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Tor oder Sündenbock

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An Angeboten und verbalen Bekenntnissen zur Zusammenarbeit mangelt es derzeit nicht. Die Appelle sind eindringlich, oft schon aufdringlich. Die sozialpartnerschaftlichen Problemloser werden - vordergründig? - hofiert. Und nicht wenige entdecken plötzlich an der einst so geschmähten Koalition deren gute Seiten. Geht es aber wirklich um eine Zusammenarbeit?

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An Angeboten und verbalen Bekenntnissen zur Zusammenarbeit mangelt es derzeit nicht. Die Appelle sind eindringlich, oft schon aufdringlich. Die sozialpartnerschaftlichen Problemloser werden - vordergründig? - hofiert. Und nicht wenige entdecken plötzlich an der einst so geschmähten Koalition deren gute Seiten. Geht es aber wirklich um eine Zusammenarbeit?

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Zweifellos gibt es eine Reihe von objektiven Gründen und Begründungen, die - aller rhetorischen Polarisierung zum Trotz - eine verstärkte Kooperation, über das bisher Gehandhabte hinaus, nahelegen. Die Turbulenzen, Konflikte und Krisen der internationalen Politik etwa und deren Durchschlagen auf Österreich machen sicherlich einen außenpolitischen Konsens erforderlich, der umso leichter herzustellen sein wird, je ruhiger und reibungsloser die Innenpolitik abläuft.

Die weltweite wirtschaftliche Depression läßt sich bei ihrer folgenschweren Transformation in eine psychische Depression der Bürger vermutlich umso leichter bewältigen, je umfassender die Gegenmaßnahmen konzipiert und realisiert werden können. Das Infragestellen der Legitimität und Lösungskapazität aller politischer Parteien durch Bürgerinitiativen, Protestbewegungen und andere direkt-demokratische Aktionen ist leichter und effektiver abzuwehren, wenn sie von allen Parteien als produktive Herausforderung aufgegriffen und beantwortet werden. Auch die Paradoxie des modernen Wohlfahrtsstaates, nämlich das Auseinanderfallen von allgemeinem Wohlstand und individuellem Wohlbefinden, bekannt als Desorientierung und Frustration, Angst und Aggression, und ablesbar an steigender Kriminalität, hoher Selbstmordquote, Alkoholismus, Drogenmißbrauch, aggressivem Vandalismus und zunehmender Wehrdienstverweigerung, diese Paradoxie wäre wohl ebenfalls leichter zu bändigen, könnten sich alle Parteien auf den Versuch einigen, zumindest in Ansätzen eine gemeinsame ziel- und wertorientierte gesellschaftliche Strukturpolitik zu betreiben.

Diese und eine Reihe weiterer objektiver Gründe bzw. Defizite, Fehlentwicklungen und Belastungen unseres gesellschaftlichen und politischen Lebens ließen sich aufgrund gemeinsam erstellter Analysen und Therapien und durchaus im Rahmen pluralistischer Lösungsansätze bewältigen. Aber um diese Probleme geht es gar nicht, wenn heute die Zusammenarbeit aller politischen Parteien bemüht wird.

Sondern: Die Gemeinsamkeit, die man heute so sehr beschwört, ist weniger eine gesellschaftspolitisch motivierte als eine parteipolitisch diktierte; eine Parole, deren häufige Verwendung im politischen Sprachgebrauch nicht über die damit verfolgte Taktik und Strategie ihrer Benützer hinwegtäuschen kann. Eine Parole überdies, die auf drei Prämissen aufbaut, die folgendermaßen lauten:

Erstens ist der österreichische Bürger und Wähler ein überwiegend materiell orientiertes und konsenssuchendes Wesen. Zweitens: Wackelnde Arbeitsplätze müssen um fast jeden Preis gehalten werden. Und drittens: Da über das Budget nichts mehr zu wollen ist, organisiert „man“ sich die Zusammenarbeit aller politischen Parteien.

Dieses „man“ ist primär die Regierungspartei, jene politische Kraft also, die am meisten dazu verpflichtet ist, mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln das wieder gutzumachen, was sie selbst verschuldet hat. Daß sie aus dieser und in ihrer Not eine Tugend machen kann, indem sie mit dem Bonus spekuliert, den heutzutage die parteigrenzenüberschreitende Zusammenarbeit in der öffentlichen Meinung genießt, ist genauso ihr gutes Recht wie ihre Absicht, mit Hilfe der von den Oppositionsparteien mit zu verantwortenden Arbeitsplatzsicherungspolitik den eigenen Popularitäts- und Wählerschwund aufzufangen.

Was allerdings für die Regierungspartei recht ist, muß für die Opposition noch lange nicht billig sein. Für eine Oppositionspolitik, die ihr Ziel des friedlichen Machtwechsels und damit die Erlangung des Regierungsauftrags nicht aus dem Auge verloren hat, stellt sich die heutige Zusammenarbeitsproblematik anders dar:

Zwar gelten auch für sie die beiden ersten der vorhin genannten drei Prämissen, aber nicht die dritte. Das heißt: So wie die Regierungspartei auch, wird sie dem derzeit stark ausgeprägten Konsensbedürfnis des Österreichers und seiner Präferenz für wirtschaftliche Stabilität Rechnung tragen wollen und Tür „Zusammenarbeit“ eintreten, allerdings klar zu erkennen geben, daß sie an der wirtschafts- und budgetpolitischen Misere keinerlei Verschulden trifft.

So vorteilhaft dieser zuletzt genannte Aspekt auch auf Anhieb erscheint, so teuflisch wird er, wenn er in Strategie umgesetzt werden soll. Denn verweigert die Opposition ihre sozial- und wirtschaftspolitische Zusammenarbeit aufgrund ihres Selbstverständnisses als Opposition oder aufgrund der erwiesenen Tatsache, daß ein auch mit ihrer Jlilfe erfolgreiches wirtschaftliches Krisenmanagement in der Regel der Regierungspartei zugerechnet wird, dann läuft sie Gefahr, zum nationalen Sündenbock abgestempelt zu werden. Ihre Chance besteht dann lediglich im Abwarten der nächsten Wahlniederlage.

Engagiert sich die Opposition hingegen gemeinsam mit der Regierung bei der Bewältigung der wirtschaftlichen Probleme, so nimmt sie in Kauf, als eventuell „nützlicher Idiot“ zum Wahlsieg der Regierungspartei beizutragen. Mit den Worten Kreiskys ausgedrückt: „Dankbarkeit ist keine politische Kategorie.“ Die Oppositionsparteien, voran die ÖVP, haben also die Wahl zwischen zwei nicht sonderlich attraktiven Rollen.

Angesichts dieses Dilemmas müßte man wohl Peter Handkes lyrische „Satzbiographie“ („Was ich nicht bin, nicht habe ...“) ergänzen mit dem Hinweis: „Ich bin, Gott sei Dank, kein Oppositionschef.“

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Universität Wien.

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