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Trauert man Düggelin nach?

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Die große Euphorie der Basler über ihr neues Superhaus ist noch nicht abgeklungen — inwieweit das jedoch eine Folge des Verlangens ist, den aus so vielen Millionen Steuer-fränkli errichteten Neubau nun auch zu genießen, steht dahin. Sichtbar ist, daß sich das Publikum gewandelt hat. Werner Düggelins — des ehemaligen Intendanten — umfangreiche Anhängerschar macht sich rar. Die Abendrobe und das ältere Semester dominieren über die, noch zu Dügg's Zeiten (wie er heute noch in Basel liebevoll genannt wird) sich auch in der traditionsreichen Rhein-Metropole recht avangardistisch und leger zeigenden Jugend. Hält sich diese vom Theater zurück? Ist Basel auf dem Weg zurück ins „Establishment“, ins brave Stadttheater, aus dem es Düggelin vor gut sieben Jahren herausgeholt hat?

Nach nur vier Monaten eine schwer zu beantwortende Frage. Eine Reihe nicht gerade revolutionierender, doch durch ihre mutige Regieauffassung interessanter Premieren, wie die Opernregie der Schauspielerin Birke Bruck „in Hoffmanns Erzählungen“ oder die „Tra-uiata“-Inszenierung des Schauspielregisseurs Maximilian Schell und selbst der Operetten- und Strauß-Jahr-Beitrag des Hausherrn selbst (Wiener Blut“) hatten durchaus ihre Meriten. Doch der Jugend waren sie zu wenig fortschrittlich und den Alteren zu wenig traditionell. Vor allem traf Hollan mit

In der Weihnachtsbeilage der FURCHE erscheinen unter dem Titel „Kunst und Literatur“ folgende Beiträge: „Das religiöse Lächeln“ von Franz Richter, „Österreichs kulturelle Sendung“ von Alexander Lcrnet-Holenia, „Wagner in Wien“ von Helmut A. Fiechtner, „Das Licht in der Höhle“ von Eugen Andergassen, ein ironischer Nachruf auf das Jahr der Frau von Dora Dunkl sowie mehrere Weihnachtsgedichte. seiner bös ä la Nestroy karikierten Regie zu „Wiener Blut“ den Traditionsnerv nicht weniger Basler, die sich auf ein rauschendes Fest gefreut hatten. Statt dessen gab's im ersten und letzten Akt vorzügliches Schauspiel und im zweiten Akt brachte Hollmann mit einem süperben Finale das Kunststück fertig, Wiener-Walzer-Seligkeit und Ballett-Beschwingtheiten en bloc zu produzieren. Eine diskutable Art, Operetten aufzupolieren, zumindest dann, wenn sowohl gesangskräftige Schauspieler wie schauspielerfahrene Sänger zur Verfügung stehen. Mit Jean van Ree, Ina Dressel und Gernot Kern war dieses Problem gelöst.

Doch noch stehen die wichtigsten Regisseure für diese Spielzeit in Basel aus: Horst Zankl, Gustav Rudolf Sellner sowie Werner Düggelin selbst präsentieren sich gleich öfter auf dem Regiezettel. Der ehemalige Intendant noch vor Weihnachten mit der Erstaufführung von Roberto Athaydes „Auftritt Dona Margarita“.

Auch die letzte Premiere, Marieluise Fleissers wehmutbeladenes Stück „Pioniere in Ingolstadt“ hatte etwas besonderes zu bieten: Es war eine deutschsprachige Erstaufführung. In einer völlig neuen Bearbeitung von Klaus Völker (Dramaturgie), die sich auf die frühen Fassungen von 1928 und 1929 stützt, verstand es auch Regieneuling Felix Prader (bisher Zürich), die wehmütigen Szenen aus einer kleinen Provinzstadt, die Schwierigkeiten mit der Liebe einer gehemmten Jugend zart, hoffnungsfrah und resignierend vorzustellen. Klugerweise verzichtete Völker ebenso auf die sexuelle Libertinage, die noch am Berliner Schiffbauerdammtheater zum Eklat führte (und heute kaum mehr Wirkung zeitigte) wie auf die von der Autorin unter dem Druck der Nachkriegszeit entstandene „entmilitarisierte“ Fassung, die die Mängel des Stücks eher intensiviert hatte. Was blieb, war eine Reihe von Szenen von beklemmender Dichte, das Wiedersehen mit einer Autorin, die in ihren ursprünglichen Werken in direkter Linie mit Horvath und später Kroetz zu nennen ist — wenn auch bei jenen die Probleme blutvoller und handfester angepackt wurden. Expressivität der Sprache und Suggestion der Dichtung, Menschen die zueinander wollen, „doch es langt halt hinten und vorne nicht“ — das vermittelte auch das als Licht- und Schattenriß gehaltene Bühnenbild. Hertha Shell, Verena Buss, Helmut Berger und Jochen Tovote hatten großen Anteil am Gelingen dieses Wagnisses, mit dem — wieder einmal — nicht jeder im Parkett zurechtkam.

• Mitglieder des Literaturkreises PODIUM führten 1975 eine Testreihe an Schulen durch. Thema: Was für eine Beziehung hat der Schüler der Oberklassen heute zur Liebeslyrik? Was liebt er und warum? Was lehnt er ab und warum? 20 Texte zeitgenössischer Autoren standen zur Diskussion. Das vorliegende Material aus städtischen und ländlichen Gebieten bereitete Überraschungen. Ein ausführlicher Bericht wurde zum Tag der Lyrik gesendet.

• Vor kurzem jährte sich zum 100. Mal der Geburtstag des Germanisten und Literaturhistorikers Eduard Castle. Im Lauf seiner 50jährigen Tätigkeit als akademischer Lehrer sind viele tausend Studenten Hörer seiner Vorlesungen und. Prüflinge gewesen. Er hat die bisher umfassendste Darstellung der österreichischen Literatur von Nagl-Zeidler vollendet und mehr als 800 wissenschaftliche Artikel publiziert.

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