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Traurig sterben die Agenten

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Bestseller sind sowohl ein literarisches (oder antiliterarisches) wie auch ein ökonomisches Phänomen. Zwei neue Bestseller liegen vor uns. Und provozieren nicht nur literarische Fragen.

Eine der ältesten Literatenfragen: Wie schreibt man einen Bestseller? Oder genauer: Welche Voraussetzungen muß ein Roman erfüllen, um die Chance zu haben, ein Bestseller zu werden? Das Spektrum der Antworten reicht vom simplen „Werbung ist alles …” bis zu der Erkenntnis, daß die geheimnisvolle Korrespondenz zwischen der Atmosphäre eines Romanes, dem Lebenisgefühl, das ihn durehdringt, und den Empfindungen und geheimen Bedürfnissen der Epoche, in der er erscheint oder entdeckt (wiederentdeckt) wird, viele explosive Romanerfolge erklärt. Vom „Werther” bis zum „Steppenwolf”, dessen amerikanische Rechte der Verleger Unseld in den fünfziger Jahren um einen Pappenstiel zurüakkaufte, nicht ahnend, daß er damit eine Goldgrube erwarb.

Das wäre, wenn man so sagen darf, das S.chwerfaßbare, das Irrationale am Phänomen des Bestsellers, den es auch schon gegeben hat, bevor er so hieß. Auf der anderen Seite, jener, wo nüchtern gerechnet wird, siebt das Faktum, daß heute spektakuläre Romanerfolge unbekannter Autoren ohne massive Werbeunterstützung kaum noch stattfinden. Dies hat manche Leute au der Ansicht verführt, Werbung sei alles, könne alles. Tatsächlich gewann die Bedeutung des Verlegers als Filter’ zwischen Autoren und Lesern an Bedeutung. Der Verleger entscheidet heute nicht nur, was gedruckt wird. Er entscheidet auch, was durch konzentrierten Einsatz der Werbemittel zum Bestseller werden soll. Bücher, die mit einer Startauflage von 3000 Stück erscheinen und trotzdem Bestseller werden, sind heute selten wie totale Sonnenfinsternisse.

Ein Buch hingegen, für das entsprechend geworben wird, muß auf der Bestsellerliste landen — das ist, wenn die Entscheidung gefallen ist, fast eine Lebensfrage für den Verlag. Und es landet auch auf der Bestsellierliste. Womit zwar für den Autor, nicht aber für den Verleger der Gewinn gesichert wäre. Denn die Maßzahl für den ökonomischen Erfolg eines Bestsellers ist heute nicht mehr die absolute Auflagenhöhe, sondern das Verhältnis zwischen Aufwand und Verkaufszabl. Ein Romanerfolg, der einen so hohen Werbeaufwand erfordert, daß er trotz großer Auflage zu einem Verlustgeschäft Wird, ist keiner. Maßgebend für den echten Erfolg (und für den Gewinn) ist daher nach wie vor das Gespür des Verlegers für die Bedürfnisse und Stimmungen der Zeit.

In einer Phase steigender Herstellungskosten bei nicht ohne weiteres nachzuziehenden Preisen wird die Spanne zwischen einem Werbeaufwand, der einen Gewinn ermöglicht, und einem, der ihn völlig verzehrt, immer schmaler. Bestseller sind heute nicht mehr Glücksfälie, die dem Verleger in den Schoß fallen, sondern werden mit erheblichem Risiko „gemacht”. Begreiflicherweise sind die Verlage bestrebt, das Risiko zu vermindern. Daher die weiter zunehmende Tendenz, aus Autoren, die einmal Erfolg gehabt haben, „Fabriken” zu machen, die am laufenden Bahd Romane produzieren. Romane, die, befreit von den Abenteuern der Korrespondenz mit den Stimmungen der Epoche, die gelingen kann oder auch nicht, als Markenartikel gekauft werden. Zwei aktuelle Beispiele: Der neue Roman „Dame, König, As, Spion” verdankt seinen Erfolg vor allem der Tatsache, daß der Autor, John le Carrė, einst den „Spion, der aus der Kälte kam” geschrieben hat — obwohl dieses sein neuestes Buch wesentlich besser ist. Und der neue Roman „Die Hunde Krieges” wird, wie man hier tatsächlich sagen darf, vom Markt in einer Riesenauflage geschluckt, weil Frederick Forsyth den „Schakal” geschrieben hat — oWohl dieses sein neuestes Buch wesentlich schlechter als sein erstes ist. Die weiteren Bücher arrivierter Bestsellerautoren folgen eigenen, für die Verlage sehr angenehmen Gesetzen. (Daher auch das Wettrennen der Verlage um die Übersetzumgs- und Taschenbuch- rechte.)

Die beiden Romane sind Bestseller. Aber sie sagen nichts darüber, warum ein Roman zum Bestseller wird, ein anderer nicht. In beiden Fällen liegt ja diie primäre Ursache des Erfolges außerhalb der beiden Buchdeckel, nämlich in der Vergan- gemhei’t, im früheren großen Erfolg des Autors. Anderseits: In beiden Romanen spürt; man die Klaue des Löwen.

