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Tod in Dakka

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Wer hätte damals gedacht, daß die Hinrichtung in Pakistan nur aufgeschoben war und dreieinhalb Jahre später in Bangladesh vollzogen werden wird? Doch 1971 wäre Scheich Mujibur Rahman unter den Salven der pakistanischen Unterdrücker seines Landes als der Führer des ostbengalischen Freiheitskampfes gestorben. Jetzt, aber 1975, mußte er unter den Revolverkugeln von Mitkämpfern von 1971, als ein gescheiterter Diktator, ein gescheiterter Staatsmann sterben. Hinter der Fronde der „Freunde“ Mujiburs steht als intellektuelle Kraft heute Syed Chawdhury, der erste Präsident der Republik, dann als Freund Englands ausgebootet und zuletzt von Mujibur als „Rettungsanker“ wieder aufgenommen. Jetzt hat er zusammen mit Khon-dakar Ahmed die Macht übernommen. Die Ermordung des Mannes, den sie Bangabundu, Vater und Freund des Vaterlandes, genannt hatten, erschütterte die Menschen in Bangladesh nur wenig. Freiheit und Befreier hatten mehr Elend in das Land gebracht als vorher die pakistanischen Generale und deren Standrecht.

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Wer hätte damals gedacht, daß die Hinrichtung in Pakistan nur aufgeschoben war und dreieinhalb Jahre später in Bangladesh vollzogen werden wird? Doch 1971 wäre Scheich Mujibur Rahman unter den Salven der pakistanischen Unterdrücker seines Landes als der Führer des ostbengalischen Freiheitskampfes gestorben. Jetzt, aber 1975, mußte er unter den Revolverkugeln von Mitkämpfern von 1971, als ein gescheiterter Diktator, ein gescheiterter Staatsmann sterben. Hinter der Fronde der „Freunde“ Mujiburs steht als intellektuelle Kraft heute Syed Chawdhury, der erste Präsident der Republik, dann als Freund Englands ausgebootet und zuletzt von Mujibur als „Rettungsanker“ wieder aufgenommen. Jetzt hat er zusammen mit Khon-dakar Ahmed die Macht übernommen. Die Ermordung des Mannes, den sie Bangabundu, Vater und Freund des Vaterlandes, genannt hatten, erschütterte die Menschen in Bangladesh nur wenig. Freiheit und Befreier hatten mehr Elend in das Land gebracht als vorher die pakistanischen Generale und deren Standrecht.

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Der- Präsidentenmord in Dakka bestätigte aber die Voraussage des Tschu En-lai. Als aus dem befreiten Ostpakistan der Staat der Ostbengalen, Bangladesh, entstand, sah er das als die Ausgangssituation endloser Unruhen auf dem nun dreigeteilten indischen Subkontinent an. In drei Staaten werden die neuen Eliten, gemeinsam mit den rivalisierenden Großmächten, den Takt zum Todes-tanz ohne Pause schlagen.

Die Befreiung vom Dezember 1971 war der Einsatz für die proindischen und den prosowjetischen Rhythmus. Den scheint der Umsturz von 1975 gestoppt zu haben. Um den Takt und um die Choreographie des nächsten Satzes wird noch gestritten. Nur das Grundmotiv bleibt konstant: die Hoffnungslosigkeit für die 75 Millionen Menschen, die dort, 500 auf dem Quadratkilometer, im Sog der Auflösung von Gesellschaft und Wirtschaft in immer tiefere Schichten der Stumpfheit aus Hunger vegetieren.

Jänner 1972: die indische Armee hatte gemeinsam mit den ostbengalischen Freischärlern die pakistanische Armee besiegt. Unter indischem Schutz ging es der Gründung des Staates Bangladesh zu. Die Pakistaner entließen den Scheich aus der Gefangenschaft. Der Vorkämpfer der ostbengalischen Freiheit kam als Gründer des ostbengalischen Staates in Dakka an. Als der Scheich aus dem Stadion in das Regierungsgebäude fuhr, war die Stadt, die unter dem pakistanischen Standrecht die Ruhe des Todes gelernt hatte, schwarz von jubelnden Bengalenköpfen: „Bangabundu, Bangabundu!“

Ich konnte gegen Ende der Feiern mit dem Befreier sprechen, ein gelöster Mensch, im Stil eines Humanisten und Revolutionärs von 1848 in Europa. Er sprach vom europäischen Kampf gegen den Faschismus, es fielen die Namen von Karl Renner und auch von T. G. Masaryk.

