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Trümmerhaufen: Literatur

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Ein blühender Garten voll von Blumen und Fruchtbäumen - das war unsere Literatur vor der sogenannten Machtergreifung von 1933 gewesen, die ihre Schatten auch schon über Österreich warf. Aber selbst in dieser gewittrig bedrohten Zeitspanne bis 1938 zeigte Österreichs Literatur noch immer ein Wachsen und Gedeihen. Und jetzt? Alles zertreten, alles zertrampelt, alles teils von Schweinerüsseln, teils von Granaten um und um gewühlt, alles mit stinkendem Unrat überschüttet. Welch ein Bild der Verwüstung! Das Wort, als Botschaft des freien Geistes, als Verkündigung der Menschenliebe, als Zeugnis der Ehrfurcht vor dem Uner-forschlichen wurde von der Hitlermeute geschändet, mit Füßen getreten, zerpflückt und zerstückt...

Gewiß, die österreichische Literatur war vor ihrer verhängnisvollen Gleichschaltung mit dem Dritten Reich reich und lebensvoll, aber so reich und lebensvoll hätte keine Literatur irgend eines Landes sein können, um ohne Schaden den Aderlaß zu ertragen, der 1938 an ihr vorgenommen wurde. Es wurden verboten Schnitzler, Hofmannsthal, Altenberg, Karl Kraus, Wassermann, aber auch die österreichischen Bücher Hermann Bahrs, den man nur als Lustspielautor gelten ließ, und Wildgans waren unerwünscht und wurden nicht mehr verlegt. Ins Exil gejagt wurden Zweig, Werfel, Beer-Hofmann, Musil, Roth, Csokor, Tagger, Ehrenstein, Rieger, Saiten, Auernheimer, Grünewald, Kramer, Waldinger, ödön von Horvath, Walter Eidlitz, Brügel, Josef Luitpold, Oskar Jellinek, Robert Neumann. Mundtot wurden gemacht Paula Grogger, Heinrich Suso-Waldeck, Kreutz, Paula Ludwig. Keine der drei Listen erhebt Anspruch auf Vollständigkeit. Wohlgemerkt, es wird nicht behauptet, daß allen diesen Vertriebenen und Ausgeschalteten der Ruhm der Unsterblichkeit gewiß sei, aber jeder von ihnen ist eine echte Begabung, gehört zu unserer Zeit und Heimat.

Was wurde an ihre Stelle gesetzt? Ein wüster Haufen von Nichtskönnern und Lohnschreibern. Die paar Talente von früher, die sich den Usurpatoren zur Verfügung stellten, sind an den Fingern einer Hand abzuzählen, und um welchen furchtbaren Preis wurden sie geduldet. Wo war die Jugend, die nachdrängte, die neue Wege suchte, die kühn um den Ausdruck ihrer selbst und ihrer Sehnsucht kämpfte? Von ein paar den Berliner Direktiven gefälligen und gefügigen jüngeren Trabanten und Nutznießern abgesehen, gab es überhaupt keine literarische Jugend in Österreich. Das furchtbarste Verbrechen war geschehen, das man am Werden eines Volkes begehen kann: die Jugend wurde geknebelt, verdummt, in den Stall der Parteidoktrin eingesperrt. Die Literatur Österreichs mußte verdorren und verkarsten. Da hilft nur ein Neubeginnen.

Aus NEUES ÖSTERREICH, I}. Mai 1945.

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