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TRENDSETTER IM KULTURELLEN DIALOG

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Niederösterreich gehört im kulturellen Bereich zu den Trendsettern. 1960 fand im Stift Melk die erste Landesausstellung Österreichs statt: Jakob Brandauer und sein Kreis. Seit damals veranstaltet Niederösterreich zumindest eine Großausstellung im Jahr, um entweder ein historisches Thema aufzubereiten oder den Blick in die geographische Ferne zu schärfen.

Neben Großprojekten, die nurdurch enormes finanzielles Engagement des Landes möglich sind, haben sich zahlreiche Kulturinitiativen entwik-kelt, die in kleinen Gemeinden ebenso wie in den Städten aktiv sind. Diesen Kulturaktivitäten bietet das Landesstudio Niederösterreich umfassende Partnerschaft an.

Als am 12. September 1979 in der Grenzstadt Gmünd, unmittelbar vor dem Eisemen Vorhang, die Radiopremiere der Live-Veranstaltungen „Grenzland Niederösterreich - Begegnung mit dem Nachbarn" stattfand und das Landesstudio Niederösterreich des ORF darauf hinwies, daß nach 60 Jahren der Teilung Gmünds durch den Staatsvertrag von St. Germain und 30 Jahre nach Errichtung des Stacheldrahts Initiativen nötig seien, die Trennung zu überwinden, dachte kaum jemand daran, daß viel mehr möglich sein könnte als ein bißchen musizieren.

Damals wurde als Gast eine Blasmusikkapelle aus Budweis, die Musikgruppe der Brauerei, die Budvar-ka, engagiert. Diese musizierte mit der ortsansässigen Kapelle und der verantwortliche Landesintendant Paul Twaroch mußte sich die Frage gefallen lassen, ob dies „unbedingt notwendig sei".

Wie sehr diese Initiative notwendig war, zeigte sich in den Folgejahren. György Sebestyen, unentwegt bemüht, die politisch gezogenen Grenzen durch kulturelle Aktivitäten zu überwinden, meinte einmal: „Die uns zugestandenen zwei Millimeter Freiraum gilt es so auszunützen, daß daraus vier Millimeter werden." Aus den zwei Millimetern, um beim Bild zu bleiben, in Gmünd des Jahres 1979 wurden durch Beharrlichkeit mehrere Zentimeter, obwohl „Grenzzwischenfälle" die Bemühungen mehr al s einmal gefährdeten und viele Mißverständnisse nicht nur bei der Bevölkerung auszuräumen waren. So sehr war man einander fremd geworden, war die Erinnerung an die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus Südböhmen erhalten geblieben. Als dann 1982 im österreichischen Schloß Eckartsau an der Donau das junge Havläk-Quartett aus Prag beim ersten Böhmisch-Nieder-österreichischen Schloßkonzert aufspielte, war es möglich geworden, eine simultane Livesendung in beiden Ländern durchzusetzen. Das bedeutet unveränderte Ausstrahlung und Moderation in den Sprachen beider Länder.

Als eine der herausragendsten Veranstaltungen muß das Festkonzert zum 250. Jahrestag der Krönung Maria Theresias in Preßburg zum „König von Ungarn" angesehen werden. Am 25. Juni 1741 war sie von Fürsterzbischof Emmerich Esterhäzy gekrönt worden. Er gab ihr das Szepter in die rechte Hand und den Reichsapfel in die linke. Gemeinsam mit dem Pala-tin Palffy setzte er ihr die Krone aufs Haupt, Maria Theresia war damit zum „König von Ungarn" gekrönt, nicht zur Königin.

Dieses Jahr wird im September das zehnjährige Jubiläum der Schloßkonzerte gefeiert werden können und damit das 25. Schloßkonzert stattfinden. Konzerte, die hüben wie drüben von einem gemeinsamen Kulturraum künden. Unter den aufgeführten Komponisten befinden sich Joseph , Haydn, Leos* JanäCek, Antonin Dvorak, Carl Stamitz, Zdenek Lukas, Franz Benda, Josef Myslivecek, Karl Ditters von Dittersdorff - und wer nur ein wenig von der Breite des tradierten Musikmaterials kennt, weiß, für abwechslungsreiches Programm wird noch auf Jahre gesorgt sein.

Zu den akustischen Entdeckungen - viele der Komponisten aus Böhmen, Mähren und der Slowakei sind dem österreichischen Publikum nahezu unbekannt - kommt die Begegnung mit architektonischen Kostbarkeiten.

