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Tragodie in der Vorstadt

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Im Theater in der Josefstadt beabsichtigt der nunmehrige Alleindirektor Ernst Haeusserman, regelmäßig Stücke von ödön von Horväth zu spielen. Das entspricht der Horväth-Re-naissance, die nach dem letzten Krieg eingesetzt hat. Verdienst erwarben sich in erheblichem Maß die Wiener Kleinbühnen, die eine ganze Reihe von Horväth-Stücken zur Uraufführung brachten, das Theater der Courage, das Theater im Konzerthaus, die Tribüne, das Ateliertheater, das Theater am Belvedere. Das ist festzuhalten, da immer wieder behauptet wird, die Horväth-Wiederentdeckung sei ausschließlich in der BRD erfolgt (das Werk „Deutsches Theater seit 1945“ von Hans Daiber ist hier eine rühmliche Ausnahme - siehe Buchbesprechung in dieser Nummer - die Red.).

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Im Theater in der Josefstadt beabsichtigt der nunmehrige Alleindirektor Ernst Haeusserman, regelmäßig Stücke von ödön von Horväth zu spielen. Das entspricht der Horväth-Re-naissance, die nach dem letzten Krieg eingesetzt hat. Verdienst erwarben sich in erheblichem Maß die Wiener Kleinbühnen, die eine ganze Reihe von Horväth-Stücken zur Uraufführung brachten, das Theater der Courage, das Theater im Konzerthaus, die Tribüne, das Ateliertheater, das Theater am Belvedere. Das ist festzuhalten, da immer wieder behauptet wird, die Horväth-Wiederentdeckung sei ausschließlich in der BRD erfolgt (das Werk „Deutsches Theater seit 1945“ von Hans Daiber ist hier eine rühmliche Ausnahme - siehe Buchbesprechung in dieser Nummer - die Red.).

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Der kleine Totentanz „Glaube, Liebe, Hoffnung“, der derzeit im Theater in der Josefstadt aufgeführt wird, war 1933 von Heinz Hilpert zur Uraufführung im Deutschen Theater in Berlin bestimmt, es kam aber nach der Generalprobe auf Grund einer Attacke im „Völkischen Beobachter“ nicht dazu. So fand die Uraufführung an einer Wiener Kleinbühne, am „theater für 49 am Schottentor“, im Jahr 1936 statt. Unter der Regie von Ernst Jubal wirkte damals Hugo Gottschlich mit. Es folgten nach dem Krieg Aufführungen im Kleinen Theater im Konzerthaus, Regie Michael Kehlmann, im Theater am Parkring, im Kleinen Theater der Josefstadt, in den Außenbezirksvorstellungen des Volkstheaters. Eminente Pflege des Horväth-Werks in Wien. Aber erst jetzt wird „Glaube, Liebe, Hoffnung“ hier in einem großen Haus gespielt.

Aus einem Nichts an Schuld, aus einer geringfügigen Übertretung, durch Notstand bedingt, springt da riesengroß Unheil auf. Im Gefolge einer nichtigen Polizeistrafe geht Elisabeth, ein schlichtes, anständiges Großstadtmädel, schließlich ins Wasser. Nicht nur die abstrakten Verfügungen der Menschen sind schuld, jeder dieser Menschen ist es. Liebe, Güte, Menschlichkeit werden nur zu rasch erstickt von irgendeinem ichsüchtigen Streben. So zeigt hier Horväth das Leben als eine Verstrickung, aus der es kein Entrinnen gibt. Es fehlt nun freilich die allgemeingültige Notwendigkeit des vorgeführten Falles. Elisabeth müßte nicht ins Wasser gehen, wenn ihr Geliebter nicht gerade Polizist wäre. Ein Arbeiter oder Handwerker hätte sie wegen der belanglosen Vorstrafen wohl kaum verlassen. Nur für den karrieresüchtigen Polizeimann sind sie Anlaß, Schluß zu machen. Aber genau so kommen die Tragödien der kleinen Leute, denen Horväths Liebe gehörte, zustande.

Glaube, Liebe, Hoffnung werden enttäuscht. Bitternis führt aber hier beim Zuschauer nicht zu Verbitterung, die Wirkung ist Wehmut. Eine Wehmut, die nicht weltschmerzlich bis zu den Sternen reicht, die nicht fragt, weshalb die Menschen nun so sind. Keine großen Worte, was sich begibt, wirkt unbeschwert. Das liegt weit weg von aller expressiven Dramatik von einst, weit weg aber auch von dem späteren Bloßlegen der Risse in der Weltordnung bei den Absurden.

Der Regisseur Johannes Schaaf gehört nicht zu jenen Spielleitern, die Bühnenwerke nur als zu manipulierenden Rohstoff behandeln, ihm geht es weiterhin darum, den Gehalt des Stücks so gut wie möglich szenisch zu vermitteln. Das Stück bleibt unangetastet, er fügte lediglich unnötig eine Autoszene aus früheren Entwürfen ein. In Schaafs Regieleistung - klammern wir zunächst das Bühnenbild aus - gibt es keine Zutaten, Gags, Verfremdungen. Die Rollen sind gut besetzt, die Schauspieler wurden gut geführt, es ergibt sich ein wohlausgeglichenes Dialoggewebe, es stimmt alles bis in die kleinste Geste. Krista Stadler hat sehr glaubhaft die schlicht verhaltene Innerlichkeit der Elisabeth. Heribert Sasse überzeugt unaufdringlich als Schupo. Unter den vielen Gestalten, die nicht stärker zur Geltung kommen, hebt sich der eine Präparator der Prosektur heraus, den Guido in wechselndem Verhalten eindrucksvoll darstellt. Die Chansonsängerin Marianne Mendt bewährt sich in einer kleinen Rolle.

In krassem Gegensatz zum Regisseur arbeitet der BühnenbildnerErich Wonder mit Effekten. In der Prosektur, die Elisabeth am Beginn des Stücks aufsucht, steht er acht große Gerippe und anatomische Figuren auf, wie sie da nie herumstehen. Also optischer Schock im Widerspruch zum Stück. Ansonsten gibt es in den fragmentarischen Bühnenbildlösungen immer wieder Transparentwirkungen, die abermals nicht dem Stück entsprechen. Und die Musik? Mehrmals wird Chopins Trauermarsch gespielt. Das ist ganz arg, zerstört brutal das Ergriffenwerden durch das Spiel. Mit alledem war der feinsinnige Johannes Schaaf einverstanden?

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