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Trinkwasser in Gefahr!

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Die Wissenschafter zeigen sich besorgt: Weite Teile Ostösterreichs gehen offensichtlich trok-kenen Zeiten entgegen. Experten des Institutes für Wasserwirtschaft der Technischen Universität Wien haben im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprojektes zur Erfassung der heimischen Grundwassersituation festgestellt, daß im Osten Österreichs der Grundwasserspiegel um mehrere Meter gesunken ist.

Gerade das Grundwasser ist aber für unsere Trinkwasserversorgung von eminenter Bedeutung: Österreich deckt 99,7 Prozent seines Bedarfs aus unterirdischen Vorkommen. Industrie und Haushalte verbrauchen jährlich nahezu zwei Milliarden Kubikmeter reinsten Trinkwassers. (Ein Kubikmeter entspricht 1.000 Liter.)

Was die Ursachen für den bedenklichen Wasserschwund betrifft, tappen die Wissenschafter allerdings noch im dunkeln. Für Johann Reitinger, Dozent am Institut für Hydraulik, Gewässerkunde und Wasserwirtschaft, der die Untersuchungen leitet, besteht noch kein Grund zur Panik. Reitinger: „Vielleicht ist der Rückgang der Niederschläge daran schuld. Vielleicht liegt es aber auch daran, daß die Landwirte immer mehr Felder bewässern und das Grundwasser damit empfindlich anzapfen.“

Daß es tatsächlich weniger regnet, zeigen langjährige Untersuchungen. Oskar Behr, am gleichen Institut wie Reitinger tätig, hat in einem jetzt abgeschlossenen Forschungsprojekt die Entwicklung der Niederschläge in Österreich im 20. Jahrhundert untersucht. Behr: „Die Entwicklung der Niederschläge verlief bis Anfang der 70er Jahre einigermaßen kontinuierlich. Im letzten Jahrzehnt regnete es, vor allem in den östlichen Bundesländern, jedoch deutlich weniger. In diesem Bereich gingen die Niederschläge im Zeitraum zwischen 1970 und 1980 um mehr als sieben Prozent zurück.“

Gerade in Ostösterreich fällt diese Abnahme besonders ins Gewicht. Dort gehen jährlich nur etwa 600 Millimeter Niederschläge pro Jahr nieder, während es in Vorarlberg rund 1.800 Millimeter

sind. Derzeit fallen in Österreich jährlich im Schnitt etwa 1.200 Millimeter Niederschläge pro Quadratmeter. Innerhalb des natürlichen Wasserkreislaufes versik-kern etwa 14 Prozent des Gesamtniederschlages, von denen wiederum nur etwa ein Zehntel zur Trinkwasserversorgung zur Verfügung stehen.

Reitinger: „Wir haben bisher die Grundwasserverhältnisse im Marchfeld, im südlichen Wiener Becken und im Seewinkel studiert. Zum Teil konnten wir sogar auf Grundwasserspiegelwerte aus der Zeit der Jahrhundertwen-

de zurückgreifen. Dabei wurden in allen Untersuchungsgebieten Abnahmen verzeichnet, die sich zwischen 60 Zentimeter im Seewinkel und bis zu fünf Metern im Bereich des südlichen Wiener Beckens bewegten.“

Der Wissenschafter erläutert die Situation anhand der Warmen Fischa, die durch Wiener Neustadt fließt: „Zur Jahrhundertwende drangen etwa 1.000 Liter Grundwasser pro Sekunde in die Warme Fischa, heute sind es vielleicht 100 Liter pro Sekunde. Jetzt führt dieser Fluß kaum mehr Wasser, und auch die Fische sind schon längst ausgestorben.“

Für die Warme Fischa wurde bereits ein Notprogramm eingeleitet. Eine weitere Verbauung und Regulierung des Flusses wurde von der Niederösterreichischen Landesregierung ebenso untersagt wie die Einleitung von Abwässern. Durch die Ablagerung von Schmutzstoffen am Boden werden nämlich die Versicke-rungsvorgänge behindert.

In der Mitterndorfer Senke ist der Spiegel des riesigen unterirdischen Grundwasserstroms jährlich um etwa 17 Zentimeter abgerutscht. Für Johann Reitinger ist es fünf vor zwölf: „Wenn die Entwicklung so fortschreitet, könnte die Mitterndorfer Senke einmal austrocknen. Woher die Gebiete entlang der Südbahn dann ihr Trinkwasser nehmen sollen, weiß ich nicht.“

Problematisch ist die Situation

auch im Marchfeld. Speziell in diesem Gebiet ist nach Ansicht des Hydrologen die bereits genannte „durstige“ Landwirtschaft für das Sinken des Grundwassers (bis zu drei Meter) verantwortlich. Reitinger: „Die Entwicklung der Bewässerungswirtschaft muß gestoppt werden, weil sich sonst die Landwirte das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes selbst abgraben. Vielleicht kann hier auch der vieldiskutierte Marchfeldkanal Abhilfe schaffen.“

Mit einer interessanten Theorie wartet Peter Kauch, Dozent am Institut für Siedlungs- und Industriewasserwirtschaft der Technischen Universität Graz, auf. Neben der zunehmenden Verbauung der Landschaft hat sich auch die Bepflanzung mit modernen, schnellreifenden Kulturen nicht immer als Segen erwiesen. Kauch: „Beim Maisanbau beispielsweise ist der Acker oft nur zwei Monate lang bewachsen.“ In der restlichen Zeit trocknet der Boden meist aus, weil er ohne Pflanzen wesentlich weniger Feuchtigkeit aufnimmt. „Hier hilft auch kein Pflügen“, meint der Forscher.

So paradox es klingt, gerade die aufgeworfene Scholle hemmt die ideale Wasseraufnahme. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, daß die Krümelstruktur des Bodens bei heftigem Regen durch die Wucht der aufprallenden Wassertropfen zerschlagen wird. Dabei lösen sich Feinteilchen aus der Erde, die die Poren der Schollen verstopfen und damit ein Versickern des Wassers verhindern.

Wie prekär in manchen Gegenden die Situation bereits geworden ist, zeigt die Tatsache, daß der Mensen bereits mit künstlichen Reservoirs nachhelfen muß.

Nach den Erhebungen in Ostösterreich sollen nun auch die wichtigsten Grundwassergebiete im übrigen Bundesgebiet erforscht werden. Johann Reitinger: „Wir wollen nicht nur der Frage nachgehen, ob auch in Westösterreich der Grundwasserspiegel gesunken ist, sondern auch, ob die einzelnen Grundwassergebiete ein Eigenleben führen oder untereinander in Beziehung stehen.“

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