Während sich die britische Labour-Partei im Augenblick anläßlich des bevorstehenden EG-Referendums in einer selbstinduzierten Agonie windet, deren Konsequenzen einstweilen noch nicht abzusehen sind, ist für die Konservative Partei der ideale Zeitpunkt gekommen, den Bruderkampf der jüngsten Vergangenheit ebenso zu vergessen wie die schmerzlichen Fehlschläge des vergangenen Jahres, auf den Trümmern einer erfolglosen Politik und mit dem Impetus einer neuen Führung eine neue, schlagkräftige Toryphilosophie aufzubauen.
Dieser ungemein schwierigen Aufgabe war fast ausschließlich die große Parteikonferenz In der nordostenglischen Stadt Harrogate gewidmet, wo die mehr als 800 Delegierten des Conservative Central Councils zum Teil erstmalig mit ihrer neuen Parteiführerin Margaret Thatcher und ihrem Schattenkabinett konfrontiert wurden. „Queen Maggie“ wie Mrs. Thatcher von ihren Anhängern gern genannt wird, legte dabei in ihrer ersten großen, innenpolitischen Rede seit ihrer Wahl den Kampfgeist an den Tag, den sich das Parteivolk von ihr erwartet hatte.
„Man erzählt uns immer wieder“, so sagte sie, „über welch große politische Erfahrung die Labour-Regierung verfügt, während wir demgegenüber geradezu ahnungslose Kinder seien. Ich kann darauf nur antworten, daß ich, wenn ich manche der Erfahrungen gemacht hätte, die Harold Wilson hinter sich hat, damit lieber nicht prahlen würde.“
Aber so publikumswirksam eine solche Dialektik auch sein mag, so können damit wohl nicht die Wunden geschlossen werden, die zwei verlorene Wahlschlachten in einem Jahr der Konservativen Partei geschlagen haben. Wie tiefgreifend diese Problematik ist, ging aus der schlichten Frage eines Delegierten aus einem Londoner Wahlkreis hervor, in dem es eine starke Labour-Mehrheit gibt. „Ich weiß nicht, was die Konservative Partei den Wählern von Battersea zu sagen hat. Was soll ich sagen, wenn ich dort an einer Türschwelle stehe?“
Der Fragesteller war kein politischer Neuling; er ist vielmehr nationaler Vorsitzender der „Jungen Konservativen“ und sehr angesehen in der Parteihierarchie. Seine fast flehende Frage wurde auf der Konferenz von zahlreichen anderen Parteifunktionären aus dem ganzen Lande in verschiedener Form immer wieder gestellt.
In der unvermeidlichen Europadebatte stellte sich Reginald Maudling erstmals seit seiner Ernennung zum Außenminister des Schattenkabinetts einem außerparlamentarischen Parteipublikum vor. Als überzeugter Europäer wies er auf die schwerwiegenden Folgen eines Austritts Großbritanniens aus der,EG.hinnnd -wies energisch alle Argumente der Anti-Europäer zurück. Er forderte die Delegierten auf, sich bei ihrer Entscheidung nicht durch parteipolitische Erwägungen irgendwelcher Art beeinflussen zu lassen, oder dadurch, in der Europafrage plötzlich auf derselben Seite wie Harold Wilson und einige seiner Minister zu stehen. Das Europaideal, so meinte Maudling, gehe weit über alle Parteigrenzen hinaus, und in einer Welt ständig wachsender Spannungen und Schwierigkeiten, in der alte Werte immer mehr bedroht seien, in einer, solchen Welt sei es gut und weise, sich an Freunde anzuschließen, deren Traditionen und Hoffnungen denen Großbritanniens verwandt seien. Bei einer anschließenden Abstimmung wurde mit großer Mehrheit eine Resolution verabschiedet, daß sich die Konservative Partei mit allen Mitteln für ein Verbleiben Großbritanniens in der EG einsetzen werde.
Mit einer stürmischen Ovation ging die Konferenz in Harrogate zu Ende, und die Delegierten kehrten in ihre Wahlkreise zurück. Ob sie dort ihren potentiellen Wählern nun wirklich Überzeugendes zu sagen haben werden, das werden die nächsten britischen Wahlen zeigen, die möglicherweise weniger weit entfernt sind, als man glauben mag.