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Tränen um verlorenen Staat

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Am zweiten Jahrestag der sanften Revolution in der Tschecho-Slowakei gab sich Präsident Vaclav Havel in seiner sonntäglichen Rundfunkansprache davon überzeugt, daß der gemeinsame Staat von Tschechen und Slowaken fortbestehen werde. Die Gespräche zuvor in der Slowakei hatten jedoch zu keinem Ergebnis in dieser emotionalisierten Frage geführt.

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Am zweiten Jahrestag der sanften Revolution in der Tschecho-Slowakei gab sich Präsident Vaclav Havel in seiner sonntäglichen Rundfunkansprache davon überzeugt, daß der gemeinsame Staat von Tschechen und Slowaken fortbestehen werde. Die Gespräche zuvor in der Slowakei hatten jedoch zu keinem Ergebnis in dieser emotionalisierten Frage geführt.

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Zwei Tage dauerten die Verhandlungen im Erholungsheim des Slowakischen Nationalrates in Castä-Papiernicka - nördlich von Bratislava/ Preßburg - über die staatsrechtliche Ordnung der Tschecho-Slowakei. Präsident Havel hatte das Treffen der Vorstände der nationalen Parlamente eröffnet. Das bisher 13. Gespräch über das künftige Schicksal der Föderation endete ohne konkrete Ergebnisse.

Wo liegen die Hauptstreitpunkte zwischen den tschechischen und slowakischen Repräsentanten? Das Schlußkommunique der Zusammenkunft spricht davon: Eine grundlegende Uneinigkeit besteht schon in der Benennung des zu verhandelnden Dokuments. Die tschechische Seite spricht über den Vorschlag eines „Übereinkommens der Tschechischen und Slowakin - sehen Nationalräte über die Prinzipien der staatsrechtlichen Ordnung des gemeinsamen Staates". Die Slowaken verlangen einen „Staatsvertrag zwischen der Tschechischen und der Slowakischen Republik".

Insgesamt gab es in 22 Punkten von 88 kein Einverständnis in Castä-Pa-piernic'ka - unter anderem auch in Fragen der Außenpolitik. Die slowakische Seite weist die Formulierung zurück, daß die Republiken im eigenen Namen ein internationales Abkommen nur mit Zustimmung des gemeinsamen Staates abschließen können.

Einen Tag nach diesem Tauziehen lief im Föderalparlament in Prag vor den TV-Kameras die Sitzung zur Frage des Referendums über die Zukunft des Landes ab. Nach sieben Stunden schon billigten die Abgeordneten- keinen von sechs Gesetzesvorschlägen. Gegen die Ankündigung des Referendums stimmten die Abgeordneten der Mehrheit der slowakischen Parteien und Bewegungen, im tschechischen Teil des Parlaments votierten die Kommunisten und die Volkspartei dagegen.

Zwei Jahre nach dem Zusammenkrachen des Kommunismus befindet sich die Tschecho-Slowakei in einer tiefen politischen Krise. Die Suche nach einem kompromißfähigen Ausgangspunkt scheint faktisch unmöglich. Die Slowaken hören nur sehr ungern den Vorwurf des Nationalismus; dabei ist klar, daß ein bestimmter Teil der Politiker sich schon als Repräsentanten einer selbständigen Slowakei in der UNO sieht. Bei diesem „Spiel" helfen auch einige tschechische Politiker mit, die arrogant keine eigenen Vorstellungen einer neuen Art von Föderation zulassen wollen. Und das ganze geschieht ohne Rücksicht auf die geopolitische Lage der CSFR, angesichts der komplizierten Lage in Jugoslawien und in der Sowjetunion.

Es ist sicher, daß es noch zu weiteren Verhandlungen zwischen Tschechen und Slowaken kommen wird. Den Zerfall der Tschecho-Slowakei in zwei selbständige Staaten wird man aber schwer verhindern können. Vielleicht entdeckt man nach einiger Zeit die Meinung des Rocksängers und Politikers Michael Kocäb. Dieser richtete in Castä-Papier-nicka einen kurzen Appell an die dort versammelten Abgeordneten im Namen der Initiative „Aufruf zu einem gemeinsamen Staat", den 1,1 Millionen Bürger aus der ganzen Republik unterschrieben haben. Kocäb sagte, er wünsche uns, „daß wir einmal unsere Entscheidungen nicht beweinen müssen".

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