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Traurige Putschisten

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Kenner hatten schon lange eine staatsstreichähnliche Entwicklung im westlichsten arabischen Land vorausgesehen. Der verhältnismäßig junge Monarch, der vor etwas mehr als zehn Jahren seinem an den Folgen einer Nasenoperation vorzeitig verstorbenen Vater Mohammed V. auf den Thron gefolgt war, hatte im Gegensatz zu ihm Tendenzen zur Demokratisierung des öffentlichen Lebens nicht nur nicht ermutigt, sondern in zunehmendem Maß unterdrückt und sich gegen jede Besserstellung der unteren Schichten gewehrt. Soziale Reformen wurden völlig unterlassen. Das führte zu wachsenden inneren Spannungen, die der Herrscher durch mehrere Regierungswechsel und schließlich durch die Ausschaltung des freien politischen Kräftespiels zu überwinden versuchte.

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Kenner hatten schon lange eine staatsstreichähnliche Entwicklung im westlichsten arabischen Land vorausgesehen. Der verhältnismäßig junge Monarch, der vor etwas mehr als zehn Jahren seinem an den Folgen einer Nasenoperation vorzeitig verstorbenen Vater Mohammed V. auf den Thron gefolgt war, hatte im Gegensatz zu ihm Tendenzen zur Demokratisierung des öffentlichen Lebens nicht nur nicht ermutigt, sondern in zunehmendem Maß unterdrückt und sich gegen jede Besserstellung der unteren Schichten gewehrt. Soziale Reformen wurden völlig unterlassen. Das führte zu wachsenden inneren Spannungen, die der Herrscher durch mehrere Regierungswechsel und schließlich durch die Ausschaltung des freien politischen Kräftespiels zu überwinden versuchte.

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Vor fünf Jahren wurde der marokkanische Oppositionsführer Mohammed Ben Barka auf offener Straße in Paris gekidnappt und wahrscheinlich ermordet. Der für das Verbrechen mitverantwortliche Innenminister Oufkir erhielt dafür von einem Pariser Gericht in Abwesenheit eine lebenslängliche Zuchthausstrafe. Vor einem Marra- kescher Ausnahmegericht müssen sich seit einigen Wochen 193 Angeklagte wegen staatsfeindlicher Umtriebe verantworten. Die linksgerichteten Angeklagten beschuldigten Polizei und Untersuchungsbehörden unwidersprochen der unmenschlichen Folterung. Marokko widersetzt sich unter der Herrschaft Hassans II. zwar den antiwestlichen, nationalistischen und sozialistischen Strömungen der arabischen Umwelt, wurde aber zu einem den Nachbarstaaten durchaus vergleichbaren Polizeistaat.

Dies ist die Ausgangslage. Der Zeitpunkt war geschickt gewählt. Hassan befand sich nicht in der Hauptstadt, sondern gab in seinem 15 Kilometer westlich gelegenen Sommerpalast einen Empfang iu seinem 42. Geburtstag für das diplomatische Korps und die Spitzen von Verwaltung und Armee. Während des Empfanges umzingelten Fallschirmjäger das Palastgelände und verwickelten die königliche Garde in ein Feuergefecht.

Unter dem Befehl eines Generals, der noch am gleichen Abend standrechtlich erschossen wurde, schossen die Putschisten wahllos auf die Geburtstagsgäste des Königs. In der dadurch ausgelösten Panik konnten sie sich des Monarchen bemächtigen und ihn in einem abgelegenen Raum isolieren. Doch ehe sich die Aufrührer über sein Schicksal klarwerden konnten, war ihr Putsch schon gescheitert.

Der König verdankt sein Überleben nicht zuletzt angehlich seinem persönlichen Mut. Als die Palastwache bereits vor den anstürmenden Putschistentruppen kapituliert hatte und ein junger Soldat mit geladener Pistole und dem Ruf „Tod dem König!“ auf Hassan ziustürmte, soll dieser seinen potentiellen Mörder geistesgegenwärtig in ein Gespräch verwickelt und so lange auf ihn eingeredet haben, bis er die Pistole wegwarf und ihm die Hände küßte.

