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„Tod dem Kroaten Tudjman"

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„Das vergossene serbische Blut kann nicht ungesühnt bleiben." So spricht Serben-Führer Vojislav Seselj. Und seine Rede vor dem Tito-Mausoleum in Belgrad flimmerte vor kurzem kommentarlos über die Bildschirme des serbischen Staatsfernsehens.

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„Das vergossene serbische Blut kann nicht ungesühnt bleiben." So spricht Serben-Führer Vojislav Seselj. Und seine Rede vor dem Tito-Mausoleum in Belgrad flimmerte vor kurzem kommentarlos über die Bildschirme des serbischen Staatsfernsehens.

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Die Fernsehkamera zeigt „die fried-liche Demonstration" gegen „die Verbrechen der Ustascha-Kroaten an der wehrlosen serbischen Minderheit" Kroatiens. So der Reporter, der die Seselj-Anhänger ausführlich zu Wort kommen läßt. Neben altserbischen und königlichen Fahnen sieht man Bilder mittelalterlicher Serbenfürsten und Feldherren, hört man Schlachtrufe der etwa 3.000 Demonstranten: „Sprengt das Tito-Mausoleum - Tito, der größte Serbenhasser aller Zeiten", oder auf heute bezogen „Tod dem Kroatenführer Franjo Tudjman" und im Chor immer wieder „Gebt uns Waffen, gebt uns Waffen, Tod den Ustascha, Tod den Ustascha".

Im Bekanntenkreis herrscht Genugtuung: „Wir waren noch nie so mächtig wie heute", meint Ivan, „schreib das ruhig auf - ansonsten achte, wer nicht schweigt, der büßt!"

Vor Jahren, als der weit über die Grenzen Jugoslawiens hinaus bekannte Soziologieprofessor Vojislav Seselj zu einer achtjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, weil er in einer marxistisch ausgerichteten Broschüre unter dem Lenin-Titel „Was tun?" den Tito-Sozialismus mit dem Stalinismus Osteuropas verglich, da war Ivan eine „heimliche Anlaufadresse". Er gab mir SeSeljs Schriften zum Verteilen - bei Hausdurchsuchungen war ich sie wieder los. Was blieb, war

unser heimlicher Kontakt. Aber über alte Zeiten möchte „Genosse" Ivan, wie er sich als sozialdemokratischer Dissident einst gerne anreden ließ, nicht mehr sprechen. Heute ist er ein „Vojvod", zu deutsch ein „Feldherr", ein „Führer". Was aus alter Zeit blieb: Er arbeitet noch immer im Untergrund.

War einst seine Wohnung vollgestopft mit Büchern marxistischer und anarchistischer Klassiker, Broschüren osteuropäischer Dissidenten und Emigranten, so besinnt man sich nun „auf die eigene Geschichte". Und die heißt: Als in Osteuropa die große Wende kam, erfaßte diese auch Jugoslawien „auf balkanische Weise".

Bei den ersten „freien" Mehrparteienwahlen 1989 votierten die Bürger in den einzelnen jugoslawischen Republiken nicht für Demokratie, sondern in „einer Art Volksentscheid für das eigene Volk". Das streicht Ivan heraus, der glaubt, die Tudjman-Par-tei, die „Kroatische Demokratische Gemeinschaft", sei aus Rechtsaußen-Gruppen zusammengesetzt, die an den von Hitlers Gnaden ausgerufenen Ustascha-Staat während des II. Weltkrieges anknüpfen. Die wollten ein neues „Groß-Ustascha-Kroatien" errichten.

„Erniedrigung der Serben"

Für die „Radikale Serbische Partei" des Vojislav es"elj weckt dies alte Erinnerungen wach, als die Ustascha-Faschisten Hunderttausende Serben, Roma-Zigeuner und Juden im KZ Jasenovac vergasten. Drückt sich der legale Flügel der „Radikalen Serbischen Partei" vor einer Stellungnahme des Pogroms von Borovo-selo am 2. Mai, bei dem mindestens 16 Personen ihr Leben ließen, so nicht der militante illegale Flügel. Ivan und seine „Truppe" geben zu, Gesinnungsge-

nossen hätten die heimliche Armee des Franjo-Tudjmans in Borovo-selo liquidiert. „Aber wir kämpfen nur gegen die Tudjman-Leibgarde, eine illegale Armee, die von Ungarn aus mit Waffen beliefert wird, nicht gegen Zivilisten."

Für den „Kampfflügel" der „Radikalen serbischen Partei" ist dies die einzige Möglichkeit, den 600.000 Serben im „Ustascha-Kroatien" beizustehen. In einer Flugschrift heißt es dazu: In allen Serbenenklaven Kroatiens häuften sich mehr und mehr willkürliche Verhaftungen und Erniedrigungen an nationalbewußten Serben. Es seien die paramilitärisch ausgerüsteten Kroatenverbände, die Terror verbreiteten und verbreiten.

Ivan und seine Truppe sieht es als Lächerlichkeit an, daß sich das Staatspräsidium zu einer Krisensitzung versammelte. Da beschloß man, alle extremistischen Elemente, die Zwietracht unter den Völkern und einen Bürgerkrieg provozieren wollen, zu isolieren. Das seien leere Worte. Niemand wage es mehr, Professor Seselj zu verhaften. In einem Flugblatt schrieb der Serbenführer Seäelj schon vor Wochen: „Entweder Jugoslawien oder ein Serbien in seinen historischen Grenzen. Kroaten entscheidet Euch! Denkt daran, Jugoslawien bekommt euch besser als ein historisches Serbien. Träumt nicht den Traum eines neuen Ustascha-Kroatien - denn wir werden es besiegen."

So glauben die Fanatiker der „Radikalen Serbischen Partei" sich für jede Terroraktion gegen das offizielle Kroatien legitimieren zu können. Die Resolutionen der Europäischen Gemeinschaft, der USA, der Vielvölkerstaat Jugoslawien dürfe nicht in Kleinstaaten zerfallen, ist ihre äußere Legitimierung.

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