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Träume von Staatenbünden

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Wie wird Osteuropa künftig aussehen? Entstehen neue Einheiten oder kommt es zu nati®nalistischen Explosio- nen? Historische Modelle der Nachkriegszeit könnten hilfreich sein.

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Wie wird Osteuropa künftig aussehen? Entstehen neue Einheiten oder kommt es zu nati®nalistischen Explosio- nen? Historische Modelle der Nachkriegszeit könnten hilfreich sein.

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Osteuropa ist seit dem Zweiten Weltkrieg unter Fremdherrschaft gestanden. Zuerst waren es die deutschen Besatzer, danach die sowjetischen „Befrei- er". In diesen 50 Jahren totalitärer Okkupation scheint die Mentalität osteuropäischer Nationen in den dreißiger Jahren steckengeblieben zu sein. Altväterische Nationalis- men, ethnische Konflikte und Grenzzwistigkeiten bestimmen das Tagesgeschehen. Es ist, als ob der Balkan seinem alten Ruf treu blei- ben möchte, „Pulverfaß Europas" zu sein.

Die Amerikaner und Engländer begannen schon zu Beginn des Zweiten Weltkrieges für eine stabi- le Nachkriegsordnung zu planen. Dabei wurden von den Außenminiterien spezielle Planungseinheiten eingerichtet, die jedes erdenkliche Nachkriegsproblem studierten. Das amerikanische State Departement und das englische Foreign Office wurden dabei von den bestinfor- mierten akademischen Experten sowie den prestigeträchtigen au- ßenpolitischen Eliteinstitutionen, dem Council on Foreign Relations in New York und dem Royal Insti- tute for International Affairs in London, beraten. Für die Krisenre- gion Osteuropa hatten die anglo- amerikanischen Planer ein Patent- rezept, nämlich die Errichtung einer oder mehrerer osteuropäischer (Kon)Föderationen.

Die amerikanischen Planer gin- gen davon aus, daß sich die Zer- schlagung der Habsburgermonar- chie am Ende des Ersten Weltkrie- ges als fatal erwiesen hatte. Die Rivalitäten unter den Nachfolge- staaten ließen die Region in der Zeit zwischen den Kriegen nie zur Ruhe kommen. Der vom Westen zur Eindämmung des Bolschewismus aufgerichtete „Cordon Sanitaire"

stellte für die frischgebackene Sowjetunion eine inakzeptable Herausforderung dar. Die politi- sche Instabilität und die wirtschaft- liche Rückständigkeit des Balkans wiederum schien für Deutschland eine offene Einladung zu sein.

Nur eine Festigung durch politi- sche und wirtschaftliche Zusam- menarbeit - in einer mehr oder weniger zentral gelenkten „Donau- föderation" - konnte die Gewähr liefern, diese Länder am Ende des Zweiten Weltkrieges zu stabilisie- ren.

1942 nahm das Washingtoner „Beratungskomitee für Nach- kriegsaußenpolitik" seine Pla- nungsgespräche auf. In den ver- schiedenen Unterausschüssen für Sicherheit, Territorialangelegen- heiten, Wirtschaft und Politik stell- ten dabei die verschiedenen Vor- schläge osteuropäischer Staats- männer der Zwischenkriegszeit eine erste Diskussionsgrundlage dar.

So wurden eingehend die Staa- tenbundpläne Sikorskis, Eckardts und Hodschas diskutiert. Der pol- nische General und Führer der

Londoner Exilpolen Sikorski woll- te eine Wirtschaftsföderation von den Baltischen Staaten bis Rumä- nien aufrichten. Über die wirt- schaftliche Zusammenarbeit soll- ten diese Staaten zur politischen Kooperation geführt werden.

Im amerikanischen Exil schmie- dete der frühere konservative un- garische Abgeordnete Tibor Ek- kardt mit Otto Habsburg an Staa- tenbundplänen. Eckardt schlug zwei autarke Wirtschaftsföderatio- nen vor. Der eine Bund sollte die Baltischen Staaten mit Polen und Finnland zusammenführen, ein zweiter die Tschechoslowakei, Un- garn und Rumänien. Der letztere hätte von den Habsburgern angeführt werden sollen. Die amerika- nischen Planer waren sich aber vollkom- men im Klaren darüber, daß nur ver- schwindend kleine Minder- heiten in den Nachfolge- staaten an ei- ner Restaurie- rung der Habs- burger interes- siert waren. Überdies war man sich be- wußt, daß zwei kleinere Föde- rationen ge- genüber der Sowjetunion zu schwach waren.

Auch den Plan des ehe- maligen tsche- choslowaki- schen Mini- sterpräsiden- ten Milan Hodscha dis- kutierte man in Washing- ton. Hodscha hatte in der Mitte der drei- ßiger Jahre Pläne ge- schmiedet, Ostmitteleu- ropa zusam- menzuführen, um die Region gegen den zu- nehmenden deutschen Druck zu stär- ken. Anne O'Hare McCormick, die bekannte

Kolumnistin der „New York Ti- mes", nannte Hodschas Plan für eine Art landwirtschaftlich ausge- richtete Donaukonföderation die „Grüne Internationale".

Allen diesen amerikanischen Dis- kussionen lag das Grundkonzept zugrunde, daß eine Stabilisierung der Donauländer „den Schlüssel für den Frieden und die Sicherheit" Europas darstellte. Ob man nun einen mehr oder weniger zentrali- sierten Staatenbund erstellen woll- te, eine Zollunion einrichten oder einen gemeinsamen Markt schaf- fen würde - jede Art der Föderie- rung würde einer neuerlichen wirt- schaftlichen Penetration und Do- minierung von Seiten eines wieder- erstarkten Nachkriegsdeutschland entgegenwirken.