Der Bangabundu lehnte die Präsidentschaftsrepublik und das Amt des Präsidenten ab, zü viel Macht in einer Hand, in seiner Hand. Er wurde Ministerpräsident unter einem souveränen Mehrparteienparlament und ließ Amt und Parlament in einer einwandfreien Wahl bestätigen. Der gemeinsame Befreiungskampf mit Hindu-Indien entschärfte den religiösen Haß der Bengalenmohamme-daner gegen die Bengalenhindus, der in den Religionsmassackem 1947 mörderisch geworden war. Keine islamitische Republik, wie Pakistan, sondern ein säkularer Staat!

Als 1972 Bangladesh seine Freiheit feierte, war es dort Frühjahr, schon in den ersten Tagen, ein überschatteter Frühling. Auf den Feldern stand nicht die Frühjahrsernte, und zur Aussaat für die Herbsternte gab es kein Saatgut. Millionen zurückgekehrter Flüchtlinge fanden ihren Boden in den Händen der neuen Herren. Hunderttausende Frauen, die von den Pakistanis vergewaltigt worden waren, wanderten, von ihren Familien und Dörfern als Entehrte vertrieben, die Straßen entlang in der Richtung der indischen Bordelle. Kein Land hat jemals aus dem Westen soviel Hilfe erhalten, wie Bangladesh im ersten Jahr der Freiheit. Auf allen Märkten der Nachbarländer flössen Läden und Strände von Hilfsgütern über, die für Bangladesh bestimmt waren. Ein Direktor des Roten Kreuzes in Chiittagong sagte mir Ende Dezember: „Wenn 10 Prozent in die Hände kommen, für die sie bestimmt sind, ist das ein unwahrscheinliches Glück!“ Denn damit die Hilfsgüter aus dem Westen wirklich in die Hände der Hilfebedürftigen kommen, muß zuerst für die Bestimmenden und Mächtigen ein Überfluß geliefert werden.

Wo die Lethargie noch nicht alle Emotion ausgelöscht hatte, stieg der Haß gegen die Befreier und deren Verbündete; gegen Indien und die UdSSR. Er steig umso rapider, als Mujibur Rahman sich immer enger an die Verbündeten der Befreiung klammerte. Er selbst war eher hilflos als korrupt. Im Versinken bediente er sich dann des bewährten Rezeptes der dritten und der vierten Welt: Diktatur — abgesichert durch ein enges Verhältnis mit Moskau.

Im Dezember 1974 hatte ich mein zweites Interview. Das Land war längst zerfallen. Terrorbanden und Polizeibanden bekämpften einander und terrorisierten die Bauern. Mehr als 40 Prozent des Bodens, der in der Kette von Dürre und Flut von den Besitzern aufgegeben worden war, lag in den Händen der Befreiungs-politiker in Dakka! Unbebaute Riesenflächen als Kapitalanlagen in den Gängen von städtischen Politikern umsäumt von Verhungernden; Das war das Bild, Bangladesh Ende 1974.

Der Scheich kannte das Bild. Er war jetzt das Bild des aufgeschwemmten und hilflosen Politikers. Doch er sagte mir: „Die Sanierung wird vorbereitet“.

Ein Monat später zeigte es sich, was die Sanierung war und wo sie vorbereitet worden war. Der Scheich proklamierte die Diktatur des Nationalen Komitees; das war er, seine Partei, die Kommunistische Partei (Moskauer Richtung), dahinter als Schutzmächte Indien, die UdSSR. Ist es Zufall oder gemeinsames Rezept, daß die Proklamation der Diktatur in Bangladesh im Jänner 1975 der Proklamation der Diktatur in Indien vom Juni 1975 so sehr (glich?

Lang nachdem es zwölf geschlagen hatte, im Frühjahr 1975, suchte der Scheich sich aus der Umschlingung zu lösen. Er schickte seinen Freund, den früheren pakistanischen Botschafter Kaiser, nach Peking. In ganz Indien fürchteten die Politiker der Indira, daß eine chinesische Botschaft in Dakka die Planung des asiatischen Sicherheitssystems — Breschnjews Konzept —, das heißt gegen China, von einer Riesenbotschaft Pekings in Dakka zerrissen werden würde. Und der Scheich versuchte jetzt zugleich, sich an die UdSSR und an Peking fester zu klammern und diese Staaten durch gezielte Gerüchte über seine neuen Beziehungen zü schrecken.

Dieses Spiel Und die Erklärungen der neuen Männer lassen Astrologen weites Spiel. Das Regime soll proamerikanisch sein — was heißt das in dieser Situation? Es soll sich von Indien distanzieren — au welchen Zerrüttungen auf dem Subkontinent wird das führen?

Der Reim darauf wird lange Zelt nicht zu finden sein.

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