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Tugend in Not

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Zu den „jagenden Wolken” (das heißt „scuds ” auf Deutsch) mit ihrer tödlichen Fracht, zu Raketen und Tragflügelbomben hat sich eine Friedenstaube gesellt: zerbrechliche Botin der Hoffnung im Inferno des Todes im Nahen und Mittleren Osten. Hat das zarte Geschöpf eine Überlebenschance? Das Angebot aus Bagdad ließ von Anbeginn viele Auslegungs- und auch Reaktionsmöglichkeiten zu.

Es könnte sich um ein Eingeständnis der Wirkung handeln, die der Krieg im Irak bisher erzielt hat, ein Signal: „Lange halten wir das nicht mehr aus.” So deuten es jene, die darauf mit noch mehr Bomben und auch der Landoffensive reagieren möchten, damit das Angebot rasch noch ausgeweitet und verbessert wird.

Es könnte aber auch ein ganz schlaues Manöver des trickreichen Wüstendespoten dahinterstecken, das von der Kalkulation ausgeht: Die US-geführ-te Allianz kann es sich nicht leisten, auf dieses Signal anders als mit einer wenigstens vorübergehenden Feuereinstellung zu reagieren. Dann gewinnen wir Zeit, unsere Streitmacht neu zu ordnen, Schäden zu reparieren und neue diplomatische Manöver einzuleiten. Die Wiederaufnahme des Krieges durch die Allianz fiele dann sehr schwer.

Manche vermuten aber auch einen Machtkampf in der irakischen Führung: Teile des Revolutionsrates mit, Teile schon gegen Saddam Hussein. Das ist freilich wenig wahrscheinlich bei einem Diktator, der mit Dissidenten nicht verhandelt, sondern sie zu liquidieren pflegt.

Für die Reaktionen auf das Angebot gibt es gleichfalls unterschiedliche Motive. Die einen wollen Irak auf keinen Fall mit Präsident Saddam Hussein und einer zu einem Gutteil noch intakten Militärmaschine aus dem Krieg heraussteigen lassen.

Die anderen möchten lieber einen totalen Zusammenbruch des Irak verhindern, weil die in das Machtvakuum nachstoßenden Mächte (Syrien, Iran, Türkei) gleichfalls viele Gegner haben und das prekäre Gleichgewicht der Region zerstören würden. Das alles spielt bei dem diplomatischen, politischen, militärischen und auch wirtschaftlichen Tauziehen hinter den Kulissen eine Rolle.

Leider ist es nicht so, daß man es sich als Christ leichtmachen, für „den Frieden ”sein und das ganze politische Gerangel mit Abscheu von sich weisen kann. Tugend inj>iner Welt der Sünde ist nicht ein sonnenumstrahltes Gipfelkreuz. Immer wieder gilt es, sie inmitten von Finsternis, Elend und Schmutz zu einem schwachen Leuchten zu bringen.

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