6827041-1974_17_09.jpg
Digital In Arbeit

To the point

Werbung
Werbung
Werbung

Die ganze Welt — nicht Nixon allein — steht unter dem Schatten des parlamentarischen Verfahrens. In den USA will zum ersten Male eine Majorität die Entbindung des Präsidenten von seiner Verantwortung (Harris-Poll: 43 Prozent für, 41 Prozent gegen Impeachment). In seiner eigenen Partei wächst die Ungeduld über den Parteiführer, der zum Parteiballast geworden ist.

Vor der Schwelle des „Ovalen Büros“, dem Arbeitsraum des amerikanischen Präsidenten, steht der Vizepräsident der USA, Gerald Ford. Auf ihn sind jetzt die Blicke der Politiker und Staatsmänner auf der ganzen Welt gerichtet. Und man sieht t-ein außenpolitisch total unbeschriebenes Blatt.

Nur eine Absicht des Vizepräsidenten, der im Falle eines parlamentarischen Verfahrens automatisch Präsident würde, ist bekannt geworden. Er würde als Präsident den Verteidigungssekretär (Minister) James Schlesinger entlassen. Schlesinger stehe in schlechtem Einvernehmen mit dem Senat. Dieser Verteidigungsminister kämpft nämlich — gegen die Neoisolationi-sten — und für die Aufrechterhaltung der US-Truppen- und Militärverpflichtungen auf der ganzen Welt.

Immer stärker wird der Kampf um die Präsidentschaft in den USA, ein Kampf um den Text, den man dem unbeschriebenen Blatt, Ford, aufprägen will.

Zu gleicher Zeit mit der Agonie der Präsidentschaft begann der Verfall der Außenpolitik Nixons. Im Rahmen des großen Einverständnisses der beiden Großmächte, USA und UdSSR, einander direkt nicht gegenüberzutreten, flammen so viele lokale Feuer auf, daß selbst ein Super-feuerwehrmann wie Kissinger überfordert ist. Und das ist der Moment, daß unter den Kräften, die nstelle des “außenpolitisch engagierten “Nixon den außenpolitisch jungfräulichen Gerald Ford sehen wollen, jene die Fäden ziehen, die anstelle der ramponierten Politik der Detente eine modernisierte Neufassung der Politik von Vorgestern, das Disengagement, setzen wollen.

Schon jetzt steht die Weltpolitik im Zeichen der Lähmung der Außenpolitik Washingtons, und Kissinger agiert wie der hellwache Geist in einem von fortschreitender Paralyse Bedrohten. Wer ist denn bereit, Engagements an der Seite eines Staates einzugehen, an dessen Spitze vielleicht morgen ein Mann sein wird, der sich nicht engagiert und der vielleicht Disengagement zur Maxime erhebt? Stürmisch sucht Ägypten aus seinem neuen Verhältnis mit den USA herauszuholen, was möglich ist und bereitet zugleich durch Schaukelpolitik das fragliche Morgen vor. Und wer zieht es nicht vor, auf dem breiten Niemandsland der brüchigen Detente Erfolge durch Direkt- oder durch Stellvertreteraktionen zu erzwingen, statt Verhandlungen mit einem gelähmten Verhandlungspartner zu führen?

Was wird aus dem Streit um die führende Rolle der USA in der Politik und in der Wirtschaft des Westens, wenn die USA ohne echte Führung ist? Aus dem westeuropäischen Konflikt über den Grad der Bindung an, und der Unabhängigkeit von Amerika droht ein großes Auseinanderlaufen in alle Richtungen zu werden. Führungs- und Entschlußarmut würden Washington der magnetischen Kraft berauben, die Amerika als Objekt des Anstoßes und der Herausforderung selbst für Frankreich hatte.

1963 schien die Nachricht von der Ermordung J. F. K's. die demokratischen Kräfte auf der Welt zum Stillstand zu bringen. 1974 haben die Lähmungserscheinungen schon während der Auseinandersetzung um ein parlamentarisches Verfahren zur Absetzung Nixons überall schon eingesetzt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung