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Tod und Verklärung

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Am 8. Februar landete ich mit dem Flugzeug in Warschau. Ich wollte den Spuren des seligen Paters Kolbe folgen, wollte ihn innerlich erleben, zur künstlerischen Bewältigung seiner Gedächtniskapelle in der Wiener Alserkirche. Niepokalanow war mein erstes Ziel. Auf dem Flughafen erteilte man mir freundlichst Auskunft, wie ich zur Stadt der Unbefleckten kommen könne. Bereitwillig halfen mir Unbekannte zum unterirdischen Bahnhof, und bald erreichte ich die 60 Kilometer von Warschau entfernte Franziskanerstadt — eine Gründung des Seligen. Sofort bat man mich, bis Montag hierzubleiben, denn es sei wichtig für das Studium des Paters Kolbe, den Sonntag in Niepokalanow zu erleben.

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Am 8. Februar landete ich mit dem Flugzeug in Warschau. Ich wollte den Spuren des seligen Paters Kolbe folgen, wollte ihn innerlich erleben, zur künstlerischen Bewältigung seiner Gedächtniskapelle in der Wiener Alserkirche. Niepokalanow war mein erstes Ziel. Auf dem Flughafen erteilte man mir freundlichst Auskunft, wie ich zur Stadt der Unbefleckten kommen könne. Bereitwillig halfen mir Unbekannte zum unterirdischen Bahnhof, und bald erreichte ich die 60 Kilometer von Warschau entfernte Franziskanerstadt — eine Gründung des Seligen. Sofort bat man mich, bis Montag hierzubleiben, denn es sei wichtig für das Studium des Paters Kolbe, den Sonntag in Niepokalanow zu erleben.

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Vom ersten Augenblick an war ich kein Fremder, sondern Teil dieser großen Priester- und Ordensgemeinschaft. Tags darauf studierte ich die Dokumente über den Seligen, seine Briefe und Photos, und mehr als bei Studien zuvor begann das Bildnis dieser einzigartigen Persönlichkeit Gestalt anzunehmen. Bereitwillig führte man mich durch die ganze Klosterstadt. Überall stieß ich auf die Spuren Kolbes. Sein Arbeitszimmer hinterließ in mir einen nachhaltigen Eindruck durch seine spartanische Einrichtung. Die Räume der Druckerei waren wohl noch vorhanden, die Druckereimaschinen jedoch abtransportiert. Eine Tatsache des Nachkriegsgeschehens, die die Mönche, welche vorher in der Druckerei für die Missionen gearbeitet hatten, ver-anlaßte, alle Kräfte und Einsatzbereitschaft für den Bau der großen Kirche zu Ehren der Immaculata einzusetzen.

Der Sonntag wurde zum großen Erlebnis. Messen wurden den ganzen Tag über gelesen. Die Kirche war immer mit Gläubigen gefüllt und die

Jugendgottesdienste fanden in der Krypta statt. Selten sah ich soviel Jugend in der Kirche.

Erschütternd waren die Erlebnisse in Warschau selbst, wo fast an jeder Ecke der Altstadt, bei der Betrachtung der Gebäude und Kirchen die grausige Vergangenheit sichtbar und fühlbar wurde. Im Keller einer Kirche wurden mehr als 1000 Menschen, darunter viele Klosterschwestern, beim Warschauer Aufstand getötet. Alle Gebäude erstehen heute wieder wie sie waren, man glaubt im Barockzeitalter zu leben.

Dann flog ich nach Auschwitz. Ein Erlebnis, vor dem ich lange vorher Angst hätte. Seit acht Jahren studiere ich neben der Bibel auch die Literatur der Konzentrationslager. Ich fürchtete mich vor der Konfrontation mit der Realität, vor dem Augenschein. Doch, um die gewaltige, unfaßbare, verzeihende Liebe Gottes zu erahnen, um das prophetische Vermächtnis Kolbes halbwegs zu begreifen, war es notwendig, in die Niederungen menschlicher Bosheit hinabzusteigen. Um das Große zu erfassen,

mußte ich in die Tiefe steigen. Wie schrieb Pater Maximilian am 3. September 1931 aus Japan?

