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Transatlantische Dissonanzen

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Daß es die Europäer mit den Vereinigten Staaten als Verbündeten nicht immer leicht haben, ist nichts Neues. Was aber in Europa oft übersehen wird, ist die Tatsache, daß auch die Amerikaner ihre liebe Müh und Not mit ihren europäischen Alliierten haben. Die Geschichte des 1949 gegründeten Nordatlantischen Bündnisses (NATO) ist voll von Mißverständnissen, Spannungen und Krisen.

Wir wollen hier nicht die Fehler und Versäumnisse, die auf das Konto der Amerikaner gehen, untersuchen, zumal diese in Europa hinlänglich bekannt sind, sondern skizzieren, wie man heute auf der anderen Seite des Atlantiks über Europa denkt.

Als Außenminister Henry Kissinger einmal von Journalisten gefragt wurde, ob er über ein bestimmtes Problem schon mit Europa gesprochen hätte, antwortete er mit einer Gegenfrage: „Können Sie mir sagen, wen man anruft, wenn man mit .Europa' telefonieren will?"

Tatsächlich ist Europa — oder besser gesagt das nicht-kommunistische Europa — heute von einer politischen Einigung weiter entfernt als vor ein oder zwei Jahrzehnten.

Uber viele Stationen, wie die deutsche Ostpolitik Willy Brandt's und das Abkommen von Helsinki, scheint es Moskau auf einem langen Weg, den es konsequent verfolgte, gelungen zu sein, die Westeuropäer viel näher an jenes Ziel herangebracht zu haben, das der Kreml anpeilt: Das Ziel heißt Blockfreiheit, Neutralismus oder - weniger euphemistisch ausgedrückt — weitgehende politische und wirtschaftliche Abhängigkeit Europas von der Sowjetunion.

In der Wahl der Mittel, die helfen sollen, dieses Ziel zu erreichen, ist Moskau nicht zimperlich: Sie reichen von verlockenden Angeboten (z.B. Lieferung von sibirischem Erdgas über eine Rohrleitung nach Westdeutschland, um dieses hinsichtlich der Energieversorgung von Moskau abhängig zu machen) bis zur Förderung des internationalen Terrorismus.

Es scheint, daß die Veränderungen der Szene in Europa gerade in letzter Zeit besonders augenfällig waren und daß sich der Lauf der Dinge beschleunigte:

Der westdeutsche Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnet sich seit seinem letzten Zusammentreffen mit Staats- und Parteichef Leonid Breschnjew in Bonn gerne als „Dolmetscher", soll heißen Vermittler, zwischen den beiden Supermächten; die von Moskau geschürten oder dort zumindest hochwillkommenen, deutlich anti-amerikanischen Friedens-Demonstrationen, die sich gegen die Stationierung amerikanischer Raketen auf europäischem Boden richten (merkwürdigerweise aber nicht gegen die drückende Ubermacht sowjetischer Raketen in Mittel- und Osteuropa!), haben an Umfang und Lautstärke rapide zugenommen.

Europa, scheint es, möchte alles vermeiden, was Moskau ärgern könnte und alles tun, was ihm gefällt, also sich mit Moskau arrangieren, ganz nach dem Motto: „Lieber rot als tot!"

Seit vielen Jahren drängt Washington seine Verbündeten in Westeuropa vergebens, sich in ihrer Verteidigung nicht in so hohem Maß wie bisher auf die USA zu stützen, sondern aus eigenem größere Anstrengungen zu machen.

Ähnlich wie sich in der Musik ein Motiv zunächst ganz leise ankündigt bevor es sich in voller Lautstärke entfaltet, so bahnt sich offenbar jetzt, vorerst noch nicht für jedermann wahrnehmbar, in den Vereinigten Staaten ein Umschwung an, der nicht mehr und nicht weniger besagt, als daß die Europäer ihrem eigenen Schicksal überlassen werden sollten.

Das „Wall Street Journal" brachte am 15. Dezember des vergangenen Jahres unter der Uberschrift „Should the U.S. leave NATO?" („Sollen die USA aus der NATO austreten?") einen Beitrag, in welchem der Autor empfiehlt, Amerika möge den Schwerpunkt seiner Interessen von Europa in das wirtschaftlich aufstrebende Japan verlagern und sich militärisch aus Europa zurückziehen.

Dieser Vorschlag ist freilich weder ganz neu noch originell: Schon 1966 hat Senator Mike Mansfield unter Hinweis auf die Kosten des Vietnamkrieges den Abzug der amerikanischen Truppen aus Europa gefordert. Aber seither kam diese Frage nie wieder aufs Tapet.

„Wir können nicht ein Europa verteidigen, das nicht bereit ist, sich selbst zu verteidigen. Wenn wieder der Schirm des Einlenkens und Nachgebens in Erscheinung tritt, dann wird eben unser Atomschirm verschwinden", schreibt der bekannte Kommentator William Safire in der „New York Times" vom 27. Dezember v. J.

Ins gleiche Horn stößt die Foreign Policy Association in ihrer Anfang Jänner publizierten Broschüre „Great Decisions '82". Darin wird ein Beschluß des U.S.-Kongresses empfohlen, der den' etappenweisen Abzug der amerikanischen Truppen aus Europa bis zu einem bestimmten Datum festlegt, falls die Europäer nicht endlich höhere Beiträge zu ihrer eigenen Verteidigung leisten.

In dem gleichen Artikel kommen allerdings auch die Gegner einer Wiederbelebung des Mans-field-Planes zu Wort. Sie weisen darauf hin, daß ein amerikanischer Rückzug aus Europa Moskau in die Hände spielen würde.

Wie immer sich die transatlantischen Beziehungen in den Achtzigerjahren entwickeln mögen, eines steht jetzt schon fest: nämlich daß die USA immer weniger Verständnis für die europäische Politik des Nachgebens und Beschwichtigens gegenüber der Sowjetunion haben werden.

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