6929871-1982_25_06.jpg
Digital In Arbeit

Tod und Verwüstung im Südlibanon

19451960198020002020

In und um Beirut wird weitergeschossen - trotz der verlängerten Waffenruhe zwischen Israel und der PLO. Im Südlibanon dagegen herrscht Ruhe: Friedhofsruhe!

19451960198020002020

In und um Beirut wird weitergeschossen - trotz der verlängerten Waffenruhe zwischen Israel und der PLO. Im Südlibanon dagegen herrscht Ruhe: Friedhofsruhe!

Werbung
Werbung
Werbung

„Bab el Waad-Elementarschule der UNESCO” besagt ein Schild über dem Eingang zu einer Volksschule in einem Flüchtlingslager bei Tyrus. „Sehen Sie—hier haben die Israelis eine Schule bombardiert”, jammert eine Frau namens Saada Hussein mit ihren beiden kleinen Kindern.

Direkt neben dem Eingang erblickte ich israelische Soldaten, die schwere Munitionskisten auf einen LKW luden. Der wachhabende Offizier war bereit, mir das Verlies, das hier ausgeräumt wurde, zu zeigen. Es war ein 15 Meter tief gelegener Bunker mit Lüftungsanlagen und einer gut ausgestatteten unterirdischen Wohnung.

In den vier Räumen — Hunderte Kisten chinesischer Munition für leichte Waffen (MGs, MPs etc.), daneben Kisten mit 1,5 m langen Sager-Antitank-Raketen, kleineren Raketeh für die russischen Bazookas, dann die großen berüchtigten Katjuscha-Geschosse, die so oft auf israelischem Boden landeten. Daneben, schön sortiert, Maschinenpistolen und leichte MGs etc.

Im letzten Raum lagerten nur Metallgefäße mit TNT, einem Hochexplosivstoff. Hier befand sich die Militärkommandatur einer proirakischen Terroristenorganisation. Wir fanden den unversehrten Schreibtisch des Kommandanten, wo ich neben Notizen, Tagesbefehlen auch einen Stoß Fotos entdeckte, die während der Vollstreckung von Todesurteilen aufgenommen wurden! Völlig zerfleischte Körper, kopflose Rümpfe und Schlimmeres...

Frau Saada behauptet, sie hätte überhaupt nichts von diesem Bunker gewußt. Die verschiedenen Terroristenorganisationen machten in den palästinensischen Flüchtlingslagern, was sie wollten, und keiner traute sich, sie dabei zu stören.

Inzwischen wurde das Flüchtlingslager größtenteils vernichtet, weil sich dort Terroristen verschanzt hielten. Ich sah Hunderte Menschen unter freiem Himmel zwischen den naheliegenden Zi-trusplantagen lagern, ihre Wäsche hing zum Trocknen an den Bäumen. Die Leute waren verstört, und fragte man sie nach ihrem Befinden, antworteten sie nur, was sie glaubten, das man als Israeli hören will: So zum Beispiel, daß sie über das Kommen der Israelis froh seien.

Nun ist Tyrus „befreit”. Wirklich? Vom Zentrum ist nichts geblieben als spärliche Ruinen. Viele Gebäude sind halb zerstört, in der anderen Hälfte wohnt man so, als ob nichts geschehen sei.

In der Stadtverwaltung sitzt ein israelischer Verbindungsoffizier, Dozent für arabische Literatur in Haifa. Er ist ein geborener Beiruter und versucht, der Zivilbevölkerung so weit wie möglich zu helfen. So wurde mit israelischer Hilfe die Wasserversorgung wiederhergestellt, israelische Traktoren und Bagger suchen unter den Trümmern Leichen und schaffen sie weg.

50 Kilometer nördlich liegt Sidon. Ab und zu passieren wir eine Kolonne israelischer Schützenpanzer. Trotz der Feuereinstellung werden wir in der Stadt selbst von den Detonationen eines heftigen Schußwechsels begrüßt. Hier tut man so, als bemerke man nichts, obwohl im palästinensischen Flüchtlingslager Hilwa am Stadtrand nach wie vor schwer gekämpft wird.

Ein Schild auf der Hauptstraße von Sidon zeigt an, daß sich hier das palästinensische Rote-Kreuz-Krankenhaus befindet. Ein penetranter Geruch von Eiter, Blut und Schweiß verschlägt einem den Atem. In den Krankenzimmern liegen je acht Verwundete ohne Bettzeug, nur auf Wolldek-ken, meist mit offenen Wunden. Uberall Fliegen und Schmutz.

Die Straßen von Sidon sind teilweise zerbombt. Ladenbesitzer versuchen, noch etwas von ihrem Gut zu retten. Einer berichtet: „Zufällig war ich mit meiner ganzen Familie in meinem Teppichgeschäft, als wir dann nach Hause kamen, hatten wir keine Bleibe mehr — das ganze Stockwerk war eingestürzt.”

Uber 100 Zivilisten wurden laut israelischen Angaben in Sidon getötet. Doch genau weiß es niemand, denn noch liegt alles in Trümmern. Familien gehen um ihre ehemaligen Häuser sprachlos und schockiert herum.

In dem Keller eines 7-stöckigen Hauses befindet sich einer der 30 PLO-Bunker, die man in Sidon entdeckt hat. Sechs Lastkraftwagen sind notwendig, um diesen einen Bunker auszuräumen, der der Fatah-Organisation gehörte. Ein Einwohner aus dem 6. Stock sagt mir: „Natürlich wußte ich, daß sich etwas im Keller tut. Doch hätte ich nur den Mund auf getan, wäre mein Leben verspielt gewesen.” Andere Hausbewohner tun so, als hätten sie nie etwas davon gewußt.

Tod und Verwüstung in Sidon. Ich gehe durch die Straßen der zerbombten Stadt und schäme mich, daß ich Israeli bin. Doch dann muß ich an die Worte des Si-doner Militärkommandanten denken, als er mir sagte: „Allein mit dem hier gefundenen Sprengstoff hätte man ganz Israel in die Luft sprengen können.”

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung