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Tribut für einen Menschen namens A. H.?

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Fast 30 Jahre nach seinem Tod ist Hitler wieder einmal allgegenwärtig. Aber der Hitler, der uns nun teilweise überrollt, teilweise erst bevorsteht, ist ein anderer Hitler als jener, den die Zeitgenossen, und unter diesen vor allem jene, die seine „Volksgenossen“ nicht waren oder nicht sein konnten, wollten oder durften, kannten. Der Hitler, der jetzt Mode ist, ist ein vermenschlichter, ein posthum geläuterter, ein in Details geradezu liebenswert gezeichneter Hitler — und .diesem neuen Image des Führers zollen selbst jene Tribut, die über jeden Verdacht leisester NS-Sympathie erhaben sind. Der neue Hitler ist allenfalls noch in versteckten Nebensätzen ein Massenmörder, in der Headlihe aber zum „großen Diktator“, ja sogar zum „Großen Diktator“ (ein groß geschriebener Buchstabe mehr macht da einen riesigere Unterschied) avanciert.

Der neue Film über Hitlers letzte zehn Tage mit Alec Guinness in der Hauptrolle ist zwar, von Hollywood via Berlin ausgehend, eben erst in den Uraufführungskinos rund um die Erde angelaufen, aber die Hitler-Welle ist schon eine ganze Weile unterwegs. Denn diesmal ist ein Mon sterfilm nicht Ausgangspunkt, son dem seinerseits Produkt und Folge einer Mode. Hitler ist allgegenwärtig.

Allein in diesem Monat sollen drei große neue Hitler-Biographien erscheinen — von Robert Payne

„Leben und Tod Adolf Hitlers“, von Gerhard Boldt, einem ehemaligen Adjutanten aus dem Führerbunker, ein Werk über dessen letzte zehn Tage, von Colin Cross ein bereits auf

Grund von Vorabdrucken in London in großen Mengen vorbestelltes Werk über Hitlers Kindheit samt Farbreproduktionen der Aquarelle desN künftigen Führers.

Hitler-Entlarvungen und mehr oder weniger geschickt kaschierte Hitler-Verherrlichungen verschmelzen zu dem, was Professor Erwin Scheuch (Köln) die „kitschige, ziemlich absurde Hitler-Nostalgie“ nennt und nicht nur er mit dem vergleicht, was sich im vorigen Jahrhundert etwa eine Generation nach dem Tod Napoleons abgespielt hat: „Wenn die Gefahr vorüber ist, neigen sogar die Opfer zu dem Wunsch nach näherer Betrachtung.“

Diesmal war tatsächlich fast die ganze Welt das Opfer, und fast die ganze Welt beschäftigt sich mit Hitler. Hitler ist in Südamerika ebenso Mode wie in Paris, wo der „Führer“ als Gesangsstar inmitten spärlich be-

kleideter Mädchen auftritt, in London standen die Leute Schlange, so lange der Porno-Schwank „Ich war Hitlers Kammermädchen“ lief, und allein die Filmgesellschaft Para-mount, die bereits mit dem Guinness-Film ein Millionengeschäft machen wird, bereitet zwei weitere Hitler-Filme vor. Magazine, gefüllt mit Aufgewärmtem über den Zweiten Weltkrieg, prangen an allen Zeitungsständen zwischen San Franzis-ko und London, und auch die Türken, einst weit vom Schuß, kaufen in großen Mengen Hitler-Sonderhefte von „Toplum“, angefüllt mit brennendem Reichstag. Hitler in Rednerpose, Eva Braun und dem da-zupassenden Text.

Was „Newsweek“ einen „Frühling für Hitler“ nennt, läßt sich in geschicktester Sublimierung und vielleicht gerade darum besonders deutlich auch aus Masers neuer Artikelserie im „Spiegel“ ablesen, die man auch „Hitler als Mensch“ überschreiben könnte. Ihre Perspektive ist etwa die der Speer-Memoiren, freilich mit dem Unterschied, daß Speer im Rückblick die von Hitler ausgehende Faszination zu erklären ver-

Türkische Zeitung mit Hitler-Biographie: „Aufgewärmtes“

suchte, während heute eine Welt, die es längst besser weiß, den Menschen Hitler entdeckt.

Und doch wäre es falsch, diese neue Hitler-Sicht in Grund und Boden zu verdammen. Denn die bisherige Hitler-Verteuf elung hatte zweifellos eine Generation lang ausgeprägte Reinwaschungsfunktionen — indem Hitler als Verkörperung alles Bösen dargestellt und alles Verbrecherische einer Generation in Hitler lokalisiert wurde, wusch sich eine Generation der Mit'macher und der Mitläufer rein. Freilich müßte die Darstellung Hitlers als Mensch dann zur Folge haben, daß der Blick wieder stärker auf die Tausende von

Teufeln in Menschengestalt, die sich auf Hitlers Befehle berufen, gelenkt wird. Man könnte auch sagen: Auf all den Haß, auf alles Verbrecherische, das Hitler emportrug und ermöglichte. Aber eine solche Mode steht uns mit Sicherheit nicht bevor.

Ein entzerrter, aus seinen Bedingungen erklärter Hitler hat trotzdem sein Gutes — er mußte kommen, und er kam in den Formen unserer Zeit. Die neue, weiche Hifler-Welle wäre denn auch völlig unbedenklich, träfe sie nicht allenthalben auf die Restbestände unreflektierter Hitler-Bewunderung und Hitler-Nachfolge.

Bedenklich stimmt es, wenn die Hitler-Plakate der Paramount mit Guinness-Hitler mit Ergüssen zusammentreffen, wie man sie in den letzten „Nationaldemokratischen Nachrichten“ unter dem Titel „Die Waffen-SS“ lesen kann, wo ein 19jähriges Mädchen von heute nicht nur seinen Großvater in Schutz nimmt, der Offizier der Leibstandarte war, sondern auch gleich die ganze Waffen-SS; in dieser Sicht sind Hitlers KZ mit den Schüssen an

der DDR-Grenze gleichzustellen, soweit KZ-Aufseher „die Macht mißbrauchten“, wurden sie eh gleich während des Krieges bestraft und im übrigen ist es heute um nichts besser.

Die geringe Verbreitung der „Kampfschrift der NDP“ wäre ein Trost — könnte man sie tatsächlich als Zeichen dafür werten, daß unsere Zeitgenossen aus dem, was geschehen ist, gelernt haben. Leider sieht die Wirklichkeit anders aus. Sie sieht heute so aus, daß die neue Hitler-Welle nicht deshalb ungefährlich erscheint, weil sich die Menschheit gebessert hätte, sondern weil wir, ganz im Gegenteil, in ein Stadium derartiger Amoral in der Politik und eines derartigen Humanitätsverlustes in ihren Methoden geraten sind, daß der Rückgriff auf Hitler, gleichgültig unter welchen

Vorzeichen, kaum noch etwas bessern oder verschlechtern kann.'

In diesem Sinne ist er offenbar wirklich und total eine Gestalt der Vergangenheit, eine überdimensionierte Figur im Kabinett der Madame Tussaud, genannt Weltgeschichte, einzureihen neben Nero, Heinrich VIII. und Napoleon, die neben ihm freilich noch immer, wenn nicht für alle Zeit, geradezu menschliche Züge annehmen ...

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