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Türkenköpfe und -kugeln im Wiener Stadtbild

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Ein Quader der alten Löbelba-stei und eine Gedenktafel am Wiener Burgtheater erinnern heute an die 1683 leidenschaftlich von den Türken umkämpfte Bastion: „Vom 8. bis zum 11. September wiesen von hier aus die tapferen Verteidiger Wiens die heftigsten und letzten Angriffe der Türken zurück."

Diese nüchterne Schrifttafel hatte beim Bau der Ringstraße ein bedeutend markanteres Zeugnis, das nach der Zweiten Türkenbelagerung Wiens entstanden war, abgelöst: einen steinernen Türkenkopf, der bei der Wiederherstellung des, im Zentrum der Kämpfe gelegenen Palais Hoyos unter dem Dachfirst angebracht worden war. Eine gewichtige türkische Kanonenkugel ergänzte damals den neuen Schmuck, der dem unmittelbar hinter der Lö-belbastei gelegenen Palais den Namen „Türkenhaus" eintrug.

Nicht nur in Wiener Berichten wird dieses Haus erwähnt, auch eine türkische Sage geht auf den „Türkenkopf" ein. Nach der os-manischen Erzähltradition soll ein mutiger ägyptischer Jüngling" als Glaubensmärtyrer dort gefal-, len sein, und sein Bildnis aus Stein sei dann an der Fassade errichtet worden.

Solche Türkenköpfe prangten an vielen bürgerlichen Häusern — meist an exponierter Stelle über dem Torbogen oder unter der Dachtraufe. Der Chronist Johann Pezzl berichtete noch Ende des 18. Jahrhunderts in Erinnerungen an die Türkenbelagerung: „... und wenn nicht noch an einigen Häusern gemalte Türkenköpfe klebten, würde man sich kaum mehr ihres ehemaligen Besuches erinnern."

Durch Umbauten und Demolierungen verschwanden diese Köpfe aus dem Antlitz der Stadt, doch auf einem der ältesten und reizvollsten Barockhäuser der Josefstadt, dem 1711 fertiggestellten Haus „Zum weißen Stern" in der

Lenaugasse, hat sich im Torbogen ein Türkenkopf mit Turban und prächtig stilisiertem Bart erhalten. Finster, fast drohend, blickt der Kopf vom Keilstein herunter.

Ein solches Aussehen bestimmte den Typus „Türkenkopf" und wurde zum charakteristischen Merkmal, das immer wieder zu den Interpretationen führte, es handle sich um eine sogenannte „Schreck- oder Abwehrgestalt".

Doch alle diese Türkenköpfe wurden in Wien erst nach 1683 gestaltet, also in jener Zeit, in der die Türken große Niederlagen und Verluste in Europa erlitten hatten und die Gefahr für Wien gebannt war. Sogar auf dem Südturm des Stephansdoms brachte man einen Türkenkopf mit einer Spottschrift an.

Anton Geusau führte in seiner „Geschichte der Haupt- und Residenzstadt Wien" an: „Besonders hatte der St. Stephansthurm eine nahmhafte Ausbesserung nöthig, denn auf diesen sind während der Belagerung über tausend Schüsse geschehen... Zum Andenken dieser Belagerung sind an mehreren Orten Kugeln eingemachet. An der Seite, woran die untere Sa-kristey stößt rechter Hand hinauf, sieht man einen Türkenkopf mit der Inschrift: .Schau du Machu-met du Hund 1683', und unweit davon an dem Kirchenpfeiler eine Kugel mit der Jahreszahl 1683."

Auf einem Kupferstich vom Stephansdom hielt 1792 der Künstler Carl Schütz minuziös — immerhin war der große Sieg über die Türken in Belgrad von 1789 in wacher Erinnerung — den Türkenkopf und die Erinnerung fest.

Türkendarstellungen prangten nicht nur auf den Fassaden von Kirchen und Wohnbauten, sondern fanden auch in der Reprä-

sentationsarchitektur Eingang. Die Halbfigur eines Osmanen am Palais Saurau-Göß in Graz ist ein ebenso bekanntes Beispiel wie die Türkengalerie auf dem Dach der 1729-1735 von Josef Emanuel Fischer von Erlach neu erbauten Winterreitschule der Hofburg — jenes Gebäudes, das 1683 als Hauptquartier des Grafen Starhemberg ein besonderes Angriffsziel der Türken gewesen war.

Zwischen einer solchen kunstvollen „Triumphgruppe" und dem Türkenkopf eines barocken Bürgerhauses scheint der Unterschied mehr in der Gestaltung als im Inhalt gelegen zu sein.

Das Motiv des Türkenkopfes hat es allerdings schon vor 1683 gegeben. Es handelte sich dabei , um farbig gefaßte Holzplastiken, die ursprünglich als Zielhäupter beim sportlichen Fechten dienten. Neben Ringstechen, Kufenschlagen und ähnlichen Wettkampfbräuchen gab es auch das sogenannte „Türkenkopf stechen"; dabei mußte der Reiter auf ein Phantom in Gestalt eines Türken stechen und hauen. Manche dieser Häupter sind als sogenannte „Brunnentürken" in ländlichen Gegenden erhalten geblieben.

Doch je länger die kriegerischen Auseinandersetzungen zurücklagen, um so mehr verschwand das Motiv als Feindbild, und das Interesse an der fremdartigen Tracht nahm zu. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurde es Mode, Gebrauchsgegenstände, wie zum Beispiel einen Schlitten oder eine Uhr, mit einem Türkenkopf zu dekorieren, oder ihn auf der Harfe des Harlekins im Tarockspiel anzubringen.

Gekürzt aus dem Buch „Die Türken vor Wien - Europa und die Entscheidung an der Donau 1683", Residenz Verlag, Salzbure 1983. Der Autor des Beitrags „Türkenkopf und Türkenkugel" schrieb zahlreiche volkskundliche Arbeiten.

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