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Türkei in der Zerreißprobe

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Der Tummelplatz leidenschaftlicher Nationalismen rund um das östliche Mittelmeer ist mit nun wiedererwachendem religiösen Fanatismus um eine Dimension des Hasses reicher geworden. Zum Gegensatz von Arabern und Israelis, Türken und Griechen, Kurden und Armeniern ist das in seiner Geschwindigkeit und Massivität so überraschende Auftreten des Islam als neuer politischer Größe gekommen.

In der Nahostfrage geht es auf einmal nicht mehr nur um den nationalen Anspruch von Juden und Palästinensern auf das gleiche Land oder um das soziale Gefälle zwischen eingewanderten Israelis und bodenständigen Arabern. Jetzt ist auf einmal allen Muslimen ein Licht aufgegangen, daß Jerusalem auch ihre Heilige Stadt, Palästina auch ihr Heiliges Land sei. So daß weit ab von jeder direkten Konfrontation mit Israel ein iranischer Schiitenführer wie Kho-meini dem Judenstaat ankündigt, daß für ihn die persischen Ölquellen für immer versiegt seien.

In der Zypernfrage ist die nur auf Ankaras Besatzungstruppen gestützte, politisch und wirtschaftlich äußerst schwache Position der Türkei durch panislamische Schützenhilfe abgesichert worden. Gerade das mächtige Saudiarabien, das nach der gesamtislamischen Führung und der Kalifenwürde für seinen König trachtet, will sich mit jenem Muslimstaat gutstellen, der bis in die zwanziger Jahre Träger dieses obersten geistlichen und politischen Amtes in der Welt des Islam gewesen war.

Das ist eine völlig neue Konstellation, nachdem stets ein Makarios bester und engster Freund der Araber gewesen war. Kein Wunder, daß sich die Türken auch in ihrem Ägäis-

Streit mit Griechenland von allen europäisch-westlichen Schiedsgerichten zurückgezogen haben und - ähnlich wie auf Zypern - nur noch direkte Verhandlungen wünschen, in denen sie sich ihrer neu gewonnenen Stärke bedienen können: Der Abhängigkeit der Griechen wie der Zyprioten vom arabischen Erdöl und Absatzmarkt.

Innenpolitisch ist die Türkei durch diese von ihren Diplomaten so klug genutzten Kräfte jedoch in eine Zerreißprobe geraten, die sie nach dem Iran zum nächsten Opfer islamischer Unrast in einem Raum prädestinieren muß, wo sie als nahezu letzter Freund und Verbündeter des Westens übriggeblieben war.

Die islamische Reaktion auf Atatürks radikale Verwestlichungspolitik war schon in den späten fünfziger Jahren unter Menderes spürbar geworden, hatte erst recht dann in der Ära von Demireis Gerechtigkeitspartei um sich gegriffen. AM Gegenkraft zu Marxismus und Kommunismus wird konservative islamische Erneuerung im rechten türkischen Lager immer größer geschrieben. Ebenso versuchen sich des Islam nun aber auch die Kurden Anatoliens zu bedienen, nachdem ihnen jedes Auftreten unter nationalen Vorzeichen verwehrt bleibt.

Die gemäßigte Mitte und Linke, wie sie etwa heute um die Regierung Ecevit geschart ist, hat dieser immer reißender werdenden Strömung lange nur mit einem sozial angereicherten Kemalismus laizistischer Grundhaltung entgegenzuwirken versucht. Heute glaubt auch sie, ohne geistlichen Beistand nicht mehr auskommen zu können.

Die türkischen Sozialisten holen sich ihren Segen von den alten Der-

wischorden oder der Schia. Die Derwische, von Atatürk aufgelöst und aufgehoben, hatten durch ihren egalitären Charakter immer schon gewaltige soziale Bedeutung. Der General als einfacher Bruder neben dem Schuhputzer, der Universitätsprofessor bei der Meditation an der Seite des Straßenkehrers. Im religiösen Untergrund haben diese Gemeinschaften überlebt, stellen heute dort, wo es keine Parteiformationen oder Gewerkschaften gibt, das eigentliche Rückgrat der türkischen Progressiven dar.

Wo konservative und revolutionäre Islamströmung, wo Sunniten und Schiiten wie in der Türkei bei Kara-man und Marasch aufeinanderstoßen, fließt jedoch das Blut in Strömen. Eine Entwicklung, die nur der ganz radikalen, kommunistischen Linken zugute kommen kann, die wie im Iran so auch in der Türkei auf der Lauer liegt. Und die jüngsten Erfahrungen mit den völlig gegensätzlichen politischen Interpretationsmöglichkeiten der islamischen Religion zeigen, daß der Islam auch gegen den Kommunismus beileibe kein solches Bollwerk ist, wie man das lange angenommen hatte.

So haben jetzt auch die USA endlich Studien und Erkundigungen über den Islam und seine neue Bedeutung in Auftrag gegeben, nachdem man in Washington in den letzten Jahren über dem Palästinakonflikt so gut wie alles andere aus den Augen verloren hatte. Und die Bilanz davon sieht eher betrüblich aus: Abgesehen von Ägypten, das fest an den Westen gebunden werden konnte, sind überall die Sowjets mit ihrer doppelten Vorhut aus Kommunisten und Linksmuslimen in der Offensive.

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