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Trend - oder der Parteidief?

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„In den bürgerlichen Zeitungen wird jetzt versucht, den großen Wahlerfolg der SPÖ einzig und allein als den Sieg ihres Spitzenkandidaten hinzustellen“, schreibt Manfred Scheuch in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 12. Oktober und stellt anschließend fest, daß dem nicht so ist Kreisky und die SPÖ, meint er, stehen an der Wiege dieses letzten Wahlerfolges.

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„In den bürgerlichen Zeitungen wird jetzt versucht, den großen Wahlerfolg der SPÖ einzig und allein als den Sieg ihres Spitzenkandidaten hinzustellen“, schreibt Manfred Scheuch in der „Arbeiter-Zeitung“ vom 12. Oktober und stellt anschließend fest, daß dem nicht so ist Kreisky und die SPÖ, meint er, stehen an der Wiege dieses letzten Wahlerfolges.

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Damit wurde — wahrscheinlich freilich unbewußt — der Nagel auf den Kopf getroffen. Man sollte nämlich nicht in den Fehler verfallen, den 10. Oktober 1971 isoliert zu sehen, ihn nur mit einer Erfolgswelle Kreiskys und einer Pechsträhne der ÖVP in Verbindung bringen. Sicherlich versuchen die innenpolitischen Sterndeuter von der jeweiligen Situation auszugehen, doch sollten auch die Stimmen jener gehört werden, die im 10. Oktober eine konsequente Folge einer österreichischen Entwicklung sehen.

Wenn man die Nationairats- wahlen seit 1949 verfolgt, so erkennt man eine recht bemerkenswerte Entwicklung: Während die Volkspartei beim Wahlgang 1949 44 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen konnte, gelang es der SPÖ damals nur, 38,7 Prozent des Wählervertrauens zu gewinnen. 1949 war für die Sozialisten damit bei Natio- nalxatsiwahlen nach 1945 der absolute Tiefpunkt, während die Freiheitlichen — damals als Verband der Unabhängigen — mit 11,7 Prozent ihre bis heute unerreichte Blütezeit hatten. Doch schon beim nächsten Umengang für den Nationalrat im Jahr 1953 haben die Wähler das politische Kräfteverhältnis ganz deutlich geändert: Nicht jetzt, am 10. Oktober 1971, sank die ÖVP ins unterste Wellental, sondern schon 1953.

Mit 41,3 Prozent war ein absoluter Tiefstand gegeben, gegen den die

43.1 Prozent des 10 .Oktober fast schon als Erfolg anzusehen sind. Die Sozialisten erreichten damals

42.1 Prozent der Stimmen, die Freiheitlichen sanken auf 10,9 Prozent zurück und für die Kommunisten schlug mit 5,3 Prozent Stimmanteil ihre Stemstunde. Nur das Wahlrecht sorgte für eine mandatsmäßige Überlegenheit der Volkspartei im Nationalrat.

Doch hatte die Volkspartei in den darauf folgenden Jahren das Glück auf ihrer Seite, vielleicht hätten sonst schon wesentlich früher die Sozialisten das Rennen um die Macht im Staat für sich entscheiden können. Durch Raab und Figl, den Abschluß des Staatsvertrages, die „Rote Katze“ und einen nicht glücklich agierenden Dr. Pittermann bei der SPÖ gelang es der Volkspartei mit Müh und Not, in der Endabrechnung doch immer um Nasenlänge voran zu sein. Trotzdem gelang es Dr. Pittermann, bei den Wahlen 1959 mit 44,8 SP-Prozent gegenüber 44,2 VP-Prozent die relative Stimmenmehrheit zu gewinnen. Wieder rettete das Wahlrecht die Mandatsmehrheit der Volkspartei im Nationalrat 1966 war das schlechte Abschneiden der Sozialisten wieder auf „äußere Umstände“ zurückzuführen:

Eine Wahlempfehlung der KPÖ für die SPÖ, die Olah- und Kronen- Zeitungs-Krise führten dazu, daß die Volkspartei unter Klaus mit 48,3 Prozent ihr maximales Ergebnis erreichen konnte. Die SPÖ konnte 42,6 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen, für die Freiheitlichen und die Kommunisten jedoch war 1966 der ausgesprochene Tiefpunkt.

Aber schon bei den nächsten darauffolgenden Wahlen — nämlich 1967 für den Landtag in Oberösterreich — bestätigten die Wähler nicht das Nationalratswahlergebnis 1966, sondern schwenkten auf den schon vorher spürbaren Trend ein. So gesehen waren dann die Ergebnisse der Nationalratswahlen 1970 und 1971 nur noch „Formsache“. Es ist also schon ein sehr wahrer Kern daran, wenn vom „Genossen Trend“ gesprochen wird.

Alle jene, die der Person Kreisky den Aufstieg der Sozialisten anrechnen, dürften somit doch einigen Trugschlüssen unterlegen sein. Ein besonderes Warnzeichen sollten aber diese Tatsachen für die Volkspartei darstellen, weil nämlich der Grund des letzten Mißerfolges nicht in jüngsten Führungskrisen zu suchen sein dürfte, sondern weit tiefer — wahrscheinlich auch weiter zurückliegend — gesucht werden müßte.

Aber auch eine andere Konsequenz ist aus dem Wahlergebnis vom 10. Oktober zu ziehen: Die Mär, eine niedrige Wahlbeteiligung wirke sich zum Nachteil der Volkspartei aus, ist endgültig aus der Welt geschafft. In Vorarlberg zum Beispiel, wo die Wahlbeteiligung um 0,02 Prozent über der von 1970 lag, mußte die Volkspartei ihre größten Verluste hinnehmen, während die Sozialisten so gut wie noch nie abschnitten.

Die „klaren Verhältnisse“, die vor der Nationalratswahl gefordert worden waren, sind nun vorhanden. Noch nie konnte die SPÖ gegenüber der Volkspartei einen 300.000- Stimmen-Vorsprung herausholen. Das darf aber wiederum nicht zum Schluß verleiten, daß die Entwicklung der innenpolitischen Landschaft im gleichen Tempo weitergeht. Denn hatte bis vor dem 1. März 1970 die Volkspartei ein Übermaß an Glück, so stellte sich das nun bei den Sozialisten ein. Das Argument, die Volkspartei habe durch die Regierungsverantwortung unter Abnützungserscheinungen zu leiden gehabt, dürfte hier wohl am ehesten zutreffen. Offen bleibt heute noch die Frage, wie die Sozialisten mit diesem Problem fertig werden können. Fest steht jedenfalls, daß es auch einem Kreisky nicht gelingen wird, sich den Abnützungserscheinungen zu entziehen. Vielleicht — das sei in den Raum gestellt — verläuft die künftige Entwicklung in die umgekehrte Richtung. Die nächsten Wahlen — also 1975 — werden zeigen, ob sich hier Gesetzmäßigkeiten vollziehen, von denen sich die Politiker heute noch nichts träumen lassen. Es ist jedoch nicht vermessen, zu sagen: Der nächste Zug liegt wieder beim Wähler.

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