6825790-1974_11_08.jpg
Digital In Arbeit

Trudeaus Wurstfabrik

Werbung
Werbung
Werbung

„Das Parlament ist eine Wurstfabrik, seitdem Trudeau und seine Bürokraten an der Macht sind“, donnerte Altministerpräsident John Diefenbaker. Die massiven Angriffe auf den liberalen Regierungschef des „Landes der schwarzen Bären“ mehren sich. Selbst der liberale Toronto-Star — Kanadas größte Zeitung — attackiert Pierre Trudeau und brandmarkt ihn als „unseren hilflosen Premierminister“, der nichts gegen den Vormarsch der Inflation unternehme, die im Vorjahr die Kaufkraft um mehr als 9 Prozent entwertet hat. Falls Trudeau in Zukunft nicht mehr Tatkraft zeige, sollte er durch jemanden ersetzt werden, der mehr Courage habe.

In Ottawa entscheiden 31 Sozialisten über das Schicksal der Regierung Trudeau. Sie haben im Parlament die Rolle des Züngleins an der Waage, da den 109 Liberalen 107 Konservative gegenüberstehen. David Lewis, der Führer der Sozialisten,, wartet auf den geeigneten Augenblick, um die Regierung zu stürzen. Schon stellt seine Partei in British Columbia und in den Prärieprovinzen Manitoba und Saskatche-wan die Regierung. Wohl gelang es Lewis seit den letzten Wahlen, viele Zugeständnisse von der Regierung Trudeau zu erhalten, doch Cliff Scotton, der smarte Wahlstratege der Sozialisten, bemerkt freimütig über die Politik seiner Partei: „Man kann nicht zu lange in einem fremden Bett schlafen und dann behaupten, man sei noch eine Jungfrau!“

Neuwahlen vor dem Sommer sind unvermeidlich, wenn David Lewis glaubt, der Zeitpunkt dafür sei für seine Partei „richtig“ — oder wenn der Druck seiner Anhänger, die den Sturz der Regierung Trudeau fordern, an Intensität gewinnt.

Mittlerweile werden Premierminister Pierre Trudeau und sein konservativer Gegenspieler Robert Stan-field als Redner in fast allen Gebieten des zweitgrößten Landes der Erde immer aktiver. Stanfleld hat wohl einen trockenen Humor und gilt als vorbildlicher Organisator, ist aber ohne Charisma. Man sagt von ihm, er sei lebhaft wie ein Totengräber bei der Nachtschicht, und so amüsant wie ein Katzenjammer am Montagmorgen. Stanfields farblose Persönlichkeit führt dazu, daß er oft von seinen Opponenten unterschätzt wird. Auch in seiner Heimatprovinz Nova Scotia wurde das erst anders, als er die Liberalen — die dort 23 Jahre an der Macht waren — aus dem Sattel gehoben hatte.

Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß die Entscheidung über die politische Zukunft Pierre Trudeaus in der Kernprovinz Ontario — in der fast 8 der 22 Millionen Kanadier leben — fallen wird. Trudeaus Triumph in seiner Heimatprovinz Quebec unterliegt keinem Zweifel; jüngst gelang es den Konservativen nur, zwei Mandate in der Belle Province zu erobern. Anderseits sind die Liberalen in keiner der fünf Provinzen westlich von Quebec — Ontario, Manitoba, Saskatchewan, Alberta und British Columbia — an der Macht. Die Tatsache, daß nun selbst die größte Zeitung Ontarios, die sonst den Liberalen nahesteht, Trudeau attackiert, ist kein gutes Omen für die Regierungspartei.

Nur drei Mandate fehlten 1972 den Konservativen, um zur stärksten Partei aufzurücken. Heute setzen die Konservativen ihre Hoffnung auf Marcel Masse, der bereits als Dreißigjähriger ein prominenter Minister der Regierung von Quebec war. Er wurde bei einem Television-Poll zum bestaussehenden Politiker von Quebec erkoren.

Marcel Masse glaubt, daß Trudeaus erfolglose Bemühungen gegen den Vormarsch der Inflation die kommenden Wahlen entscheiden werden. Trudeaus Bemerkung, daß eine Preis- und Lohnkontrolle doch nicht die Araber erfassen könne, wird als schwache Entschuldigung für mangelnde Initiative gewertet. Noch schmunzeln Kanadier über die scherzhafte Definition des Optimisten und des Pessimisten: der Pessimist glaubt, man werde Geld bald in Schubkarren transportieren müssen, der Optimist investiert sein Geld in Schubkarren...

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung