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„Transpar enz"—Lösung für Zeitungsk risen?

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Belt mehr als zehn Jahren wird in Osterreich, häufiger allerdings hinter als vor den Kulissen, die vom Justizministerium, der Regierung, dem Parlament, den Parteien, den Kammern, den gewerkschaftlich oder nicht organisierten Journalisten, den Verlegern, Herausgebern, l)mckern, Werbe- und Vertriebsgesellschaften und was da noch „zusammengehört", gestellt werden, um ein „neues, modernes Presserecht" gerungen. Und längst geht es nicht mehr allein um „gesetzlich Faßbares", etwa um widersin-nige Entgegnungsparagraphen und was an ihre Stelle treten sollte, sondern in viel höherem Maße, so hat es den Anschein, um die Ausfüllung des Begriffes ».Pressefreiheit" und um die „Transparenz" der Presse schlechthin.

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Belt mehr als zehn Jahren wird in Osterreich, häufiger allerdings hinter als vor den Kulissen, die vom Justizministerium, der Regierung, dem Parlament, den Parteien, den Kammern, den gewerkschaftlich oder nicht organisierten Journalisten, den Verlegern, Herausgebern, l)mckern, Werbe- und Vertriebsgesellschaften und was da noch „zusammengehört", gestellt werden, um ein „neues, modernes Presserecht" gerungen. Und längst geht es nicht mehr allein um „gesetzlich Faßbares", etwa um widersin-nige Entgegnungsparagraphen und was an ihre Stelle treten sollte, sondern in viel höherem Maße, so hat es den Anschein, um die Ausfüllung des Begriffes ».Pressefreiheit" und um die „Transparenz" der Presse schlechthin.

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Das geschieht nicht nur in Österreich, es geht ringsum in der Welt, wo immer sie uns nach westlich-demokratisdien Prinzipien organisiert entgegentritt, womöglich noch heftiger vor sidi. Das Phänomen ist zudem vielsdiichtig und hat sowohl eine materielle als audi eine immaterielle Seite. Obsdion sich beide nicht gut voneinander trennen lassen, weil eine aus der anderen hervorgeht, soll die Begutachtung der materiellen (wirtschaftlichen, kommerziellen) erst in einem späteren Beitrag erfolgen. Die Übersichtlichkeit zwingt einfach dazu. Vor dem Hintergrund der oben geschilderten zähen Auseinandersetzung erletote das österreichisdie Publikum drei Zeitungskriege, die jeweils für die Ursachen dafür ausgegeben wurden, daß „nun alles in Bewegung komme", was sie jedodi nicht gewesen sind. Sie sind wahrheitsgemäß nur Symptome untergründiger wirtschaftlicher, personaler, gesellschaftlicher und alles in allem höchst politisdier Vorgänge. Die Ergebnisse dieser „symptomatischen Kriege" sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen. Im ersten, der um die politische Herrschaft auf dem Wiener Boulevard geführt wurde, mauserte sich quasi über Nacht der bis dahin „schwarze" Bild-Telegraf unter Beibehaltung fast der gesamten Redaktion und des Chefredakteurs, jedoch unter einem neuen Herausgeber und Verleger und dank neuer Geldgeber zum „roten" Express. Im zweiten ging es um die Gewalt über die Kronen-Zeitung, die eine ebenso erstaunliche wie verworrene Gründungsphase hatte. Er endete für den Angreifer, ein Konglomerat aus SPÖ und ÖGB, verlustreich. Im dritten, der aus dem zweiten, wenn audi seltsam verändert, ursädilidi hervorging, wurde (und wird nodi) um Eigentum und Besitz an der Kronen-Zeitung gerungen, was bekanntlich nidit immer dasselbe sein muß. Er mündete zunächst darin, daß nunmehr der Express und 49 Prozent des vormals Moldenschen Pressehauses mit der Kronen-Zeitung augenscheinlich in eine gewisse Personalunion geraten sind.

Der Weg durch diese zeitungs-gesdiiditlidi hodiinteressante Phase ist im übrigen mit Zeitungsleichen gepflastert, von denen heute niemand mehr spricht. Audi sie sind Symptome.

Am Höhepunkt der jüngsten Krise schwenkte das Interesse sowohl der Branche als audi der vermeintlich oder wirklidi daran Anteil nehmenden öffentlidikeit plötzlich zu neuen Zielen. „Presserecht" und „Pressefreiheit" traten in die vormaligen Aufmerksamkeitsrechte der Skandale, „Transparenz" lautet der Ruf der Stunde.