Zur Zeit dieser Planungsgesprä- che 1942/43 war die Sowjetunion ein Alliierter im Kampf gegen Hit- ler; deshalb waren die frühen ame- rikanischen Diskussionen auch frei davon, einer Donaukonföderation eine anti-bolschewistische Stoß- richtung zu geben.

Die amerikanischen und engli- schen Planer taten sich anfänglich schwer dabei, Österreich in ihre Pläne für Nachkriegseuropa einzu- beziehen. Man debattierte lange hin und her, ob Österreich einer süd- deutschen Föderation in einem zer- schlagenen Deutschland eingeglie- dert oder gar im Zentrum einer Do- naukonföderation stehen sollte. Eines war gewiß - es war der „schwere Fehler" der Pariser Frie- densordnung von 1919 gewesen, Österreich „nicht zu utilisieren".

Die Amerikaner diskutierten heftigst darüber, ob die „kosmopo- litischen" Österreicher eher in Deutschland oder in Osteuropa „zi- vilisierend" wirken könnten.

Die Experten im State Departe- ment sahen ein, daß die meisten ihrer Pläne für einen osteuropäi- schen Staatenbund „künstlich" waren. Die Pläne scheiterten am Ende aber nicht an ihrem Mangel an Realitätssinn, sondern an Präsi- dent Franklin D. Roosevelt, der sie nicht zur Kenntnis nahm.

Am Höhepunkt des Zweiten Welt- krieges trennte Roosevelt die Poli- tik von der Strategie. Zuerst galt es, den Krieg zu gewinnen; erst dann sollte man sich über die Gestaltung von Nachkriegseuropa den Kopf zerbrechen.

Der gewiefte Winston Churchill dachte da ganz anders. Für den eng- lischen Premier hingen Politik und Kriegsführung eng zusammen. Er hatte für die Donaukonföderations- pläne seiner Berater im Foreign Of- fice ein offenes Ohr. Das Foreign Office war im Frühjahr 1943 zum Schluß gekommen, daß in einem ersten Schritt ein unabhängiges Österreich geschaffen werden soll-

te, das dann in einem zweiten Schritt eine füh- rende Rolle in einem Staatenbund entlang der Donau einnehmen solle.

Churchill hatte schon nach dem 1938er An- schluß die „totale Zer- schlagung" der Österrei- chisch-Ungarischen Monarchie als „kardina- le Tragödie" bezeichnet. Während des ganzen Krieges war er der Hauptbefürworter unter den „Großen Drei" (Churchill, Roosevelt, Stalin) für eine starke Donaukonföderation. Noch 1945machteersich dafür stark. Anders als die Planer im Foreign Office konnte sich der alte Romantiker Chur- chill sogar eine führen- de Rolle der Habsburger an der Donau vorstellen.

Stalin wollte aber nichts von westlichen Konföderationsplänen - mit oder ohne Habsburger - in Osteuropa wissen. Der mißtrauische Diktator im Kreml sah hinter allen osteuropäischen Föderationsplänen des Westens den plumpen Versuch, einen neuerlichen Sicherheitsgür- tel gegen den Bolschewismus auf- zurichten. Stalin hegte seine eige- nen Pläne für die Erstellung einer sowjetischen „Sicherheitszone" in Osteuropa.

Mit dem irreversiblen Vordrin- gen der Roten Armee an der Donau und dem offensichtlichen Desinte- resse Roosevelts an Osteuropa blieb Churchill am Ende nichts übrig, als die Region mit Stalin in „Einfluß- sphären" aufzuteilen.

Wohl selten in der Geschichte wurden die Prinzipien des Selbst- bestimmungsrechtes der Völker so zynisch manipuliert, wie im berüch- tigten „Prozentabkommen" vom Oktober 1944. Der englische Pre- mier überließ Stalin Osteuropa. Damit waren die letzten Träume für die Schaffung einer Donaukon- föderation ausgeträumt. Osteuro- pa wurde im Prozentabkommen den Sowjets überlassen, daran konnte auch die Konferenz von Jalta nichts mehr ändern.

Heute, 45 Jahre nach der Teilung Europas, überlegen Leute wie der neue Mann im Hradschin, Vaclav Havel, wieder, ob nicht eine "wirt- schaftliche Zusammenführung der mittelosteuropäischen Staaten Polen, Tschechoslowakei und Un- garn zu einer politischen Stabili- sierung der Region führen könnte. Ein gemeinsamer Markt oder gar ein Staatenbund an Donau und Weichsel würde einem vereinigten Deutschland gegenüber ein Gegen- gewicht setzen, falls die osteuro- päischen Länder nicht direkt dem „Europa von 1992" beizutreten gedenken.

Auch die Überlegung der klugen Anne McCormick sollte im Auge behalten werden: „Ein Staatenbund mit rein wirtschaftlichen Gewalten führt zwangsläufig zu politischen Funktionen." Das ist der Weg, den die EG in den neunziger Jahren gehen will. Könnte .er nicht auch ein Modell für Osteuropa sein?

Die Staatsmänner im Osten könn- ten auf jeden Fall einiges von den amerikanischen Kriegsplanern ler- nen.

Hamilton Fish Armstrong, dem langjährigen Herausgeber der an- gesehenen Zeitschrift „Foreign Affairs", ist zuzustimmen, wenn er meint, daß die Zusammenführung der osteuropäischen Staaten „der wichtigste Teil der europäischen Friedensordnung" ist.

Der Autor ist „Assistant Professor of History " an der Universität von New Orleans.

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