Thema und Faszinosum des „Spion, der aus der Kälte kam” war die Unbarmherzigkeit und Brutalität der ost-westlichen Geheimdienst- Mahlsteine, die den Agenten unmittelbar vor der erhofften Rückkehr aus der Kälte des Außendienstes in die Wärme eines sicheren Lebens vernichten. In seinem neuen Roman beweist John le Carrė, daß ein Bestseller wicht nur literarische Qualität haben, sondern daß er auch schwierig zu lesen, stellenweise fast gegen den Leser geschrieben sein darf. „Dame, König, As, Spion”: Ein Abenteuer, in dem bis zum abschließenden Showdown eigentlich nichts „geschieht”, jedenfalls wenig Äußerliches. Die Recherche eines unrühmlich abgehalfterten, aber aus der Versenkung zurückgeholten Gehedm- dienstmannes nach einem sowjetischen „Maulwurf”, der sich, ein britischer Guilleaume, in jahrzehntelanger Anstrengung in eine führende Position im britischen Geheimdienst emporgearbeitet hat. Das Agentenabenteuer als ein eigentlich inneres, als eine Reise in die Vergangenheit, auch in die eigene. Und ein Roman von großem psychologischen Reichtum und jeder stilistischen Qualität, die, vor allem in der angelsächsischen und leider überhaupt nicht in der deutschen Literatur, die Unterscheidung zwischen Unterhaltung „at it’s very best” und Kunst oft schwer macht. „Dame, König, As, Spion” ist ein spannend beginnender, aber über lange Strecken kunstvoll zurüokgehaltener, langsam vor- anschreitender Roman mit einem unerhört raffinierten Schluß. Sein eigentliches Thema (dias ihn weit über sein engeres Genre hinaushebt) ist nicht das Abenteuer der Geheirn- diienstleute, sondern die Trauer der Spione um ihre abhandengekommenen Ideale. George Mikes („Geiang- weilt sterben die Spione …”) hat unrecht. Bei John le Carrė sterben sie in bitterster Desillusionierung.

Auch Frederick Forsyth ist ein Mann, der schreiben kann — vordergründiger als John le Carrė, ärmer an Nuancen, aber präzise, ohne die bei einigen deutschen Bestseller- fabrikanten notorische Verquollen- heit. Ein Mann, der alles perfekt kann, was er macht, weil er nur das macht, was er kann. Nach dem „Schakal” schrieb er „Die Akte Odessa” — ein bemühtes Buch mit großen Schwächen.

„Die Hunde des Krieges” wären wohl auch ohne den Schakal im Rücken ein Erfolg geworden. In einer Welt voll der Gewalt liefert Forsyth die handwerklich perfekte Schilderung handwerklich perfekter Gewialttaten. Er hat eine offensichtlich unheilbare Schwäche für harte Männer vom Söldnertyp. „Die Akte Odessa” wirkte konstruiert. Forsyths Söldner hingegen sind von beklemmender Echtheit. Von innen erlebt, von der Identifikation Autor- Held durchtränkt, aber konsequent von außen, sprich Ohne Psychologie, völlig unreflektiert, beschrieben. Was offensichtlich einem weitverbreiteten Bedürfnis entspricht. Wenn Forsyth eine stilistische „Masche” hat, dann ist es, der intelligente Einsatz eines bedeutenden journalistischen Könnens auf dem Gebiet der Literatur. Er greift in keinem Satz nach den Sternen der Dichtung, kann dabei also auch nie auf die Nase fallen. Er geht mit seiner Sprache so präzise und diszipliniert’ um, wie die von ihm beschriebenen Killer, Söldner & Co. in ihrem tödlichen Handwerkszeug.

Auch die „Hunde” kommen, nach einem eindrucksvollen Start, nur nooh mit kunstvoller Langsamkeit voran. Wäre es nicht so geschickt gemacht, wäre es eine Zumutung: 350 Seiten füllt die minutiöse Beschreibung all der Vorbereitungen (vom Ausihandeln des Honorars über das Anheuern der Söldner bis zum Kauf von Waffen, Schlauchbooten und Pseudounilormen) für das Unternehmen, das dann auf knapp 35 Seiten passiert. Es handelt sich um den Sturz einer afrikanischen Regierung, die von einem britischen Konzern, der sich der Bodenschätze des Landes versichern will, bestellt wurde. Doch der Obersöldner betrügt den Konzernherrn und spielt das Land intagren Fortschrittlichen in die Hände. Womit die Welt der harten Männer Wieder einmal in Ordnung wäre. Naiv? Nicht vom Standpunkt des Bestseller-Erfolgskalküls. Ehrlich gemeint? Das womöglich auch noch. Was aber kaum ein Trost ist.

DAME, KÖNIG, AS, SPION. Roman von John le Carrė. Hoffmann und Campe, Hamburg. 400 Seiten, DM 28.—.

DIE HUNDE DES KRIEGES. Roman von Frederick Forsyth. Piper Verlag, München. 436 Seiten, DM 29.80.

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