7057352-1991_23_08.jpg
Digital In Arbeit

Tötung auf Verlangen: Kein Akt der Liebe

Werbung
Werbung
Werbung

In der Antike hat man auf vielfältige Weise Euthanasie, Abtreibung und Kindestötung praktiziert. Die uns noch heute ethisch so hochstehend erscheinenden hippokratischen Ärzte lehnten zwar aus religiösen Gründen solche Praktiken ab, stellten aber in der Bevölkerung nur eine kleine Minderheit dar. Die überwiegende Mehrheit hingegen huldigte den Idealen der griechischen Klassik, verherrlichte die Schönheit und Jugend und sah in den Schwachen nur ein Hindernis für den Staat.

Den Interessen dieses Staates galt das primäre Augenmerk, ihnen wurden die Bedürfnisse des Individuums bedenkenlos geopfert (Ausnahme Stoa). Der Wert des einzelnen bemißt sich aus seinem Nutzen für die Gesellschaft. Wenn dieser Nutzen nicht mehr gegeben ist oder gar in Schaden umschlägt, erlischt das Lebensrecht des einzelnen. „Wer siech am Körper ist, den sollen die Ärzte sterben lassen, wer aber an der Seele mißraten und unheilbar ist, den sollen sie sogar töten”, fordert Piaton und verkündet damit nichts anderes als ein eugenisches Programm. Er war kein Einzelfall. Auch Aristoteles empfahl, „daß keine verkrüppelte Geburt aufgezogen werde”.

Es wird niemanden wundem, daß ein solcher weltanschaulicher Ansatz Auswirkungen hatte auf den Umgang mit Kranken, Alten, Behinderten, Sterbenden und Kindern, deren Lebensrecht nicht selten vom Willen des Vaters abhing. Natürlich gab es auch keine staatliche Fürsorge für diese Gruppen. Erst durch den Einfluß des Christentums änderte sich diese Haltung allmählich.

Es sollte aber bis ins vierte Jahrhundert dauern, bis die ersten Hospitäler gegründet wurden. Und sie waren eine revolutionierende Neuheit, wenn man zeitgenössischen Schriften Glauben schenken darf. So bezeichnet beispielsweise Gregor von Nazianz ein durch Basilius von Caesarea errichtetes Spital als „ein größeres Werk als die sieben Weltwunder”.

Doch die antike Verachtung des Schwachen und Glorifizierung des Starken wie auch die Beurteilung des Menschen nach seinem Nutzen und seiner Leistung für die Gesellschaft war damit nicht ein für allemal überwunden. Sie kehrte wieder beispielsweise im Sozialdarwinismus und in ihrer furchtbarsten Ausgestaltung im Nationalsozialismus.

Von diesem wird das Recht des Stärkeren zur Unterjochung des Schwächeren lautstark propagiert, lebensuntüchtigen Menschen zunächst das Recht auf Fortpflanzung, schließlich auch das Recht auf Schutz und Erhaltung des Lebens abgesprochen. Wieder wurde menschliches Leben nach seinem sozialen Nutzwert eingestuft, an diesem gemessen konnte die Schädlichkeit, schließlich der

Unwert, festgestellt und die Vernichtung des einzelnen gefordert werden.

Begriffe wie leere Menschenhülsen, gesellschaftlicher Ballast, Untermenschen haben eine Entwicklung sprachlich gestützt, die auf die massenweise Vernichtung von Menschen hinauslief, die dabei noch als Gnadentod, als Akt des Mitleids verkauft worden ist.

Betroffen waren sie wiedergemeinsam: Alte, Verwirrte, unheilbar Kranke, Behinderte, kränkelnde Säuglinge, von denen nicht anzunehmen war, daß sie jemals stramme Soldaten würden abgeben können, ungeborene Kinder, die nicht durch die Zugehörigkeit der deutschen Rasse geschützt waren. Gerechtfertigt wurden diese Vernichtungsprogramme damit, „daß die Gemeinschaft aufgrund ihres dem Einzelwesen übergeordneten Lebensgesetzes das Recht hat, unter Umständen gegen ihre Glieder sogar vernichtend vorzugehen” (Zitat des Tübinger Psychiaters Hoffmann 1937).

Dieses Gedankengut war kein ausschließlich nationalsozialistisches. Es war auch außerhalb Deutschlands, gerade in den USA und Großbritannien, weit verbreitet und ist erst durch die Greueltaten der Nazis im Untergrund verschwunden. Die Nationalsozialisten waren nicht die Erfinder der Theorie, sie haben „nur” mit der ihnen eigenen Konsequenz ausgeführt,

was andere vor ihnen gelehrt und als humanes Ethos ausgegeben haben. Sie haben uns aber vor Augen geführt, was aus diesen Theorien wird, wenn sie in die Hände von Menschen gelangen, die die Macht haben, sie auch in die Tat umzusetzen.

Es wäre aber eine fatale Fehleinschätzung, zu meinen, daß mit dem Verschwinden des Nationalsozialismus auch jene theoretischen Grundlagen verschwunden sind, die den Anstoß zu den Vemichtungsprogrammen gegeben haben.

