienz.

Der Prozeß gegen den Dichter sieht fast wie eine Art Alibi-Akt äüs höherer Staatsräson aus. Mihajlov war unmittelbar nach der Gerichtsverhandlung gegen die „kaminfor- mistischen Verschwörer“ in Pec erfolgt. Mehrere jugoslawische Gerichte hatten zwischen Oktober und Dezember 1974 harte Urteile über pro-sowjetische Verschwörer gesprochen. Es hat den Anschein, als ob Mihajlov, wie 1964, jetzt einem fragwürdigen Zickzackkurs der Belgrader Außenpolitik geopfert werden solle.

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