Kein Gesetz, kein Rücktritt

Als vor mehr als zehn Jahren Justizminister Dr. Broda ankündigte, er werde nun ein neues Pressegesetz einbringen und zurücktreten, falls er damit nidit durdikomme, mußte er diesen Standpunkt alsbald revidieren. Er kam nicht durch und er trat nicht zurück: zwar war die Zeit längst reif für dieses Gesetz, aber jene, von denen es letztlich abhing, es zu beschließen — und das sind nicht nur „die" Politiker und „die" Parlamentarier gewesen, aiber immerhin audi sie — waren sichtlidi noch nidit reif dafür. Es bedurfte also einerseits des Todes des Volksblattes und damit fast des gesamten „ÖVP-unmittelbaren Pressereiches", anderseits des Aufzuges der Falk-Dichandschen Großuntemeh-mung (Kronen-Zeitung, Express und Pressehausanteil mit allen Drum und Dräns, vom Vorwärts bis zur BAWAG, um dem Aufschrei nadi „Freiheit und Transparenz" die rechte Gewalt zu verleihen.

Um die Freiheit der Schreiber

Zunächst verfiel man auf das „Offenlegungsgesetz". Es soll dem Publikum deutlidi machen, welche (politische) Art von Zeitung es kauft, es soU dem Journalisten Meinungsfreiheit garantieren, es soll — denn einer muß der Novak sein! — dem Verleger und dem Herausigeber, dem

Eigentümer oder Besitzer engere Grenzen ziehen.

Sehen wir einmal nach, was „Pressefreiheit" eigentlich meint. Nadi Artikel 149 der Bundesverfassung garantiert sie nidit nur jedem Staatsbürger, sondern natürlich auch Gruppen von solchen (also Parteien, Verbänden usw.) nicht bloß frei eine Meinung äul3em, sondern diese auch gedrudct verbreiten, ja unbehelligt verkaufen zu können. Zensur ist dem Text nach ausgeschlossen. Daran gebricht es nun in Österreich nicht! Berüd«ichtigt man noch, daß der Artikel 149 auch die freie Verbreitung von Drudeerzeugnissen garantiert, die gar keine eigene Meinung äußern, ja es nidit .einmal auf Meinung abgesehen haben, sondern vielleidit nur auf Unterhaltung, so kennt die Pressefreiheit hierzulande nur Grenzen dort, wo etwa andere Gesetze oder die Verfassung bedroht oder gebrochen werden

Aber darum geht die Diakussion gar nicht. Sie geht um mehr. Um mehr „Meinungsfreiheit" intern.

Journalisten wollen, einzeln oder in Gruppen, mehr interne Pressefreiheit, im Extremfall überhaupt schreiben dürfen, was sie wollen und wie sie wollen.

Seltsame Avantgarde

Sie finden darin Zuspruch einer seltsamen Avantgarde, die soweit geht, öffentliche Einrichtungen zu fordern, die, in Schulen, Volkshochschulen oder anderswo aufgestellt und staatlich finanziert, gewissermaßen jedermann zu Gebote stehen, der „seine freie Meinung" in Umlauf setzen möchte. Eine Art „Volldemokratisierung des Mediums", die freilich längst auch die Grenze des bloß Utopischen weit hinter sidi gelassen hat. Der vollkommen „freie Autor" ist nur als einer von Büchern und Broschüren denkbar, doch audi er kann keinen Verleger verpfiichten, sein Manuskript anzunehmen. Das dürfte überall in der Welt so sein. In der zwangsläufigen Koppelung materieller und immaterieller Interessen und Vorgänge, die noch dazu, wie Zeitungen, nidit bloß unter einem idealen und einem wirtschaftlichen Aspekt zu sehen sind, sondern gleichviel auch unter einem rein technischen, ist die Kollektivität oder Kollegialität des Produktionsvorganges nicht mehr wegzudenken.

Nun benötigt jede, gleich wie strukturierte Gruppe, die unter technischen und marktgegiebenen Zwängen steht und deren Erfolg einer periodischen Puiblikumsabstimmung — dem Kaufentschluß — unterworfen ist, ein Ziel, wonach sich alles richten muß. Die ZielvorsteUung, aus der dann die Zielgruppe hervorgeht, wird entweder politlsdi oder wirtschaftlich, beides im weitesten Sinne zu verstehen, nicht selten aber nach beiden Aspekten gewählt werden. Die „Wahlfreiheit" des Journalisten besteht darin, sich für das ihm am meisten zusagende Modell zu entscheiden. Natürlich hat audi er, wie jeder andere im Berufsleben, nicht den verbürgten Anspruch, auf jeden Fall auch beschäftigt zu werden. Hat sidi der Journalist entsdiieden.

so ist er den „innneren Gesetzen" des Modells unterworfen, sowohl was „die Meinung" anbelangt als audi, was die „Organisation" betrifft.

Im Falle eines Mustermodells zählt für alles weitere, Aulstieg, Verantwortlichkeit, Durchsetzung persönlicher Meinung usw. in der Regel nur die Leistung. Die Wirklichkeit sieht freilich düsterer aus, aber das bringt die Sache eben so mit sich. Natürlich hat der Journalist auch Ansprüche zu stellen, und er stellt sie auch. Etwa den, in seiner Wahl nicht getäuscht zu werden, indem das Modell, für welches er sich entschieden hat, nicht listig und verschleiert seinen Charakter verändert oder ganz verliert, ihn aber weiterhin zur Arbeit verpflichtet. Die sehr weit gehenden Gesetze und Kollektivverträge mögen hier nodi zu verbessern sein. Grundsätzlich aber, muß man sagen, gibt es da bereits weitaus größere Sicherheiten (oder Entschädigungen) als in fast allen anderen Berufen.