So entwickelte man nach dem Zweiten Weltkrieg ausgehend von den USA eine Anthropologie, in der das Menschsein mit den rationalen geistigen Fähigkeiten des Menschen identifiziert wird. Wo diese Fähigkeiten hingegen nicht mehr vorhanden wären, handle es sich zwar um Daseinsformen des Lebens, die aber nicht mehr das Prädikat Mensch für sich in Anspruch nehmen könnten.

Es sei daher ein humanes Postulat, Menschen von einem solchen Dasein zu bewahren, fordert der amerikanische Ethiker Joseph Fletcher. In dasselbe Horn stößt auch der australische Ethikprofessor Peter Singer, der duums absolut setzen manchen vielleicht aufgrund einer „Club 2”-Diskussion bekannt ist. In seinem Buch „Praktische Ethik” kommt Singer zu der Konsequenz, daß die Tötung eines behinderten Säuglings (oder alten Menschen) moralisch nicht gleichbedeutend sei mit der Tötung einer Person. Sehr oft sei eine solche Tötung überhaupt kein Unrecht. Mensch, so Singer, ist nämlich nicht gleich Mensch. Als Person läßt er nur „denkende, intelligente Wesen gelten, die Vernunft und Rationalität besitzen. Menschen, die noch nicht oder nicht mehr „Personen” im Sinne von Singer sind, dürften daher mit Zustimmung ihrer nächsten Angehörigen getötet werden.

Singer steht damit in der Tradition Kants. Auch nach Kant lassen Freiheit, Vernunft und sittliche Autonomie den Menschen erst zur Person werden. Weder bei Kant noch bei Singer würde ein beispielsweise durch

Schlaganfall in seinerGehirntätigkeit eingeschränkter Mensch ein Recht auf menschenwürdige Behandlung haben, er hat aufgehört Person zu sein!

Seien wir also wachsam. Es gibt meiner Meinung nach auch heute keinen Grund, - nicht beunruhigt zu sein. Im Gegenteil, es gibt viele Zeichen, die uns alarmieren sollten. Ein solches Signal ist für mich die Deutsche Gesellschaft für humanes Sterben (DGHS). Die Argumentation dieser Gesellschaft ist meines Erachtens deswegen noch gefährlicher, weil sie von einem Ansatz ausgeht, der uns Menschen des 20. Jahrhunderts - und nicht nur uns, wie ich zeigen werde -noch verführerischer erscheint als das Nützlichkeitsdenken.

Man stellt die Interessen des Individuums in den Mittelpunkt der Überlegungen und propagiert, daß der Mensch ein Recht habe, über sein Leben frei zu verfügen. Die Gedanken sind nicht wirklich neu. Schon in der Stoa wurden die Interessen des Individuums absolut gesetzt und der Mensch aufgefordert, Subjekt und Vollstrecker seines Todes zu sein, anstatt sich von einem naturhaftem Tod überwältigen zu lassen.

„Stirb zur rechten Zeit” hat Nietzsche vor zirka 100 Jahren Zarathustra mahnen lassen und genau dasselbe tut die DGHS, wenn sie an ihre Mitglieder Informationen verschickt, wie man den Freitod am besten planen kann.

Die Erfüllung des Todeswunsches wird als Akt der Liebe bezeichnet, erfüllt man diesen Wunsch doch nicht, weil man die Menschenwürde mißachtet, sondern weil man das Individuum so sehr achtet, daß man ihm auch die Freiheit, über seinen Tod zu verfügen, zugesteht.

Diese Argumentation ist in meinen Augen pervers. Die Vorgangsweise

ist klar: Durch die Absolutsetzung der Selbstbestimmung des Individuums wird der Wert des Lebens selbst relativiert.

Die Parallele zum Lebensbeginn und zur Abtreibungsproblematik liegt übrigens auf der Hand. „Was für den Anfang des Lebens als Recht geltend gemacht wird (Abtreibung), wird nun konsequenterweise für das Ende des Lebens gefordert. (Eibach)

Gerade aus der Abtreibungsproblematik wissen wir aber um die gefährliche Sogwirkung, die durch die Freigabe gegeben ist. Die Freigabe zur Abtreibung war ein Dammbruch, die Freigabe zur Tötung auf Verlangen wäre nichts anderes, denn der Druck, „es doch tun zu müssen”, wenn man glaubt, für andere eine unerträgliche Last geworden zu sein, würde wohl nicht lange auf sich warten lassen.

Wir dürfen uns diesbezüglich keiner Illusion hingeben: Ist die Tötung auf Verlangen erst einmal durchgesetzt, dann ist damit das Bollwerk des Tötungsverbotes eingerissen und der Weg bereitet zu einem Töten ohne Verlangen.

Die Autorin ist Generalsekretärin der „Aktion Leben”, ihr Beitrag ein Auszug aus ihrem Einleitungsvortrag zur Tagung „Krankheit als Chance”, die aus Anlaß des Tages des Lebens vom 2. bis 4. Juni in Wien stattgefunden hat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung