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Triumph der Schlichtheit

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Etwa in der Halbzeit: mehrere interpretatorische Höhepunkte.

Nicht weniger als 24 Stücke, einschließlich des Liedes „Bist du bei mir“ und der drei Zugaben hat Peter Schreier am vergangenen Samstag abend im Großen Musikvereinssaal, von Karl Richter an der Orgel begleitet, gesungen. Die geistlichen Lieder stammen aus dem „Musikalischen Gesang-Buch, darin 954 geistreiche sowohl alte als neue Lieder und Arien von Johann George Christän Schemelli, Schloßcantore daselbst, anno 1736 in Leipzig herausgegeben wurden.“ Es handelt sich um Liedgut des Protestantismus von einem so eigenen und einheitlichen Stil, sowohl was die Texte wie die Musik betrifft, daß die Frage nach der Autorschaft sich erübrigt. Auf alle Fälle sind die Choräle, meist 2-bis 4strophig, von Bach gesetzt worden. Sie sind von kaum zu überbietender Innigkeit und Einfachheit, die meisten ernst und todesbereit, in jener Stimmung, die Bach am überzeugendsten und ergreifendsten gelingt. Aber man wagt hier kaum mehr von Kunstwerken zu sprechen, und so, als Gebete und Bekenntnisse, hat Peter Schreier, der Mitglied des Dresdner Kreuzchores war, sie gesungen. Sein Tenor ist heute wohl der schönste im deutschen Sprachraum, seine Einfachheit des Vortrags, sein natürlicher Ausdruck, die Tiefe der Empfindung, wohl kaum zu übertreffen. — Karl Richter an der Orgel, der als Solist in früheren Konzerten nicht immer nach unserem Geschmack registrierte, begleitete mit vorbildlicher Einfühlung und kunstvoller Einfachheit, die sich mit der Interpretation Schreiers auf ideale Weise verband. Ein spürbar ergriffenes Publikum mit vielen jungen Menschen dankte nach' dem 1. Teil und am Schluß ausdauernd und herzlich. Wer dies Konzert nicht besuchen konnte, hat wirklich etwas sehr Wesentliches versäumt...

Von ähnlicher und doch wieder ganz anderer Vollkommenheit und Verinnerlichung war der Vortrag des vierten und intimsten Klavierkonzerts G-Dur op. 58 von Beethoven durch Claudio Arrau. Man braucht ihn nirgends in der Welt vorzustellen, und ein Blick ins Interpretenlexikon belehrt uns: Jahrgang 1901! Dem Aussehen, dem Temperament und der Geläufigkeit des Spieles nach gibt man ihm höchstens 60 Jahre. Freilich — die Reife und harmonische Serenität des Vortrags sind ein Geschenk der späten Jahre. Das Orchester der Wiener Symphoniker war dem großen Künstler ein würdiger Partner — worauf es ja gerade in diesem Konzert (Mittelsatz) so ganz besonders ankommt. So hat es auch Ferdinand Leitner aufgefaßt, der schon 1947 Operndirektor wurde, aber bei uns leider nur ein seltener Gast ist. — Am Rande: Für dieses Konzert wäre uns ein Bösendorfer Flügel lieber gewesen als der hellere und härtere Steinway. — Bereits 1963 schrieb Francis Burt, 1926 in London geboren, das Orchesterstück „Fantasmiagoria“ nach seinen Golem-Ballett Seit 20 Jahren ist der Schüler Blachers und Einems in Wien ansässig und seit 3 Jahren an der Musikhochschule als Kompositionslehrer tätig. Obwohl von Stra-winsky angeregt und, was die flexible Rhythmik betrifft, von diesem und seinen Lehrern nicht unbeeinflußt, macht seine Musik, die man als „freitonal“ bezeichnen könnte, einen eher expressionistischen Eindruck. Das knapp . .Minuten-dauernde Werk ist aus kurzen, kontrastreichen Fragmenten aus dem Golem-Ballett zusammengesetzt und wurde sehr freundlich aufgenommen. — Den 2. Teil des Konzerts bildete Straussens „Zarathustra“, mit dessen handfester Programimiusik wir uns auch heute noch recht schwer tun. Aber so lange es ambitionierte Orchester und Dirigenten gibt, wird man dieses farbenschillemde Tongemälde nachpinseln.

Sie zählt zu Brahms' ergreifendsten Werken, diese Alt-Rhapsodie (op. 53), nach Clara Schumanns Worten, „sein Brautgesang“, in dem er den Schmerz über sein Verzichtenmüssen auf die Gattin Schumanns begrub. „Spräche er doch einmal so innig mit Worten“, schrieb Clara über den gehemmten Komponisten. Doch daß er in dieses Werk, vor allem in die Soloaltstimme, alles an Zartheit und Gefühl gelegt hat, was ihn bewegte, darüber ist keinen Moment zu zweifeln. Besonders dann nicht, wenn Christa Ludwig das Werk mit solcher Delikatesse des Ausdrucks, mit soviel behutsamer Lyrik vorträgt. Unvergleichlich schön ihr Timbre, vor allem die samtige Tiefe. Beispielhaft, wie sie den Arien-Mittelteil mit einem Blühen, einer Wärme füllt, die zutiefst rührt. Und kann man sich , Kultivierteres vorstellen, als wenn Dr. Karl Böhm mit den Wiener Philharmonikern und dem präzise einstudierten Männerchor des Singervereins (Leitung: Helmuth Froschauer) für die Begleitung sorgt? Welches Wechselspiel Brahms'scher Helldunkelkontraste, welche Behutsamkeit der Farben, die Böhm bis in die gläubige Festlichkeit des strahlenden C-Dur-Finales steigert. — Breite Tempi bestimmten den Charakter der übrigen Wiedergaben: von Brahms' „Haydn-Varia-tionen“ und der „Ersten“. Dennoch eine überwältigende Farbenpracht, üppige dynamische Spannungsmomente. Daß das Publikum vor Begeisterung raste und Böhm auch nach langem Applaus nicht ziehen lassen wollte, war fast schon selbstverständlich.

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