„Es hat den Anschein, daß auf der ganzen Welt etwas Schlimmes im Kommen ist. Was kann aber uns, wo immer, zustoßen, die wir uns gänzlich der Immaculata hingegeben haben? Man kann uns höchstens das Leben nehmen. Dadurch aber würde man uns den größten Gefallen tun und wir -werden dann mit'beiden Händen unseren Feinden an die Haare greifen können — oder lieber ans Herz, damit sie uns auf Erden vertreten mögen. Dann erst werden wir tüchtig arbeiten können, um die ganze Welt für die Immaculata zu erobern.“

Diese Sätze erfüllten sich in Auschwitz und strahlten von dort und von Niepokalanow in die Welt. Wie sagte mir eine einfache, polnische Frau: „Ich hoffe, daß Himmler noch Zeit hatte, vollkommene Reue zu erwek-ken — so würde er durch die unendliche Barmherzigkeit Gottes gerettet sein, und ich könnte ihn im Himmel wiedersehen.“ In Auschwitz sagte man mir: „Das Schlimmste war, daß uns die Nazi die Menschenwürde geraubt haben — und wir haben Fürchterliches erlebt.“ Die Frau, von der hier die Rede ist, wurde als Zehnte ausgezählt und nicht erschossen — wie die übrigen neun. Uberall, wo ich mit den Leuten sprach, mit Überlebenden und deren Familien, hörte ich nichts von Haß, spürte ich nur Liebe und Hoffnung auf Rettung der Mörder von gestern. So begegnet einem das Vermächtnis Pater Kolbes als greifbare Realität. Nicht Rache und Gericht — dies ist Sache der Gerechtigkeit Gottes —, sondern Liebe und Verzeihung, Liebe zu Gott und dem Nächsten, die ja nicht zu trennen sind, Verzeihung, weil auch wir nicht fehllos sind. Hier schweißt sich Altes und Neues Testament zu einer unfaßbaren, aber erlösenden Einheit zusammen. Hier erfüllt sich das Wort des Moses, der an Stelle seines Volkes alle Strafe Gottes auf sich nehmen und vergehen wollte. Hier erfüllt sich, daß es Gottes Sache ist, Gerechtigkeit wiederherzustellen und nicht Sache des Menschen... Weil Gott dem Menschen keine Macht gab über das Leben seiner Mitmenschen. Selbst der Brudermörder Kain wird sakrosankt — von Gott gezeichnet, damit ihn niemand töte. Hier erfüllt sich die Macht der Erlösung durch den Kreuzestod des Jesus von Nazareth. Hier wird Alter und Neuer Bund zum allumfassenden Bündnis. Zum Beweis dafür sei hier das jüdische Gebet aus dem Konzentrationslager zitiert:

„Friede sei den Mensdien, die bösen Willens sind, und ein Ende gesetzt sei aller Rache und allem Reden von Strafe und Züchtigung ... Aller Maßstäbe spotten die Greueltaten, sie stehen jenseits aller Grenzen menschlicher Fassungskraft, und der Blutzeugen sind gar zu viele ... Darum, o Gott, wäge nicht mit der Waage der Gerechtigkeit ihre Leiden, daß du sie ihren Henkern zurechnest und von diesen grauenvolle Rechenschaft forderst, sondern laß es anders gelten. Schreibe vielmehr den Henkern

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und Angebern und Verratern und allen schlechten, Menschen .zugute und rechne ihnen an: all den Mut und die Seelenkraft der anderen, ihr Sichbescheiden, ihre hochgesinnte Würde, ihr stilles Mühen bei alledem, die Hoffnung, die sich nicht besiegt gab, und das tapfere Lächeln, das die Tränen versiegen ließ, und alle Liebe und alle Opfer, all die heiße Liebe ...“

Hier begegnet sich der Rabbiner mit Pater Kolbe, Synagoge mit Eccle-sia. Besteht noch ein Unterschied?

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