Das gelegentlich als „transparenter" angepriesene „Rätesystem" ist im Journalismus kaum zu verwirklichen. In der Regel verliert das Publikum an Produkten, die so erzeugt werden, bald die Lust. Es kauft sie nicht mehr. Hier nun etwa — sei es „um der Demokratie willen" oder worum sonst — „Staatshilfe" zu erwarten, heißt die Qualität des Staates in unserer Zeit zu verkennen.

Es gibt viele Möglichkeiten, Redak-

tionen und garaže Zeitungsbetriebe — denn eine Zeitung ist eben nicht „nur Redaktion"! — mit internen, zeitgemäßen Statuten zu versehen, sie zu demokratisieren, wenn man das so nennen will. Das gibt es nicht erst heute, sondern so etwas gab es schon vor hundert und mehr Jahren(!). Doch die Erfahrung lehrt, daß in deni Maße, wie man das Modell in autonome Teilbereiche und diese wiederum in autonome Persönlichkeitsbereiche zerlegte, das Produkt unansehnlicher wurde, schrumpfte oder ganz zerflel.

Es gibt immer Hintermänner

Was es bis vor kurzem noch gab und vereinzelt heute noch geben mag, die gewaltige Autorität des „Großen Zeitungsmachers" auf dem Verleger-, Herausgeber- oder Chefredakteurstuhl, der quasi „urbi et orbi" letzte Wahrheiten verkündet oder deren Verkündung anordnet, der alles sich und sich entweder „dem Gesdiäft" oder „der Macht" unterwirft, ist längst verblaßt und wird bald gänzlich entsduwunden sein. Der „starke Mann" wird ziwar immer noch der klügere, der fachlich beschlagenere, meinethalben der routiniertere sein, ah>er was wäre er ohne „Team", das wiederum den Namen nicht verdiente, bestünde es aus kriecherischen Opportunisten, Untalentierten oder bloß von irgendwann „gemieteten erfinderischen Zwergen"? Ein anderes mag da viel mehr zum „allgemeinen Unbehagen" an der Pressefreiheit oder an dem, was wir von ihr zu sehen bekommen, beitragen. Früher einmal vertrat die Presse den Bürger gegen den Staat und gegen den Absolutismus, der ihm innewohnte. Seit alle Bürger „der Staat" sind, ist es mit dieser Mission vorbei. Nun vertritt die Presse — sofern sie sich auch nur einigermaßen politisch versteht — innerhalb des Staates Gruppeninteressen verschiedenster Qualität. Welche, das „offenzulegen" bedarf es wohl kaum eines Gesetzes, denn das quillt aus ihren Spalten deutlich genug hervor. Ich will nicht leugnen, daß es da immer noch eine ganze Anzahl dreister oder duimmdreister Tamuneen gibt. Ich frage midi jedoch, ob diese jemals, von Gesetze^ und gesetzeskräftigen Verträgen völlig aufgedeckt oder gar gänzlich verhindert werden könnten. Wenn wir über ein Gesetz verfügen werden, das aufhellt, wer „hinter" einer Zeitung steht, wer sie bezahlt, beeinflußt, auf geheimnisvolle Weise lenkt und leitet, wie und wann werden wir erfahren, wessen Vordermann dieser Hintermann ist? Und wenn wir ge-setzlidi Klarheit darüber erzwingen könnten, auf wen der hört, der etwas schreibt, wie wollten wir ge-setzilidi Klarheit darüber schaffen, auf wen jener hört oder hören muß, auf den gehört wird? Irgendwie, aber eben audi nur irgendwie gesichert ist dieses Wissen — auch das muß gesagt werden — nur bei Partei- oder weltarasdiau-lich fest gebundenen Zeitungen. Audi ohne Gesetze. Doch audi hier und erst recht anderswo bleibt ein mehr oder minder großer Rest an Zweifeln. Diesen in Betracht zu ziehen, wird — Gesetze hin, Gesetze her — stets dem Publikum überlassen bleiben, das sidi im übrigen, solange „Pressefreiheit" und ,JVIarkt-freiheit" bestehen, ja durch Auswahl informieren und entsdieiden kann.

Für ein realistisches Pressegesetz

Gewiß brauchen wir ein neues Presserecht, zumal dem alten, seit 1867 fast unverändert geltenden, reidilidi Barockes anhaftet. Was wir nicht entwerfen sollten, wäre ein Gesetz, das mehr wiU als Menschen eben (und bekammen) können und das den idellen oder materiellen „Sadiawang" ignoriert, dem die Menschen unterworfen sind. Als Adenauer seinerzeit der zweifellos diffusen ,3piegel"-Affäre ansichtig wurde, vermeinte er, „in einen Abgrund von Verrat" zu blicken. Es war nur Pressefreiheit. Und die ist ein zu allen Zeiten schwer zu disziplinierendes Risiko.

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