Der ganze Hergang des Aufstandes läßt nur die Feststellung zu, daß die aufsässigen Offiziere mit geradezu infantilem Dilettantismus vorgegangen sind. Nachdem eie den Befehl zur Erstürmung des Sommerpalastes Skirat gegeben hatten, warteten sie die Nachricht vom Tod Hassans erst gar nicht ab, sondern besetzten das Rabater Rundfunkgebäude und verkündeten, der Monarch sei gestürzt und umgebracht und ein Revolutionsrat republikanischer Offiziere habe die Macht dm ganzen Land übernommen. Daraufhin stellte sich nicht nur rasch heraus, daß der größte Teil der Streitkräfte den putschenden Offizieren den Befehl verweigerte, sondern daß ihr Aufruf zum Umsturz nicht einmal das ganze Land erreichte. Um wenigstens im Äther erfolgreich sein zu können, hätten die Verschwörer vor allem den überregionalen Sender Tanger in ihre Gewalt bringen müssen. Dieses Versäumnis rächte sich ebenso bitter wie der Umstand, daß niemand an die Unterbrechung der Nachrichtenverbindungen und des Verkehrs dachte. Minuten nach dem verfrühten Kommunique über den Tod des Monarchen konnte die amtliche

Nachrichtenagentur des Landa daher mitteilen, Hassan II. lebe und habö’ Inndhministef Gbftbral Mohammed Oufkir mit allen militärischen und zivilen Vollmachten betraut. Die Telexleitungen waren ebenso intakt geblieben wie die Telephonverbindungen, so daß sogar der König persönlich kurz nach seiner Freilassung ins Ausland tele phonieren konnte, Für die Aufständischen am verhängnisvollsten war, daß sie vergaßen, auch die Gebäude des Innenministeriums und der Sicherheitspolizei von der Außenwelt zu isolieren.

Kenner der Verhältnisse haben für diese Fehler zwei Erklärungen. Entweder waren die Aufrührer so vom raschen Erfolg ihrer Aktion überzeugt, daß sie fest glaubten, schon die Falschmeldung vom Tod des Königs werde das traditionelle Regime zum Einsturz bringen, oder Anhänger des Monarchen waren in die Vorgänge verwickelt, um sich in den Vordergrund zu spielen und Hassan II. auf ihre Politik festzulegen.

Dieser Verdacht gilt vor allem Innenminister Oufkir, dessen früher sehr enges Vertrauensverhältnis zu Hassan in letzter Zeit merklich abgekühlt ist. Doch obwohl der General von der Bevölkerung gefürchtet und gehaßt wird, mußte sich der Monarch jetzt wieder seiner Hilfe bedienen. Oufkir machte sofort „kurzen Prozeß“. In der Hauptstadt bedurfte Militärgouvemeur Oufkir lediglich ganzer fünf Papzer, um Ruhe und Sicherheit zu gewährleisten.

In Rabat erklärt man sich das geradezu kindisch-sorglose Vorgehen der Putschisten auch damit, daß diese auf rasche militärische Intervention aus Tripolis gewartet hätten. Sie sei jedoch durch die Reaktionsschnelligkeit Hassans und die raschen Gegenschläge General Oufkirs unmöglich gemacht worden. Fest steht, daß Libyen seine Truppen mobilisiert hatte und der Tripolitaner Rundfunk die marokkanische Bevölkerung zum Aufstand und später zur Verbergung flüchtiger Aufständischer aufforderte.

Nachdem die Nachricht von dem Putsch durch die Rabater Medina geeilt War,’ schlossen die Ladenbesitzer rasselnd ihre Rolläden, die Männer verließen die Kaffeehausterrassen und die Straßen leerten sich schlagartig. Doch niemand ergriff aktiv Partei für die Aufständischen und gegen den Monarchen. Marokko steht zwar bereits seit längerem im

Zeichen zunehmender politischer imd sozialer Unrast, die oppositionellen Parteien, die nationalistische Istiklal und die sozialdemokratische UNFP, können sich nicht mehr ungehindert betätigen, und die Monarchie stützt sich ausschließlich auf die blutsaugerischen und allen Reformplänen abholden feudalen Landbarone. Infolgedessen stagniert das jährliche Pro-Kopf-Einkommen der Bevölkerung bei 200 Dollar. Es gibt mehr als 80 Prozent Analphabeten, und die mittlere Lebenserwartung ist nicht höher als 47 Jahre. Doch die Menschen sind aufgeklärt genug, um zu wissen, daß machtgierige dilettantische Offiziere keine richtige Alternative zur Feudalherrschaft und zur Monarchie darstellen. Darin ist auch der Grund dafür zu suchen, daß sich keine politische Oppositionsgruppe an dem Staatsstreichversuch beteiligte, sondern er ausschließlich eine Sache „auf eigene Rechnung“ der Offiziere blieb.

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