Ein besonderer Fall der Neunutzung und Revitalisierung ist das Stift Dümstein. Die vom Landesstudio Niederösterreich mitgetragene Aktion „Rettet Stift Dümstein" hat Bürger dazu veranlaßt, durch ihre Beteiligung, ihr finanzielles Opfer ein neues Naheverhältnis zum eigenen kulturellen Erbe zu finden. Die Dürnsteiner Gespräche, die am 7. Juni 1991 mit einem Vortrag von Viktor E. Frankl mit dem Titel „Die Frage nach dem Sinn" eröffnet wurden, sind als Forum für Meinungsaustausch vorgesehen. Kontroversiell sollen Standpunkte erörtert, Begegnungen ermöglicht werden.

Nach der Restaurierung von Dümstein werden das Waldviertler Stift Geras und das Kloster Pemegg durch gezielte Information dem Hörer und Seher medial nähergebracht.

Aufgabe eines Landesstudios kann es selbstverständlich nicht sein, ausschließlich historische Stätten zu pflegen und neu zu beleben. Ein beredtes Beispiel einer weiteren Aktivität ist die Förderung des Stadttheaters St. Pölten, wo es gilt, aus einer Stadt unweit der Metropole Wien die Hauptstadt des bevölkerungsreichsten Bundeslandes zu machen. Seit zwanzig Jahren veranstaltet das Landesstudio die Internationalen Kirchenmusiktage, die nicht zuletzt durcbden Auftritt von Primadonna Katia Ricciarelli ihre Bedeutung im kulturellen Geschehen unterstrichen haben.

Gezielte mediale Unterstützung des Stadttheaters St. Pölten ist notwendig für das schwierige Unterfangen, ein Hauptstadttheater schrittweise aufzubauen. Dabei schimmert ein wenig die Überlegung durch, daß bei Ausschöpfung der Möglichkeiten der Region Niederösterreich und Wien manche Gegensätze zum Verschwinden gebracht werden. Am 18. Oktober 1991 fand die Galapremiere des Klassikers „Nathan, der Weise" von

Gotthold Ephraim Lessing statt. Die Kritiker der überregionalen Zeitungen waren beeindruckt: „Frischer Wind im Stadttheater St. Pölten mit bemerkenswertem Nathan...",,.Kein schlechter Anfang für den neuen Intendanten" und „Auf nach St. Pölten". Die Botschaft des Stücks war verstanden worden. Toleranz ist noch immer kein allgemein verbreiteter Wert, denn Fremdenhaß, Antisemitismus, Rechtsextremismus, Ausländerfeindlichkeit sind Themen, die nach wie vor aktuell sind. Intendant Peter Wolsdorff kann zufrieden sein und der Hauptdarsteller Peter Uray ebenfalls: Mit Hilfe der Hörfunkberichterstattung erreichte die Erarbeitung des vorklassischen Stücks eine beachtliche Breitenwirkung.

Beachtliche Unterstützung gewährte das Landesstudio Niederösterreich auch dem Musical „Rainbow Girl", das sich mit dem Leben von Marilyn Monroe auseinandersetzt. 1962 verstorben, läßt sich anläßlich des 30. Todestages über das*Frauenbild, über das Musical, über Hinter- und Vordergründe berichten. Damit tritt das Landesstudio als mächtigster Vermittler zur Öffentlichkeit auf, die sich ein Veranstalter nur wünschen kann.

Das Land Niederösterreich hat ein beachtliches Kulturangebot. Verwiesen sei auf die Landesausstellung, die Ybbsiade, das Donaufestival und den Theatersommer. Neben diesen Großveranstaltungen gibt es eine Unzahl kleiner und kleinster Aktivitäten, die vom Radio- und Fernsehprogramm wahrgenommen werden müssen.

Der Argumentation, daß es wegen der zunehmenden Vernetzung der Welt-Schlagwort „das globale Dorf' - mit Telekommunikationssystemen einer zunehmenden, forcierten Re-gionalisierung bedarf, will man irgendwo wirklich zu Hause sein, ist einiges abzugewinnen. Jede Region soll in ihrem Medium einen Spiegel finden, aber auch ein Fenster in die eigene Geschichte und damit zu den Wurzeln und zu den Nachbarn, wobei unter Nachbarn in einem globalen Dorf die ganze Welt verstanden werden muß.

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