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Trauma der Palästinenser

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Ein Teil der Familie von Mohammed Azzis* lebt im Gazastreifen, ein anderer in Kuweit. Unmittelbar nach dem Einmarsch der irakischen Truppen in das Scheichtum sucht die Familie um Visa nach Ägypten, Syrien, Jordanien und in den Libanon an. Von keiner Vertretungsbehörde erhält sie die notwendigen Papiere.

Hassan Abugalia*, seit mehr als 20 Jahren in Österreich, bereits österreichischer Staatsbürger, reist nach Tunesien. Am Flughafen wird er acht Stunden festgehalten, weil die Behörden anhand des Geburtsortes „Jaffa” sich nicht sicher sind, ob Abugalia nicht in gefährliche Affären verwickelt ist.

Shawki Abtai*, ebenfalls in Österreich lebender Palästinenser mit österreichischer Staatsbürgerschaft, hat Schwierigkeiten, ein ägyptisches Einreisevisums für einen Urlaubsaufenthalt zu bekommen.

Palästinenser können auch dann, wenn sie längst ihr Heimatland verlassen urtd die Staatsbürgerschaft des Gastlandes angenommen haben, sicher sein, daß sie stets verschärfter Beobachtung ausgesetzt sind. Viele von ihnen sind überzeugt, daß sie letztlich niemand will. Dabei schließt sich ein Teufelskreis: In ihrer eigentlichen Heimat politisch bevormundet, erleben Palästinenser Unzufriedenheit als Dauerzustand, gepaart mit dem Gefühl der Ungerechtigkeit und der Existenzangst: Wird ein Großisrael wahr werden, das Palästinensern keinen Platz in ihrer Heimat läßt? Diese Gefühle führen zu organisierten und spontanen Protesten, zu Kampfund Bereitschaft, Risiken einzugehen, um den lebensunwürdigen Zustand zu beenden.

Achmed Türk - Psychiater, Neurologe und Kinderarzt in Wien -hat 1986 in seiner Studie „Gesundheit und psychischer Zustand verwaister Flüchtlingskinder im UNRWA/ YMCA Lager in Jordanien” auf die traumatischen Erlebnisse von Kindern hingewiesen, die von ihnen allein nicht mehr bewältigt werden können.

Vielen mangelt es an Selbstvertrauen, sie werden als ausgesprochen scheu beschrieben. Eine der Ursachen dafür ist die Tatsache, daß im arabischen Raum der einzelne als Mitglied einer Familie definiert wird. Der Verlust des Vaters macht aus Kindern zwangsläufig Menschen zweiter Klasse - auch dann, wenn ein Onkel sich um Erziehung und Behausung bemüht.

Die Aussichtslosigkeit der Lage - die Stärke Israels, die Almosenvergabe und die nicht wirkliche Hilfe der Araber - lassen die Tendenzen zur Gewalt entstehen, die den Krieg als einziges legales Mittel zur Veränderung erscheinen lassen. Nur auf diesem Hintergrund sind die Jubelschreie der Palästinenser zu „verstehen”, die jede irakische Rakete auf Israel begleiteten.

Palästina ist eines der Zentralprobleme des Nahen Ostens und der Welt. Ziel einer Neuordnung muß die wirtschaftliche Gesundung sein, die politische Selbstbestimmung, wobei sich jeder selbst aussuchen dürfen muß, ob er ein Palästinenser ist und keine Außenbestimmung erfolgen darf, wer als Palästinenser klassifiziert wird, und die zielgerichtete Arbeit an jenen, die durch die tägliche Gewalt schwere seelische Schäden genommen haben. Die augenblickliche Tendenz, daßjede Seite meint, bisher zu wenig Gewalt angewendet zu haben, geht mit Sicherheit in die falsche Richtung.

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