6965140-1985_11_07.jpg
Digital In Arbeit

Trotz des IRA-Terrors: Hoffnung für Nordirland

Werbung
Werbung
Werbung

Die Polizisten und ihre zivilen Hilfskräfte hatten sich am 28. Februar wie jeden Abend in der Kantine ihrer gut geschützten Station in Newry nahe der nordirisch-irischen Grenze zum Essen versammelt. Doch die Bewachung und Befestigung ihrer Station halfen in diesem Falle nichts, der Tod kam aus der Luft:

Um 18.35 Uhr schlug eine Granate durch das Kantinendach und explodierte, eine Reihe weiterer Detonationen zerstörte die Polizei-Station. Neun Offiziere der „Royal Ulster Constabulary”

(RUC) wurden getötet, 37 weitere Personen verletzt, darunter auch 25 Zivilisten.

Die provisorische Irische Republikanische Armee (IRA) hatte wieder zugeschlagen — von einem Lastwagen aus, 200 Meter von der Station entfernt, hatte sie ihre mörderischen Geschosse gestartet. Der Zweck des Mörseranschlages war dabei offensichtlich: ein möglichst großes Blutbad anzurichten — aus Rache dafür, daß britische Spezialeinheiten Tage zuvor drei IRA-Angehörige in Strabane erschossen hatten.

Newry ist fünf Meilen von Warrenpoint entfernt, dem Schauplatz des bisher schwersten IRA-Angriffes auf die britische Armee in Nordirland. Bei diesem Anschlag am 27. August 1979 wurden 18 britische Soldaten getötet, nur wenige Stunden, nachdem die IRA Lord Mountbatten in seinem Ferien-Domizil in Mullaghmore ermordet hatte.

90 Prozent der 15.000 Einwohner von Newry sind katholisch. Die Polizei erhielt Beileidsbezeugungen von allen Seiten. Der katholische Klerus von Kardinal Tomas O'Fiach bis zum streitbaren Priester Denis Faul von Dungannon stimmten ebenso wie die katholische „Sozialdemokratische und Arbeiter-Partei” (SDLP), die „Demokratische Unionisten Partei” und offizielle Unionisten bei der Verurteüung der Greueltat überein.

Zynisch und menschenverachtend dagegen der Kommentar der

IRA, die den Angriff zugab und erklärte: „Dies war eine wichtige und gut geplante Operation, die unsere Fähigkeit aufzeigte, wo und wann immer wir wollen zuzuschlagen.”

Seit die „troubles” - wie Iren und Briten den Ulster-Konflikt etwas verharmlosend umschreiben — 1969 ausbrachen, hatte die nordirische Polizei bei keinem einzelnen Zwischenfall eine so hohe Anzahl an Todesopfern zu beklagen gehabt. Der Waffen-Typ, der bei dem Newry-An-schlag verwendet worden war, ist noch nicht ausgemacht.

Die erste Stellungnahme des irischen Premierministers Garret FitzGerald ließ nichts an Schärfe zu wünschen übrig: „Daß sich die IRA darauf konzentriert, bei ihren Anschlägen ein Maximum an Elend und Zerstörung in nationalistischen Gebieten Nordirlands zu verursachen, ist das grausamste und zynischeste Manöver auf dieser Insel seit Menschengedenken. Aber sie wird damit nicht durchkommen, weü die große Mehrheit der Iren, ob Nationalisten oder Unionisten, ob im Norden oder im Süden, diese brutale Politik verabscheut und völlig zurückweist.”

In einer Stellungnahme von Kardinal O'Fiach und Bischof Brooks von Dromore hieß es: „Wir äußern unser Entsetzen über den mörderischen Anschlag von Newry. Er zeigt die höchste Verachtung für Gottes Gebot: Du sollst nicht töten.”

Und Oppositions-Führer Charles Haughey von der Fianna Fail Partei kommentierte von New York aus: „Diese jüngste Böswilligkeit und der tragische Verlust von Menschenleben wird von allen vernünftig denkenden Menschen überall verurteüt und beklagt werden.”

Nicht weniger hart gingen offizielle britische Stellen in ihren Stellungnahmen mit dem jüngsten IRA-Terror ins Gericht. Dennoch stellte der britische Staatssekretär für Nordirlandfragen, Douglas Hurd, auch klar, daß London seine Bemühungen fortsetzen werde, eine politische Ubereinkunft mit der irischen Regierung über das Ulster-Problem zu erzielen. Hurd gab ausdrücklich seinem Wunsch Ausdruck, die „feste und gute Zusammenarbeit” mit der Regierung in Dublin fortzusetzen.

Und so groß die Befürchtungen vor einem loyalistischen Rückschlag in der protestantischen Bevölkerung Ulsters auch sein mögen: Sicher ist, daß die britischirischen Gespräche über neue politische Initiativen für Nordirland durch den jüngsten Terroran-schlag nicht berührt werden.

Neue britische Haltung

Irlands Ministerpräsident Fitz-Gerald und die britische Premierministerin Thatcher werden sich beim EG-Frühjahrsgipfel in Brüssel begegnen, und aller Voraussicht nach wird dabei der mögliche Zeitpunkt eines großen an-glo-irischen Treffens besprochen werden.

In solchen Gesprächen ist es eher unwahrscheinlich, daß Fitz-Gerald einer rein internen Ulster-Lösung zustimmen wird. Margaret Thatcher ihrerseits ist noch nicht sicher, daß sie die Zustimmung ihrer eigenen Partei dafür erhält, der Regierung in Dublin ein gewisses Mitspracherecht bei der Gestaltung der politischen Zukunft Nordirlands zuzugestehen.

In einem Kommentar zum letzten anglo-irischen Gipfel meinte der Dubliner Außenminister Peter Barry unlängst, daß bei diesem Treffen die britische Seite eine völlig neue Haltung an den Tag gelegt habe, weil sie zum ersten Mal öffentlich eingestanden hätte, daß die katholische Minderheit in Nordirland einen eigenen politischen Standpunkt habe, den es zu berücksichtigen gelte. Barry fuhr fort, daß der Minderheit in Ulster darüber hinaus das Gefühl gegeben werden müsse, daß die dortigen Sicherheitskräfte auch zu ihrem Schutze da seien.

Trotz der Ereignisse in Newry herrscht jedenfalls in Dubliner Regierungskreisen beträchtlicher Optimismus vor, daß das nächste britisch-irische Gipfeltreffen einen gewichtigen Beitrag dazu leisten könnte, eine dauerhafte Regelung für das Nordirland-Problem zu erzielen.

Vielleicht trägt zu diesem Optimismus auch die Entlastung an einer ganz anderen Front bei: Seit die irischen Parlamentarier sich Mitte Februar mit 83 gegen 80 Stimmen dafür entschieden, einer Lockerung des Verkaufs bestimmter empfängnisverhütender Mittel zuzustimmen, ist den nordirischen Protestanten ein wichtiges Argument gegen die Wiedervereinigung der Insel aus der Hand genommen.

Sie hatten ihren Widerstand bislang immer damit begründet, die Republik sei ein katholischer Kirchenstaat, in dem Sex gleichbedeutend mit Sünde sei. Da die Dubliner Regierung jetzt den Verkauf von Kondomen und Spermiziden an Bürger ab 18 Jahren gegen den heftigen Widerstand einiger kirchlicher Würdenträger durchgesetzt hat, läßt sich diese Argumentation der Ulster-Protestanten nicht mehr länger aufrechterhalten.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung