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Trieste politica

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Das einstige Küstenland mit Triest und Görz, das sich von den Julischen Alpen südwärts zur Adria hinzieht, kam nach dem Ersten Weltkrieg zu Italien. Nach dem Zweiten Weltkrieg fiel es überwiegend an Jugoslawien, Italien gelang es jedoch, die Städte Triest und Görz mit ihrer Umgebung für sich zu behalten.

Die alte Iredenta, die Bewegung der italienischen Triestiner für den Anschluß an das Königreich Italien, und der Panslawismus („Von Triest bis Wladiwostok“) der slowenischen Bevölkerung in Triest und im Küstenland spiegelten sich nach dem Ersten Weltkrieg im lokalen Faschismus und nach dem Zweiten im lokalen Kommunismus.

Küstenland und Istrien wurden auf die Zonen A und B aufgeteilt. Die erste war Besatzungsgebiet der Amerikaner und Engländer, die zweite der Jugoslawen. 1947 wurden die Zonen reduziert. Görz fiel an Italien, die angloamerikanische Zone A beschränkte sich auf Triest und die Umgebung, die Zonv B, auf das istrlandsche Küstengebiet zwischen Köper (Capodistria) und Novigrad (Cittänuova), andere Teile des Küstenlandes und Istrien bekam Jugoslawien. 1954 zogen die Amerikaner und Engländer ab, Triest kam an Italien, während Jugoslawien Köper (Capodistria) seiner Teilrepublik Slowenien einverleiben konnte. Die Entscheidung wurde im Londoner Abkommen zwischen den Regierungen der beiden Nachbarstaaten Italien und Jugoslawien gefällt.

Doch das italienische Parlament hat das Londoner Abkommen bis heute nicht ratifiziert. Italien hat die Zugehörigkeit der Zone B im Umfang von 1954 zu Jugoslawien offiziell nie anerkannt.

Wie in allen ähnlichen Fällen, stellte sich sofort die Frage der

Flüchtlinge. Diese zogen in der brutalen Anfangsära des jugoslawischen Kommunismus aus den westistriani-schen Küstengebieten und Städten nach Italien. Keine italienische Regierung wägte es seither, die Zugehörigkeit ihrer verlassenen Heimat, der Zone B, zu Jugoslawien anzuerkennen. Die italienische Region Friaul — Julisch-Venetien (Friuli-Venezia Giulia, slowenisch: Furla-nija-Julijska krajina) wurde erst im Jahre 1963, als letzte der in der italienischen Verfassung vorgesehenen Regionen (Südtirol, Aosta, Sizilien, Sardinien) gebildet. Der Grund für diese Autonomie war neben anderen Faktoren auch die starke slowenische Minderheit, die auf rund 100.000 Menschen geschätzt wird.

Die slowenische Bevölkerung des Küstenlandes hatte schon in der Monarchie im überwiegend italienischen Triest ihr kulturelles und wirtschaftliches Zentrum mit Theater (gegründet 1905), mit Banken, Kulturheimen, Zeitungen („Edinost“ als Tageszeitung bis 1927), wurde aber in der Ära des Italienischen Faschismus unterdrückt. Alles Vermögen ihrer Vereine und Organisationen wurde konfisziert. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg konnten die Slowenen ihr kulturelles, wirtschaftliches und politisches Leben wieder aufnehmen.

Und dies nicht ohne Erfolg. Die slowenische kulturelle Tätigkeit hat heute In Triest mehr Qualität als in der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien, die unter dem ideologischen Mantel des „selbstverwalteten“ Kommunismus vegetiert. Und, was noch erfreulicher ist: die beiden Volksgruppen, die italienische und die slowenische, verschließen sich nicht mehr gegeneinander. In den letzten Jahren zeigten auch italienische Kreise Interesse an der slowenischen Sprache und Kultur. Die

Wirtschaft Triests steht im Zeichen der zahlreichen jugoslawischen Käufer und der regen Handelsbeziehungen zum Nachbarstaat. Die jugoslawisch-italienische Grenze gilt als offenste in Europa.

Noch im Jahre 1965 löste die Wahl eines slowenischen Sozialisten in den Triester Gemeinderat Demonstrationen der extrem rechten Vereine aus. Heute gut es als durchaus normal, daß einige slowenische Vertreter im Gemeinderat der Stadt sitzen. Und die Studenten der beiden Nationen, die Arbeiter, die Professoren der slowenischen und der italienischen Schulen demonstrieren gemeinsam gegen die Bürokratie Roms.

