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Tränen für den Botschafter

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In der letzten Nummer der „Furche“ berichtete der Historiker Fritz M. Rebhann über die neuesten Ergebnisse zeitgeschichtlicher Forschung über die deutsch-sowjetische Allianz am Beginn des zweiten Weltkriegs. In dieser Nummer folgt eine Darstellung der deutschen Kriegsvorbereitungen gegen Rußland, das Ende der russisch-deutschen Zusammenarbeit und die völlige Fehleinschätzung der Situation durch Stalin.

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In der letzten Nummer der „Furche“ berichtete der Historiker Fritz M. Rebhann über die neuesten Ergebnisse zeitgeschichtlicher Forschung über die deutsch-sowjetische Allianz am Beginn des zweiten Weltkriegs. In dieser Nummer folgt eine Darstellung der deutschen Kriegsvorbereitungen gegen Rußland, das Ende der russisch-deutschen Zusammenarbeit und die völlige Fehleinschätzung der Situation durch Stalin.

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Im Vorfrühling 1941 änderte Moskau seine Ansichten über die künftige Entwicklung und damit seine Außenpolitik. Der Kreml fing an, Gerüchten über eine deutsche Aggression gegen Rußland Glauben zu schenken und stellte sich daher auf Zeitgewinn ein. Bulgarien war der russischen Diplomatie halb, Ungarn und die Slowakei waren bereits ganz verlorengegangen, die Deutschen hatten in Rumänien schon mehr als eine halbe Million Soldaten konzentriert. Finnland, dem die Sowjetregierung jede Annäherung an Schweden untersagt und wegen der Nickelgruben im Norden dauernd gedroht hatte, schien in Berlin auf einmal sehr willkommene Aufnahme zu finden. Die deutschen Versprechungen an Moskau hinsichtlich des Persischen Golfes und Indiens erwiesen sich angesichts des britischen Standhaltens in der Schlacht um England und im Mittelmeer als leeres Gerede.

Moskau mußte sich darauf einstellen, Hitler wenigstens von einem Angriff im Jahre 1941 abzubringen. Dies wurde durch Minderung der Kritik an seinen Balkanaktionen und durch Steigerung der Wirtschaftshilfe für Deutschland versucht. Aus Japan begannen Lieferungen über Sibirien ins Dritte Reich zu laufen, die Sowjets selbst schickten große Mengen Getreide und öl. Molotow machte dem ungarischen Geschäftsträger bittere Vorwürfe, als die Magyaren im deutschen Gefolge gegen Belgrad marschierten: Der russische Traum von den kapitalistischen Mächten, die sich untereinander zerfleischen, während Moskau die Früchte pflückt, ging unwiderruflich zu Ende.

Die Reichsregierung aber sah sich zu entschlossenem Vorgehen gedrängt, wollte sie nicht zuviel vom Ruhm der Unbesiegbarkeit Anno 1940 abgeben. Anfang Februar 1941 hatten die Briten Benghasi eingenommen und waren bis El Agheila vorgestoßen, für Italienisch-Äthio-pien begann der Todeskampf. Drei Wochen später landeten die Engländer starke Kräfte in Griechenland und durchkreuzten damit die Absicht Berlins, zwischen Griechen und Italienern einen Verhandlungsfrieden herbeizuführen. Am 4. März überfiel ein britischer Flottenverband die Lofoten und versenkte dort zehn deutsche Schiffe, am 11. März unterzeichnete Roosevelt die Leih- und Pachtverträge zugunsten Englands. Am 28. März besiegte die britische Mittelmeerflotte die italienische Marine vor Kap Mata. pan. In der Nacht vom 26. auf den 27. März wurde die achsenfreundliche Regierung in Belgrad gewaltsam gestürzt und bei der Unterstützung der neuen Machthaber trafen sich erstmals England und Rußland in einer losen Interessengemeinschaft. Grund genug für Hitler, die seit langem vorbereitete Operation „Marita“, die völlige Eroberung der Balkanhalbinsel, ausführen zu lassen, ohne sich um die UdSSR zu kümmern. Zur selben Zeit begann die Rote Armee mit den ersten Reservisteneinberufungen.

