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Trotz Fehlplanungen ein Grund zum Feiern

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Die Straßenbahn in Wien gibt es eigentlich schon über hundert Jahre: bereits am 4. Oktober 1865 fand die Jungfernfahrt der Pferdebahnlinie Schottenring-Hemals statt. Diese Linie, die von einer Schweizer Firma betrieben wurde, aus der dann später die „Wiener-Tram-way-Gesellschaft“ hervorging, war ein unmittelbarer Erfolg. Das Unternehmen wuchs mit großer Geschwindigkeit: 1897 hatte das Netz bereits eine Ausdehnung von 81 Kilometer, die Gesellschaft verfügte über rund 700 Wagen und beschäftigte nahezu 4000 Menschen.

In der Zwischenzeit war ein Konkurrenzunternehmen, die „Neue Wiener Tramway Gesellschaft“ gegründet worden; 1883 nahm die Firma Krauss & Co den Betrieb mit ihrer Dampf-tramway auf. Die entscheidende technische Umwälzung kam jedoch mit der Elektrifizierung, die im Jänner 1897 auf der im wesentlichen mit der heutigen Linie 5 identischen Strecke begonnen wurde.

Sowohl die Konkurrenzsituation der Gesellschaften untereinander, wie auch der Widerstreit kommerzieller Interessen mit den Bedürfnissen der Bevölkerung als auch die hohen Kosten der Elektrifizierung führten schließlich zur Kommunalisierung der Betriebe per 1. Juli 1903 (die Firma Krauss & Co sowie eine weitere private Linie - die Kagraner-Bahn - wurde erst etwas später an die Gemeinde verkauft).

Die übernommenen Netze wurden nicht nur konsolidiert, sondern auch zügig ausgebaut: 1913 hatte das Netz eine Gesamtlänge von 241 Kilometer. Der Erste Weltkrieg bedeutete zwar einen schweren Rückschlag für die Entwicklung des kommunalen Verkehrs in Wien, doch kam es in den zwanziger Jahren zu einem neuerlichen Aufschwung: In dieser Zeit wurde auch die Stadtbahn seitens der Gemeinde vom Bund übernommen und durch die Elektrifizierung zu einem attraktiven, vom Individualver-

kehr getrennten, Verkehrsmittel ausgebaut

1928 wurden 650 Millionen Passagiere befördert und der Wagenpark erreichte rund 4000 Einheiten (zum Vergleich: 1976 wurden rund 358 Millionen Personen befördert, der Wagenpark betrug 1363 Trieb- und Beiwagen).

Der absolute Höchstwert in der Geschichte der Wiener Straßenbahn wurde jedoch im Kriegsjahr 1943 mit 732 Millionen beförderten Personen erreicht; eine Rekordmarke, die durch

den fast totalen Ausfall des Indivi-dualverkehrs bedingt war.

Das Ende des Krieges hinterließ schwerste Zerstörungen an Bahnhöfen, Gleisen und rollendem Material (zwei Drittel der Straßenbahnwagen waren zerstört), so daß erst wieder allmählich der Betrieb aufgenommen werden konnte; trotz großer Anstrengungen dauerte es immerhin bis 1954, bis das Vorkriegsnetz wieder weitgehend hergestellt war. In den fünfziger Jahren wurde jedoch nicht nur der Wagenpark allmählich modernisiert, es wurden auch eine Reihe anderer betrieblicher Verbesserungen vorgenommen. Anderseits stieg jedoch auch der Individualverkehr rasant an: gab es noch 1950 lediglich 67.000 zugelassene Pkw in Wien, so waren es 1960 bereits über 200.000 bis 1970 hat sich diese Zahl verdoppelt.

Die fünfziger Jahre sind jedoch auch der Ausgangspunkt für die bis heute andauernde Konzeptlosigkeit des Wiener Rathauses in Verkehrsfragen. Nachdem man im Rathaus lange Zeit der zunehmenden Motorisierung ta-

tenlos zugesehen hatte und hoffte (aus welchen Gründen, ist schleierhaft), es werde in Wien nicht so arg werden wie in anderen vergleichbaren Städten industrialisierter Länder, ließ man die Dinge so lange treiben, bis sich Massen- und Individualverkehr. gegenseitig derart im Wege waren, daß es in der Folge zu überstürzten Aktionen, Fehlplanungen, Fehlinvestitionen und technisch bedingten Verzögerungen kommen mußte.

Nur so ist es zu erklären, daß wesentlich größere Städte als Wien (wie etwa

London oder Paris) vergleichbar geringere Verkehrs probleme als Wien haben. Andere mit Wien vergleichbare Städte - wie München - zeigen deutlich, was unter einem vorausschauenden Verkehrskonzept zu verstehen ist.

Auf die immer wieder erhobene Forderung der ÖVP nach Ausbau des Stadtbahnnetzes sowie Prüfung der Errichtung einer U-Bahn in Wien reagierte die Rathausmehrheit bis in die frühen sechziger Jahre mit lässiger Arroganz (dabei wäre damals ein U-Bahn-Bau relativ billig und ohne allzugroße Störung des noch geringen Individualverkehrs möglich gewesen).

Die Rathausexperten wußten es besser: Der heute noch im Amt befindliche Stadtrat Kurt Heller konnte noch 1962 im Gemeinderat sagen, daß „keinesfalls die Notwendigkeit besteht, zur Bewältigung des Verkehrs am Karlsplatz die zweite Ebene heranzuziehen“. Gemeinderat Erwin Lanc - er war mittlerweile sogar Verkehrsminister - meinte ebenfalls 1962: „Nur dort soll man mit einem Ver-

kehrsmittel unter die Straße gehen, wo es unbedingt notwendig ist, wie eben unter dem Getreidemarkt.“

Doch nicht nur mangelnder Weitblick war lange Zeit für die Ablehnung einer U-Bahn verantwortlich, sondern auch die Tatsache, daß es sich dabei um eine „ÖVP-Idee“ handelte; dies führte dann auch zu Felix Slaviks legendärem Ausspruch aus dem Jahre 1968, als der im Gemeinderat feststellte: „Daß die SPÖ über ihren eigenen Schatten bezüglich der U-Bahn ge-

sprungen ist, darf sie wohl als ein Plus für sich in Anspruch nehmen.“

Spät ist sie halt gesprungen, die SPö: heute - zehn Jahre später - verfügt die Weltstadt Wien immerhin bereits über dreieinhalb Kilometer U-Bahn. Gemessen an ausländichen Bauleistungen ein groteskes Ergebnis.

Während also die U-Bahn viel zu spät begonnen wurde, machte sich auch zu „ebener Erde“ die mangelnde Entscheidung „Individualverkehr oder Massenverkehr“ schmerzlich bemerkbar. Bereits in den fünfziger Jahren begann man Straßenbahnlinien einzustellen oder auf Autobusbetrieb umzustellen; dies war ein eindeutiges Nachgeben gegenüber dem Fetisch Auto, dem das schienengebundene Verkehrsmittel im Weg war. Heute geht man interessanterweise den umgekehrten Weg, indem man durch eine Reihe von Maßnahmen (Stuttgarter Schwellen, Bodenmarkierungen, Grüne Welle, Errichtung eigener Gleiskörper) der Tram die Vorfahrt läßt und den Individualverkehr von ihr fernhält

Diese „Bewußtseinsbildung“ hat immerhin 20 Jahre gedauert, in denen dem Wiener Straßenbahnnetz ein unermeßlicher Schaden zugefügt wurde: aus einem ursprünglich sinnvollen, gewachsenen und an der Praxis erprobten Liniennetz wurde ein Torso. Eine Tatsache, die auch Rathausexperten heute zugeben. So hat die Umstellung des legendären „13ers“ auf Autobusse keine Verbesserung gebracht. Die Busse stecken im Verkehr und sind um nichts schneller als die alten Straßenbahnen, sie sind jedoch sicherlich unbequemer für die Fahrgäste und umweltbelastender.

Die Kappung zahlreicher nützlicher Durchgangslinien, wie die beliebten Linien C und L zwingen zu häufigerem Umsteigen und verlängern dadurch die Fahrtzeiten beträchtlich (nur 45 Prozent der Wiener Fahrgäste erreichen ihr Ziel direkt, 40 Prozent müssen einmal umsteigen, 13 Prozent zweimal und zwei Prozent noch öfter). International gesehen stellt dies - dies wird durch Gutachten ausländischer Experten untermauert - einen relativ schlechten „Dienst am Kunden“ dar.

Andere Beispiele für Fehlplanungen sind:

• Die „Aushungerung“ der Stadtbahn, sowohl was die Instandhaltung und Modernisierung des Bahnkörpers und der technischen Einrichtungen betrifft, also auch in bezug auf den ver-

alteten Wagenpark. (Diese Bahn dürfte wohl die einzige der Welt sein, auf der noch zweiachsige Garnituren verkehren und die - obwohl kreuzungsfrei -lediglich eine Durchschnittsgeschwindigkeit von rund 24 Stundenkilometer erreicht!)

• Der Typensalat bei der Straßenbahn ist - trotz Anstrengungen - noch immer vorhanden; die Überalterung des Wagenparks ist seit Jahren eine schwere Hypothek

• Die äußerst begrüßenswerte Aufnahme des S-Bahn-Betriebs im Jahre

1961 wurde nicht konsequent weitergeführt, die Vorortelinie liegt nach wie vor brach. Es ist typisch für die grotesken Wiener Verkehrsverhältnisse, daß sich Bund und Stadt in dieser Frage nicht einigen können. • Eine krasse Fehlplanung war auch die - als halbherzige Vor-U-Bahn-Lö-sung gedacht - Errichtung von sogenannten UStraba-Linien. Der teure Umbau auf U-Bahn-Betrieb (geplante U 2) spricht für sich. (Daß man einige Zeit lang sogar ernsthaft die Errichtung einer Alweg-Bahn erwogen hatte, sei nur als Kuriosum erwähnt.)

Keineswegs sollen in diesem Zusammenhang die positiven Akzente, die nach dem Zweiten Weltkrieg gesetzt wurden, unter den Tisch fallen, wie vor allem Rationalisierungsmaßnahmen und Personaleinsparungen (vor allem durch Umrüstung auf schaffnerlosen Betrieb), Ausrüstung mit Funkgeräten, Einführung einfacher Fahrscheine und Netzkarten, doch muß auch hier festgestellt werden, daß viele dieser Maßnahmen - international gesehen - sehr spät gesetzt wurden und dadurch vielen Wienern den Gebrauch eines Massenverkehrsmittels verleidet haben.

Also kein Grund zum Feiern?

Doch, denn immerhin wollen zumindest die Tramway-Enthu-siasten auf ihre Rechnung kommen und schließlich ist ja auch Wahljahr. Bereits anläßlich der Eröffnung der kurzen U-Bahnstrecke im März wurden massiv öffentliche Gelderfür Propaganda eingesetzt, die man sicherlich besser verwenden hätte können (etwa als Beitrag zur Sanierung der Sicherheitseinrichtungen auf der Stadtbahn). Wenn aber das Jubiläum „75 Jahre Wiener Verkehrsbetriebe“ nicht nur Anlaß zu nostalgischem Rückblick ist, sondern Anregung zur Beschäftigung mit verkehrspolitischen Problemen der Zukunft, dann soll gefeiert werden!

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