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Toleranz ohne jede Herzlichkeit

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Die richtige Methode, um Kindern, die nicht Deutsch können, in Österreichs Schulwesen weiterzuhelfen, ist umstritten. Bleiben deshalb viele auf der Strecke?

Zu Beginn dieses Jahres sorgte eine Veröffentlichung der Soziologin Helga Matuschek (Universität Wien) für Aufsehen. Dieser Studie zufolge sind die Lebensbedingungen der Gastarbeiterkinder in Österreich „durch eine Folge von strukturellen Benachteiligungen und Diskriminierungen gekennzeichnet, die vop der unterprivilegierten sozio-ökonomi-schen Familiensituation über das Wohngebiet und die vorschulisehen Lernfelder reichen und schließlich beim Eintritt in die Schule und beim Ubergang in den Beruf offen zutage treten und dort kumulieren".

Die größte Chance, zur Integration ausländischer Kinder beizutragen, hat sicher die Schule. Kann sie diese nützen?

Derzeit gehen in Österreich rund 11.000 Türken und ungefähr gleich viele Jugoslawen in die Schule. „Andere Nationen fallen schulpolitisch nicht ins Gewicht", erklärt Regierungsrat Ottokar Seifert vom Unterrichtsministerium. Auch nicht die Polen, deren Zahl wieder stark gesunken ist.

Zwar ist in Österreich die Lage nicht so kraß wie in der Bundesrepublik Deutschland, wo bereits Zehntausende Gastarbeiterkinder ohne Schulabschluß ausgeschult wurden, aber Tatsache ist, daß nur ein minimaler Prozentsatz dieser Kinder über die Pflichtschule hinauskommt und danach in vielen Berufen kein Lehrstellenangebot für Ausländerkinder vorhanden ist.

In den beiden meistbetroffenen Bundesländern geht man verschiedene Wege. In Vorarlberg (etwa 40.000 Pflichtschulkinder, davon fast 2000 Türken und fast 1500 Jugoslawen) faßt man jene Kinder, die nicht oder kaum Deutsch können, zusammen und läßt sie erst nach einem intensiven Deutschkurs in die gemischte Klasse.

Vorarlbergs Landesschulrats-direktor Hofrat Franz Ender ist stolz darauf, daß das Vorarlberger Modell des freiwilligen muttersprachlichen Zusatzunterrichtes („Wir wollen ja diesen Kindern, nicht ihren kulturellen Hintergrund nehmen") vom Bund übernommen und verbessert wurde. Aufgrund vertraglicher Vereinbarungen mit der Türkei und Jugoslawien unterrichten derzeit rund 65 Jugoslawen und 30 .Türken Kinder aus diesen Ländern in Österreich und werden auch von Österreich bezahlt.

Hier fallen natürlich etliche Kinder durch den Rost, weil aus organisatorischen Gründen ein solcher Unterricht nur dort möglich ist, wo mehrere Kinder einer Nation nahe beisammen wohnen.

In Wien (etwa 90.000 Pflichtschüler, davon etwa 6500 Jugoslawen und rund 3500 Türken) sind die Gastarbeiterkinder in einigen Bezirken besonders konzentriert, in einzelnen Klassen stellen sie fast die Hälfte. ,

Auch hier liegt das Problem vor allem bei denen, die nicht Deutsch können, ja mitunter als zehnjährige Analphabeten in niedere Schulstufen gesetzt werden. Für Walter Weidinger vom Wiener Stadtschulrat ist das Problem aber bereits „wirksam entschärft", nämlich, durch das Modell des „Begleitlehrers", der parallel zum normalen Unterricht besonders mit diesen Kindern arbeitet, sie auch zeitweise aus der Klasse herausnimmt. Dieses Mo-\ dell ist natürlich nur an Schulen mit einer gewissen Ausländerdichte möglich.

Während Regierungsrat Seifert dem Wiener Modell positiver und der Vorarlberger Zusammenfassung der Ausländer ablehnend gegenübersteht, hält der Obmann des Elternvereins an einer Wiener Volksschule mit hohem Ausländeranteil, Karlheinz Richter, die Wiener Situation nicht für ideal: „Nötig wären kleinere Klassen und zumindest minimale Deutschkenntnisse, sonst ist der Unterricht zu stark gehemmt." Das Wiener Modell, wo die Ausländer theoretisch im Klassenverband sind, aber oft vom Begleitlehrer betreut werden, bringe auch keine echte Integration: „Oft sind alle Kinder nur neun von 25 Stunden pro Woche beisammen."

Uber einige Dinge ist man sich aber einig, oder hört man von allen Seiten Ähnliches: daß es sehr auf den Lehrer (bzw. Begleitlehrer) ankommt und daß es mit den Türken kultur- und religionsbedingt schwieriger ist, weil diese sich selbst sehr isolieren.

Unter den Kindern soll das Verhältnis im allgemeinen tolerant, aber nicht herzlich sein, bei den Eltern sind Kontakte der Österreicher zu Jugoslawen oder gar Türken praktisch unbekannt. Daß eine gewisse Ausländerfeindlichkeit immer latent ist und sich bei einer schwierigen Arbeitsmarktlage in den Elternhäusern („Die sollen dorthin fahren, wo sie hergekommen sind!") wieder verstärkt äußert, ist eine weitere traurige Tatsache.

Da durch den Kinderreichtum der Gastarbeiter das Problem aber in den nächsten Jahren kaum kleiner werden dürfte, sollte man, statt alte Vorurteile zu konservieren, immer wieder nach neuen Lösungen suchen.

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