Die von der Komintern beeinflußte kommunistische Auslandspresse, die bisher Hitler-Deutschland mit Glacehandschuhen angefaßt hatte, veröffentlichte bald nach Jahresanfang 1941 die ersten Grüße von verfolgten Genossen in Frankreich, Deutschland und Italien. Im Februar tauchte die erste Nachricht über staatsfeindliche Umtriebe im ehemaligen Österreich auf. Immerhin, Papier war geduldiger als Autoreifen, und diese fehlten den Deutschen. Moskau sorgte für große Mengen Gummi aus dem Fernen Osten und half damit der Wehrmacht Hitlers, gefährliche Engpässe zu überbrücken.

Der Anfang vom Ende

Im April 1941, als der japanische Außenminister Matsuoka zwischen Moskau, Berlin, Rom und Tokio hin und her fuhr, um noch einmal einer euro-asiatischen Kampfgemeinschaft gegen die Anglo-Amerikaner Auftrieb zu geben, zeigte das Dritte Reich seine militärische Wunderkraft. Am 4. April überrannte Rommel Benghasi, am 17. kapitulierte

Jugoslawien, bis zum 30. besetzten deutsche Truppen ganz Griechenland.

Schon am 15. April aber war das erste deutsche Aufklärungsflugzeug bei Rostow notgelandet und die Russen hatten 80 Verletzungen ihres Luftraumes innerhalb weniger Wochen konstatiert. Angesichts dieser Entwicklung verwandelte sich Stalin in einen superkorrekten Hitler-Freund, der es ablehnte, mit dem britischen Botschafter auch nur zu sprechen und der die Lieferungen ins Reich aus Rußland und Japan außerordentlich intensivierte. Er ließ die diplomatischen Beziehungen zu der geflüchteten Belgrader Regierung und zu den Exilnorwegern abbrechen und anerkannte den Hitler-Freund Rashid Ali im Irak. In Moskau wie in Berlin fanden sich daraufhin viele einflußreiche Fürsprecher einer friedlichen Beilegung aller deutsch-russischen Differenzen, man munkelte von einem Treffen Hitler—Stalin und manche Kleinstaaten fürchteten bereits, daß die Einigung auf ihre Kosten vor sich gehen könnte. Der britische Generalstab ordnete noch im Mai an, eine Fliegerbasis bei Mossul aufzubauen, um die russischen Ölraffinerien um Baku auf jeden Fall wieder in Reichweite zu haben. Am 12. Juni meldete die oberste englische Nachrichtenbehörde allerdings dem Londoner Kabinett, daß die Deutschen in nächster Zeit Rußland angreifen würden. Das Oberkommando der Wehrmacht aber hatte bereits am 25. März 1941 beim Auswärtigen Amt gegen jeglichen Zutritt sowjetischer Funktionäre ins Generalgouvernement protestiert, weil sich die ungeheuren deutschen Truppenmassen dortselbst nicht mehr verbergen ließen.

Die Szene am Moskauer Bahnhof, wo Stalin bei der Verabschiedung Matsuokas den deutschen Botschafter umarmte und allen erklärte, nun müßten das Reich, die UdSSR und Japan für immer zusammenstehen, ist später in der ganzen Welt bekanntgeworden. Weniger bekannt sind heute die ungemein hartnäckig geführten Verhandlungen der Sowjets mit den Finnen, die den immer stärkeren Wunsch Helsinkis auf Revanche nicht mehr zügeln konnten. Aber auch eine logische Überlegung muß Finnland ebenso wie Rumänien zugebilligt werden: Beide Staaten rechneten einfach damit, daß die Rote Armee im Falle eines deutschen Angriffes nach vier bis fünf Monaten um Waffenstillstand bitten werde. Deshalb wollten beide Staaten auf deutscher Seite aktiv mitwirken und nach dem Sieg gehörig mitreden. Das Beispiel Litauens, das sich im

September 1939 geweigert hatte, die Polen aus Wilna zu vertreiben, war in Helsinki und in Bukarest nicht vergessen worden: Die Deutschen hatten sich nachher um Litauen nicht mehr kümmern müssen.

In dieser Situation flog Rudolf Heß nach England und die Russen gerieten erneut wagen einer deutsch-britischen Vereinbarung in Panik. Sie stürzten sich in ihre Sommermanöver, warfen, was sie konnten, an die Westgrenze und arbeiteten damit eigentlich der deutschen Vernichtungsstrategie in die Hände.

Aber ihre Lieferungen für Deutschland polterten noch über die Eisenbahnbrücken der Grenzflüsse, als im Ufergebüsch bereits deutsche Pioniere an ihren Sturmbooten hantierten.

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