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Trotz Kritik bewegt sich die Demokratie
Spaniens Felipe Gonzalez verhandelt zur Zeit das Programm einer weiteren, von ihm präsidierten Regierung. Wie aber steht es um die demokratischen Spielregeln und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung?
Spaniens Felipe Gonzalez verhandelt zur Zeit das Programm einer weiteren, von ihm präsidierten Regierung. Wie aber steht es um die demokratischen Spielregeln und ihre Akzeptanz in der Bevölkerung?
Ob König Juan Carlos den Langzeit-Premier Gonzalez als den Chef der meistvotierten Fraktion, der sozialistischen Arbeiterpartei PSOE, für den Posten des Regierungspräsidenten vorschlagen muß, bleibt Diskussionsthema für Verfassungsjuristen. Theoretisch könnte sich der Monarch auch für einen anderen Parteichef entscheiden, der aus seiner Sicht eher für stabile Verhältnisse zu sorgen verspricht. Wie berichtet, kann dies nach den Wahlen vom 6. Juni kein anderer Spitzenkandidat von sich behaupten.
Für die Konsultation der verschiedenen Parteien durch den König sieht das spanische Grundgesetz kein Zeitlimit vor. Ab dem ersten Versuch, hinter einem potentiellen Regierungspräsidenten und dessen Programm eine parlamentarische Mehrheit zu versammeln, bleiben allerdings nur zwei Monate für die Designierung durch das Parlament. Verstreicht die Frist ungenutzt, müssen die Spanier neuerlich zu den Urnen gerufen werden.
Um dies zu vermeiden - mit all den wirtschaftlichen Konsequenzen wie Verunsicherung auf den Geldmärkten und so weiter -, ist der König gut beraten, etwaige Koalitionen oder Parteieneinigungen abzuwarten. Gemäß Artikel 99 der spanischen Verfassung von 1978 reicht für den als Regierungspräsident Vorgeschlagenen im zweiten Wahlgang - 48 Stunden nach dem gescheiterten ersten - die einfache Mehrheit. Vorausgesetzt, die anderen Kräfte blockieren das Votum nicht.
Auf den ersten Blick ein eingespieltes demokratisches Procedere. Und tatsächlich beweist die gegenüber 1989 gestiegene Wahlbeteiligung bei den jüngsten Parlamentswahlen: Die überwiegende Mehrheit der Spanier steht aktiv hinter den demokratischen Institutionen der öffentlichen Verwaltung, deren Image unter den jüngsten Korruptions- beziehungsweise Parteienfinanzierungsskandalen gelitten hat.
Dennoch sieht sich das Parlament gelegentlich dem Vorwurf der Untätigkeit, die Länderkammer gar jenem der Nutzlosigkeit ausgesetzt: Im Wissen um die für westeuropäische Verhältnisse junge Demokratie Spaniens - die ersten allgemeinen Wahlen nach vier Jahrzehnten Franco-Diktatur fanden 1977 statt - fürchten kritische Beobachter hinter der Kritik an den staatlichen Institutionen einen grundsätzlichen Vorbehalt.
Der Regierungspräsident Gonzalez selbst machte im vergangenen Wahlkampf recht erfolgreich Stimmung für sich mit dem Schreckgespenst eines angeblich wiederkehrenden Francquismus. Zumindest zur Mobilisierung enttäuschter PSOE-Sympathi-santen hat es gereicht. Tatsächlich bestimmen heute andere Kräfte die Politik der konservativen Volkspartei (PP), auf die das Schreckgespenst projeziert wurde.
Zwar hält sie nach wie vor den Langzeit-Parteichef und Ex-Minister Francos Manuel Fraga in ihren Reihen, bezeichnenderweise aber weit weg vom Schuß: Im äußersten Nordwesten der iberischen Halbinsel wirkt er als Präsident der Provinz Galicien. Erscheinungsbild und Gremien der PP prägen heute vielmehr Aufsteiger-Typen, Marke jung, dynamisch.
Die Person Fragas scheint aber dafür zu sorgen, daß die Partei trotz einer in den letzten Jahren vollzogenen Öffnung für moderate Positionen ihre angestammte Wählerklientel, auch jene mit Hang zu totalitärem Gedankengut, nicht vergrault. Aus demographischen Gründen verlieren die vom spanischen Bürgerkrieg ideologisch geprägten Wähler gegenüber jüngeren, pragmatischeren an Bedeutung. Für eine verschwindende Minderheit aktiver Francquisten gibt der Todestag Francos dennoch alljährlich Anlaß zu nostalgischen Feiern im gigantomanisch-monumentalen „Tal der Gefallenen”, das der Dik-tatornach dem Bürgerkrieg in Zwangsarbeit nahe Madrid errichten ließ. Für internationale Fotoagenturen ist der 20. November mit all seinen faschistischen Symbolen daher längst zum Pflichttermin geworden. Dem Häufchen militanter Anhänger des Generalissimo kommt aber keine wirkliche politische Bedeutung zu.
Selbst die Streitkräfte, unter dem Diktator zentraler Machtfaktor, scheinen ihre neue Identität gefunden zu haben. 1978 und 1981 hatten Militärs noch versucht, das auf Demokratie gerichtete Ruder herumzureißen. Beim zweiten gescheiterten Putschversuch erwarb sich König Juan Carlos durch sein kompromißloses Eintreten für die Verfassung großes Ansehen.
Mit seinem Beitrag zur Beendigung des Spuks binnen Stunden trat der Bourbone endgültig aus dem Schatten Francos in eine neue Ära, geprägt von einem modernen Selbstverständnis.
Zwölf Jahre danach bleibt die politische Ordnung des Landes ein Thema. Doch werden dabei nicht König oder Parlamentarismus in Frage gestellt - von Franco-Nostalgikern und Anarchisten einmal abgesehen -, sondern das Verhältnis Zentralregierung und autonome Regionen. Etwaige Reformen gehen hier wohl weiter in Richtung Dezentralisierung, braucht doch Gonzalez die Unterstützung nationalistischer Gruppierungen.
Dank der spanischen Wahlarithmetik kommen neben Basken und Katalanen auch Nationalisten anderer Staatsteile politisches Gewicht zu. Spanien - weit unter ein Prozent der Stimmen reichen nämlich - bei entsprechender Konzentration in einem bestimmten Wahlbezirk - für Parlamentssitze in den Madrider „Cortes”.
„Gezwungene” Abgeordnete?
Mitunter glänzen Abgeordnete dann eine ganze Legislaturperiode durch Abwesenheit - wie im Fall der Basken-Fraktion Herri Batasuna (HB), die den spanischen Staat ablehnt. Bis heute wird argumentiert, 1978 habe im Baskenland keine Mehrheit der Wahlberechtigten für die Annahme der Verfassung gestimmt. (Spanienweit gab es 88 Prozent bei acht Prozent Gegenstimmen.)
Eine Vereidigung als Abgeordnete lehnten diese baskischen Nationalisten daher ab oder fügten den Zusatz „aus gesetzlichem Zwang” hinzu. Die Anzahl der HB-„diputados” hat sich übrigens bei den jüngsten Wahlen gegenüber 1989 von vier auf zwei halbiert (Gesamtzahl: 350). Eine klare Niederlage für jene Politiker, die als politischer Arm der ETA gelten. Aber das ist eine andere Geschichte.
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