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Trotziges Albanien

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Die technisch sehr mäßigen Verkehrsmöglichkeiten (je zwei Flüge die Woche über Budapest beziehungsweise Belgrad) symbolisieren auch die extreme Isoliertheit des Landes, die eine fast totale Abkapselung auch in ideologischer und wirtschaftlicher Hinsicht darstellt.

Die bisher beinahe undurchbrochene Abgeschlossenheit—zumindest gegenüber dem Ostblock — weicht in letzter Zeit jedoch zusehends einem zaghaften Versuch, sich vorsichtig dem Westen zu öffnen, nachdem man sich der Dritten Welt und seit jüngster Zeit auch der Volksrepublik China gegenüber wieder aufgeschlossener gibt.

Nach wie vor als einziges kommunistisches Land im Stalinismus erstarrt, feierte Albanien unlängst den dreißigsten Todestag des Diktators mit außerordentlichem Aufwand.

Ebenso unübertroffen war Albanien in der offiziellen Abschaffung der Religion jedweder Art. Als einziger Staat der Erde hat Tirana dies sogar in der Verfassung verankert, welche übrigens auch die Aufnahme ausländischer Kredite verbietet, wie auch die Kapitulation im Kriegsfall vor dem Feinde ausschließt.

Das Land der Skipetaren, Nachfolgestaat des Illyren-Reiches, dürfte somit — vielleicht außer Nord-Korea — derzeit als das einzige kommunistisch ausgerichtete Land ohne Auslandsschulden dastehen.

Die Eigenartigkeit Albaniens fand in der Austreibung der Sowjetrussen vor 22 Jahren ihre Krönung. Die sowjetischen Berater und Militärs mußen unter Zurücklassung von drei — allerdings veralteten und konventionellen — U-Booten ihre damals vielversprechende Mittelmeerbasis über Nacht räumen. Aber auch China hat Albanien nach kurzlebiger Verbrüderung erfolgreich Paroli geboten.

Ohne Wehmut erinnert man sich der Jahre der russischen beziehungsweise chinesischen Wirtschaftshilfe, die dem Land wohl den Eintritt — aus dem Mittelalter — in das industrielle Zeitalter brachten, jedoch dem Bergbau (Buntmetallenerze) sowie der entstehende Hütten- und Ölindustrie nur eine sehr mittelmäßige, mittlerweile obsolete Technologie bescherten. Darunter leidet die Wirtschaft des gebirgigen, vormals von ausgedehnten Moorgebieten überzogenen, enorm erdbebengefährdeten Landes noch immer.

Die Reserviertheit gegenüber der UdSSR hielt Anfang 1983 nach erfolgtem Wechsel im Chefsessel in Moskau unverändert an. An- dropows Rolle betrachtet man in Tirana als lediglich vorübergehende, keineswegs als definitive Lösung auf längere Sicht. Einflußreiche Kreise dort sind der Überzeugung, daß der Nachkom me griechischer Einwanderer (Andropoulos), zumal als ehemaliger KGB-Allmächtiger, sich nie einer allgemeinen Beliebtheit bei Armee und im Staatsapparat Sowjetrußlands erfreuen werde.

Dessen Annäherungsversuche stießen vor kurzem in Tirana auf prompte Ablehnung, wobei man stets die Entschlossenheit betont, Albanien gegebenenfalls bis zum letzten Blutstropfen zu verteidigen.

Unversöhnlich ist das Verhältnis zu Jugoslawien, das erst Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs die Versuche einstellte, Albanien einzuverleiben. Die zahlenmäßig hinter dem Heimatland kaum zurückstehenden und stark benachteiligten Albaner im jugoslawischen Kosovo würden vermutlich lieber heute als morgen die Scheinliberalität der südslawischen Föderation gegen die strengen Normen des nationalistischen Albaniens eintauschen.

Bis zuletzt lief der Professorenaustausch zwischen albanischen und jugoslawischen (Kosovo) Universitäten ungestört. Ein baldiger Anschluß an das jugoslawische Bahnnetz (bei Titograd) und somit an das europäische Netzwerk wird ungeachtet der ständigen Feindseligkeiten (im „blutigen Frühling“ 1981 gab es 9 Tote in Kosovo) weiterhin herbeigesehnt.

Allerdings fordert die größte, schillernd aufgemachte albanische Tageszeitung „Zeri i Popul- lit“ den Republikstatus für Kosovo konsequent innerhalb der jugoslawischen Föderation. Sie beklagt auch oft vorwurfsvoll die düstere Arbeitslosenzahl (Jänner 1983: 82.000) der albanischen Provinz Serbiens.

Zu Griechenland besteht ein offenes, fast herzliches Verhältnis trotz dessen NATO-Zugehörig- keit und albanischer Minderheitsprobleme dortzulande.

Die Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit der BRD wird nicht mehr lange auf sich warten lassen, nachdem Tirana die stark überhöhte Forderung (4 Milliarden US-Dollar) einer angestrebten Wiedergutmachung offenbar fallen ließ. Die Staatshandelsunternehmen lassen durchblicken, man suche Wege zur Kooperation mit Westfirmen und brauche dringend modernes Know-how.

Was die Innenpolitik anbelangt, scheinen die hektischen Säuberungen der vergangenen Jahre allmählich zu einem Stillstand gekommen zu sein. Der Welt rang- ältester (seit 1944 ununterbrochen und meist unumstritten) Parteichef — nicht Staatsoberhaupt zugleich — Enver Hoxha (sprich: Hodscha) beseitigte innerhalb einiger Jahre seine Widersacher, den Verteidigungsminister Baliuku (hingerichtet we gen Landesverrats) und dann den Ministerpräsidenten Mehmet Shehu (angeblicher Selbstmord unter nie geklärten Begleitumständen) und überwand auch die Folgen der mysteriösen Landeoperation einer Kommandotruppe militanter Emigranten (1981).

Vollkommene Autarkie in der Lebensmittel- und Energieversorgung (öl, Kohle und Strom) können heutzutage wenige Länder dieser Erde aufweisen. Albanien hat beides zuwege gebracht und baut heute daneben auch kräftig seine Tourismusindustrie aus.

Die früher gefürchteten Malariasümpfe sind seit gut 30 Jahren Ackerland, die Ölförderung wurde binnen 20 Jahren verdreifacht. Albanien stellt den ganzen Maschinenpark der Ölindustrie sowie alle Ersatzteile des (importierten) Verkehrswesens selber her.

Allerdings mußte dies alles mit hohen Opfern bezahlt werden. Sämtliche Kirchen wurden geschlossen; die meisten wurden abgerissen oder umgebaut, zweckentfremdet. Die Priester verschwanden, sie wurden verbannt oder dem „Arbeitsprozeß zugeführt“.

Aus dem rückständigen Feudalstaat, dem Spielball der Großmächte, wurde in nur vier Jahrzehnten ein selbstbewußtes, selbstregiertes, selbstversorgtes, aber spartanisches Land, wo keiner Existenzsorgen, jedoch auch keiner liberale Freiheiten im westlichen Sinne hat.

Das Glück wird von oben verordnet, aber einen Anspruch hat ein jeder darauf. Dafür segelt man in niemandes Kielwasser. Selbstachtung ist das höchste Gut der Albaner.

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