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Träume bieten Alternativen

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Jetzt kracht und klirrt es auch bei uns; dies schien die Auffassung der heimischen Journalisten, welche sich nach den Wiener Krawallen in Leitartikeln und ausführlichen Berichten über diese ach so verkommene Jugend geradezu überschlugen.

Enttäuscht und resigniert mußte der Teil der jungen Österreicher reagieren, der sich nun schon seit Jahren auf friedliche, demokratische und recht mühsame Art engagiert, seine Vorstellungen, Pläne, Ideen unter die Leute, unter die Politiker, in die Medien zu bringen, und der meistens nach dem Motto „gar net ignorieren“ einfach unter den Tisch gekehrt wird.

„Die spinnen ja“ oder „des sind unrealistische Utopien“, mit solchen Urteilen ist man allzu rasch bei der Hand. Dabei geht’s doch so leicht, man schlage ein paar Scheiben ein, brülle möglichst laut chaotische Parolen, bespucke ein paar Polizisten und schon hat man Schlagzeilen, liegt einem die „öffentliche Meinung“ zu Füßen.

Aber es kam noch besser: die Jugend sei ja nur zu einem kleinen Teil aufmüpfig, die meisten - beruhigt euch - sind konformistisch, politisch desinteressiert und für Gebiete, die über den eigenen Bereich hinausgehen, überhaupt nicht zu haben. Kurz: perfekte Bürger.

Gibt es sie also gar nicht, jene Jugendlichen, die neben Studium oder Beruf sich mit Gesellschaft und Politik derart auseinandersetzen, daß sie nicht nur zu allem „Nein, danke“ schreien, sondern auf zahlreichen Gebieten ein durchaus fundiertes „Ja, bitte“ bieten, die in Gesprächen untereinander, mit Wissenschaftlern, Politikern, Journalisten ihre Vorstellungen beachtet, geprüft und vielleicht sogar verwirklicht sehen wollen.

Oder gibt es sie doch? Und wenn ja, was sind denn ihre Träume? Wer sie nicht kennt, kann sich bei ein bißchen gutem Willen leicht informieren (oder hat er Angst davor?). Er müßte dazu nur seine Vorurteile ablegen und sich zum Beispiel in eine der zahlreichen „alternativen“ Buchhandlungen bemühen, um dort ein wenig herumzuschmökern.

Er müßte bald feststellen, daß die Anzahl der Bereiche außerordentlich groß ist, und* die Autoren nicht nur junge „Ausg’flippte“, sondern durchaus renommierte Wissenschaftler sind, diese Probleme rational formulieren und durchaus realisierbare Lösungsvorschläge erarbeiten, Probleme, die von der oft verkannten und verleumdeten Jugend meistens leider allzu emotional aufgebauscht werden.

Dieser Interessierte (und das sollte jeder sein, der sich ein bißchen um die res publica, um die öffentliche Sache, bemüht glaubt) kann sich bald ein Bild von den Idolen und Weltanschauungen machen, das dem Denken der Jugend zugrunde liegt. Ja, sie sind utopisch, mitunter scheinbar unrealistisch, die Vorstellungen eines Ghandi, eines Erich Fromm, eines E. F. Schumacher, eines Albert Schweitzer, eines Einstein, eines Rudolf Steiner, aber auch die eines gewissen Jesus!

Sie streben das Gute im Menschen an und glauben, daß es zur bestimmenden Kraft werden kann, ja werden muß (im Gegensatz zu dem, was heute als machbar und deshalb als gut befunden wird). Sonst kracht es früher oder später: Weltkrieg, ökologische Katastrophe (Veränderung des Klimas, völlige Zerstörung des landwirtschaftlichen Bodens), Zusammenbruch der Weltwirtschaft etc., die Liste der möglichen Tragödien ist lang.

Die Vorstellungen, ja Träume bieten Alternativen für die meisten Lebensbereiche, Alternativen, die leider nur wenige kennen. Warum? Ist es vielleicht zu mühsam oder» auch zu gefährlich, sich mit ihnen auseinanderzusetzen - Beispiele?

Auswege auf dem Erziehungssektor: Vorschläge für eine Pädagogik, die nicht ausschließlich auf Druck, Angst und Frustration, sondern auf Interesse, Motivation, Menschenerkenntnis und Liebe beruht. Unsinn? Solche Schulen gibt es schon; und sie arbeiten äußerst erfolgreich, nur kennen sie die wenigsten.

Alternativen zum Thema städtisches Leben: Viele'von uns wohnen in einer Großstadt, kennen, spüren und fliehen ihre Probleme. Lärm, Gestank, Hektik, Gewalt, Beton. Gibt es überhaupt Möglichkeiten, aus diesem Dilemma herauszukommen? Anhand internationaler Beispiele wird gezeigt, welche Entwicklungen möglich sind, und daß humanere, lebenswerte Städte keine Utopien sein müssen,

Modelle zum Thema Landwirtschaft: Beiträge, die ein Bild darüber entstehen lassen, wie Wachstum, Düngung, Boden und Ernährung Zusammenhängen, welche verheerenden Auswirkungen die moderne chemisch orientierte Landwirtschaft eigentlich hat (und daß es auch ohne gehen kann), Beiträge, die darüber hinausgehen, ob man Bio-Obst kaufen soll oder nicht.

„De omnibus dubitandum“, an allem muß gezweifelt werden, so könnte man den Leitfaden bezeichnen, der sich durch all diese Ideen und Träume zieht. Wir wollen nicht bloß ablehnen und schon gar nicht zerstören, keineswegs aber kritiklos annehmen und blind dienen.

Sollte sich nicht jedermann die Freiheit lassen, zuzugeben, daß der andere auch einmal recht haben könnte, auch wenn man dadurch vom hohen Roß herunterkommen müßte. Das gilt für die jungen Träumer ebenso wie Tür die erwachsenen Macher. Wir, die Jugend, brauchen Raum und Zeit, unsere sicherlich vorhandene Kreativität in positiver Weise auszuleben. Wir bieten uns oft an, nur werden wir meist abgewiesen. Klirrende Auslagen sind dann nur der Endpunkt einer traurigen und sehr gefährlichen Intoleranz.

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