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Trauriges „Jubiläum"

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Fünf Jahre legalisierter Schwan-gersehaftsabbruch in Österreich: das

ist ein trauriges „Jubiläum". Was haben sich die Befürworter dieser Regelung bei der Gesetzeswerdung nicht alles erwartet. Und wie sieht es fünf Jahre später nun wirklich aus?

Wenn man die stenographischen Protokolle der großen Parlamentsreden anläßlich der Beschlußfassung über die Abänderung des Strafrechtes nachliest, so stößt man dort auf Ankündigungen, Versprechungen und Absichtserklärungen, die rückblickend noch absurder wirken als damals, da Zweifei an dem Gesetz als bösartige Schwarzmalerei verunglimpft wurde.

Von all diesen Versprechungen und Erwartungen ist eigentlich nichts oder das Gegenteil eingetreten. Niemand weiß, wieviele Abbruche irnösterreich durchgeführt werden. Niemand weiß, welche Gründe ausschlaggebend sind. Es gibt keine Unterlagen darüber, welche Ärzte sich durch den Eingriff ihr Salär ganz gehörig auffetten und unter welchen hygienischen Bedingungen und zu welchem gesundheitlichen Preis für die Frau abgetrieben wird.

Zwei Grundaussagen werden mehr oder weniger häufig von der sozialistischen Partei im Zusammenhang mit dem Atibruch wiederholt: Erstens soll kein Buchstabe des Gesetzes verändert werden. Zweitens sei der Abbruch gesellschaftlich nicht wünschenswert. Dessen ungeachtet will man überall Möglichkeiten schaffen, ihn anbieten zu können.

Aus der persönlichen Erfahrung vieler Beratungen weiß ich, daß das Gesetz, das zur „Befreiung der Frau" eingeführt wurde, sich in vielen Fällen ganz ins Gegenteil verkehrt hat und sie unter massivem Druck ihrer Umgebung und nicht aus eigenem Wunsch abtreibt.

Ich weiß auch, daß in vielen Fällen eine finanzielle Notsituation durch das Kind droht. Trotz eines, international gesehen, Sehr guten Mutterschutzgesetzes fallen viele Frauen ganz oder teilweise durch das Netz der sozialen Sicherheit, das ja vor allem an eine vorangegangene Erwerbstätigkeit gebunden ist.

Hier muß spontan, unbürokratisch

und individuell geholfen werden. Seitens der öffentlichen Hand gibt es dafür nur sehr begrenzte Möglichkeiten. Und wenn Politiker lauthals und treuherzig verkünden, eine Abtreibung aus sozialer Notlage solle es nicht geben, dann darf ich diesen Beteuerungen ein Stück Erfahrung aus der Praxis gegenüberstellen.

Für soziale Notfälle gibt es in der Gemeinde Wien einen eigenen Fonds bei der Magistratsabteilung 12, aus dem Abtreibungen finanziert werden, wenn eine soziale Notlage vorliegt und die Frau selbst den Eingriff nicht bezahlen kann.

Der Verein „Rettet das Leben" hat wiederholte Male Zuschüsse in Höhe vieler tausender Schillinge gegeben, damit die „Anzahlung" für eine Gemeindewohnung geleistet werden kann oder Mietzinsrückstände bezahlt werden können, um eine Delogierung aus einer Gemeindewoh-

nung - es lag natürlich jeweils eine Schwangerschaft vor, die ohne unsere Hilfe abgebrochen worden wäre - zu verhindern.

Das heißt also: Ein durch private Spenden finanzierter Verein leistet Zahlungen an die Gemeinde Wien, um Abbruche aus sozialer Notlage zu verhindern, während die politischen Funktionäre versichern, daß es keine soziale Notlage als Grund für einen Abbruch geben kann.

Es ist mir dabei ein besonderes Anliegen, zu betonen, daß wir mit den Beamten sehr gut zusammenarbeiten und sie durch ihren Einsatz und ihr persönliches Engagement' häufig dazu beitragen, daß wir helfen können. Aber natürlich sind sie weisungsgebunden und können nur innerhalb ihres Rahmens agieren. Abhilfe zu schaffen, das ist vor allem ein politisches Problem.

Es wäre den sozialistischen Politi-

kern zu raten, sich einmal ernsthaft mit der Abtreibungswirklichkeit auseinanderzusetzen, statt nur jenen zu glauben, die offensichtlich aus einem elfenbeinernen Turm heraus das Gesetz, das sie einmal ersonnen haben, als das beste aller Zeiten preisen.

Es ist mir völlig unverständlich, warum sozialistische Politiker jeglichen Lern- und Erfahrungsprozeß auf diesem Gebiet vermissen lassen. Die Öffentlichkeit reagiert hier bereits anders. Denn es ist wohl nicht zu übersehen," daß einige Medien und Journalisten - aus ihrer persönlichen Erfahrung in den letzten Jahren - beginnen, nachdenklich zu werden. Ebenso werden einige Ärzte nachdenklich, die sich - in durchaus guter Absicht - eine bessere ärztliche Versorgung der Frauen erwartet haben und die nun merken, daß die medizinische Versorgung lang nicht so fachgerecht ist, wie dies zu wünschen wäre und sie außerdem, wie der Zauberlehrling, die Geister, die sie riefen, sehr gerne wieder los würden.

Nach dieser Abrechnung mit den sozialistischen Politikern - denn sie haben nun einmal das Gesetz initiiert, durchgeboxt und verteidigen es auch jetzt vehement - scheint es mir aber doch wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Frage des Schwangerschaftsabbruches letztlich ebensowenig ein sozialistisches wie ein religiöses Problem ist.

Man denke an Länder wie die USA, Frankreich oder Italien, die keine sozialistische Regierung und auch den Abbruch legalisiert haben. Auf diesem Gebiet, wo der Schwache dazu verführt wird, sich gegen den Schwächsten zu wenden, gibt es ganz sonderbare Konstellationen und Koalitionen.

Es ist auch verfehlt, den Abbruch als ein isoliertes Problem zu sehen und als solches zu bekämpfen. Die Strategien zur Lösung dieses schrecklichen Unrechtes müssen langfristig und umfassend sein. Dazu ist es unbedingt notwendig, den Wert des Menschen in seiner umfassendsten Form, geboren oder ungeboren, gesund oder krank, behindert oder nicht, arm oder reich, alt oder jung, wieder zu einem Anliegen zu machen.

Uns Menschen muß klar werden, daß wir nicht nur für uns selbst, sondern auch für einander Verantwortung tragen, für unsere Nachkommen ebenso wie für unsere Zeitgenossen.

Grit Ebner ist Generalsekretärin des Vereins ..Rettet dus Leben" und der „Aktion Leben".

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