Die Annäherung beider Völker, der „Triestini“ und der „Träacani“, könnte der erste Schritt Triests ins integrierte Europa sein, ein Versuch, die alten Hypotheken der Iredenta und des Panslawismus abzubauen, die ab und zu noch im nationalistischen „II Piccolo“ und im kommunistischen „Primorski Dnevnik“ zutage kommen. 1 -

Triest-Trieste-Trst, die einst kosmopolitische Stadt, das Fenster Mitteleuropas zum Mittelmeer, hat seinen ursprünglich internationalen Charakter nach dem Ersten Weltkrieg verloren. Doch in der Mentalität seiner Einwohner zeigte sich bis heute eine gewisse Überlegenheit gegenüber den kleineren Städten des Hinterlandes. Heute können nur Realismus, Abbau von Illusionen, Völkerverständigung, Sprachkenntnisse und gute Nachbarschaft den Weg nach Europa bahnen und die bereits überall absurd gewordenen Grenzen überbrücken.

Dieses Umstands scheint sich die neugegründete Wochenzeitung „II Meridiano di Trieste“ bewußt zu sein, und die neue Öffnung Triests zu breiteren Horizonten ist nicht ganz ohne Echo in der europäischen Öffentlichkeit geblieben. So haben die Londoner „Times“ im März ausführlich über Friaul — Julisch-Venetien berichtet. Ihnen folgte der römische „Messaggero“ und etwas später wieder der Londoner „Observer“.

Beobachtet man heute in Triest in dem alten „Aquedotto“ oder auf dem „Corso“ das Gedränge der Triestiner und der kauflustigen Touristen aus dem benachbarten Jugoslawien, so hat man den Eindruck, in einer blühenden Stadt zu sein. Doch hat Triest an seiner Randlage gegenüber dem italienischen Wirtschaftsraum schwer zu tragen. Sein Hafen hat für Italien keine exklusive Bedeutung. In zehn Jahren bezog die Stadt als wirtschaftliche Hilfe von der Zentralregierung 300.000 Millionen Lire — eine Stadt, die nicht ganz 300.000 Einwohner zählt.

Das benachbarte Friaul fühlt sich dagegen vernachlässigt. Die „Servitü Militari“ drücken auf die Entwicklung, viele Friulaner müssen sich im Ausland einen Arbeitsplatz suchen, so daß manche Gemeinden in den Berggegenden bis zu 50 Prozent ihrer Bevölkerung verloren haben.

Innerhalb der Triester Democrazia Cristiana besitzen die italienischen Istrianer einen besonderen Einfluß. Ihr Sprecher ist der Triester Abgeordnete im römischen Parlament, Bologna. Anders wieder der christdemokratische Abgeordnete Belci, der sich für den Dialog mit den slowenischen Mitbürgern einsetzt, für die Lösung der offenen Fragen mit Jugoslawien und für gute Nachbarschaft mit diesem.

Dem Beispiel Belcis folgten die Sozialdemokraten, die Sozialisten, die Republikaner und die Kommunisten, abgewandelt nach der jeweiligen ideologischen Basis. Dem neuen politischen Motto schlössen sich dann auch die Liberalen an, während die Neofaschisten ihrer nationalistischen Linie treu blieben.

Von regionaler Bedeutung sind die Listen der Friulanischen Bewegung (Movimento Friuli) und der Slowenischen Gemeinschaft (Slovenska Skupnost).

Der „Movimento Friuli“ setzt sich für die Einführung des Friulanischen als zweite Sprache in den Schulen ein, für die Gründung einer Universität in Udine und für die Industrialisierung des Friaul, um die schicksalsschwere Abwanderung zu verhindern. Diese Bewegung anerkennt auch die Anwesenheit der slowenischen und der deutschsprachigen Minderheit in den Bergen der Provinz Udine. Beiden Volksgruppen werden bisher die sprachlichen Minderheitsrechte sowohl von den weltlichen wie von den kirchlichen Behörden abgesprochen.

Die „Slovenska Skupnost“ wiederum tritt in den Provinzen Triest und Görz auf. Sie setzt sich vor allem für die volle Anerkennung der sprachlichen Minderheitenrechte der slowenischen Bevölkerung ein und für ihre Gleichberechtigung. Die linksorientierten slowenischen Wähler werden von Jugoslawien unterstützt und angeleitet, die „progressiven“ italienischen Parteien KPI und PSI zu wählen.

Nach den letzten Wahlen in das regionale Parlament des Küstenlandes und Friauls verfügen die Democrazia Cristiana über 26 Sitze (29 im Jahre 1968), die Kommunistische Partei über 13 (12), die Sozialistische Partei über 8 (6), die Sozialdemokratische Partei über 4, die Liberalen über 2 (3), die Republikaner über 1 (1), das Movimento Sociale (Neofaschisten) über 4 (3), die Slovenska Skupnost über 1 (1) und das Movimento Friuli über 2 (3); ohne Sitze blieben die Listen der Marxisten-Leninisten und der Independentisten. Eine fast neunzigprozentige Wahlbeteiligung zeigte, daß die politischen Ereignisse im Lande Immer noch starkes Echo bei der Bevölkerung finden. Der Regionalismus setzt sich nur langsam durch. Die privat bereits wirksame überregionale europäische Idee ist im politischen Kampf der Parteien noch nicht in Erscheinung getreten.

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