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Digital In Arbeit

Tugendbolde unter sich

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Kritisches von Journalisten über Journalisten ist immer häufiger zu hören. Diese neue Form der Medienschelte macht deutlich: In der „Journaille“ kriselt es.

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Kritisches von Journalisten über Journalisten ist immer häufiger zu hören. Diese neue Form der Medienschelte macht deutlich: In der „Journaille“ kriselt es.

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Uber den „neuen“ Journalismus oder über das Spiel mit den Emotionen diskutieren Journalisten neuerdings vom Podium herab mit interessiertem Publikum.

Der österreichische Presserat als Institution der Selbstkontrolle der schreibenden Branche muß sich zunehmend mit Äußerungen von Journalisten über Journalisten beschäftigen. Kürzlich erst mit einer Formulierung des ÖVP-

Pressedienstes, der ORF-Journalisten mit „Trüffelschweinen“ verglich.

In der gleichen Sitzung mußte sich das „kollektive Gewissen“ der Journalisten und Medienunternehmen mit Vorwürfen des Wiener ÖVP-Gemeinderates und Journalisten Jörg Mauthe auseinandersetzen, dem angesichts eines offenbar zunehmenden ethischen Defizits der Branche der Kragen geplatzt war: „Von allen Kasten unseres neuen Ständestaates ist eben jene, die sich anmaßt, Urteile über alle anderen zu fällen, nämlich die der sogenannten kritischen Journalisten, die mieseste und verdorbenste.“

Was Mauthe sonst noch in der Wochenzeitung „präsent“ zu sagen hatte, bestätigt eines: In der „Journaille“ kriselt es. Die Entwicklung der letzten Jahre fordert ihren Tribut. ^BQulev&rdisierung hieß das Zauberwort, mit dem der Konkurrenz auf einem heiß umkämpften Markt Leser abspenstig gemacht- wurden. Der Konkurrenzkampf auf einem vergleichsweise kleinen Medienmarkt kennt auch heute größtenteils nur diese Option.

Was immer als unterer Niveaustandard angesehen wurde, die Schraube ließ sich immer noch um eine Drehung weiterdrehen. Derzeit ist Kurt Falks „Die ganze Woche“ dabei, einen neuen „Standard“ zu kreieren.

Allerdings: Ohne entsprechende Journalisten lassen sich Marketingkonzepte, die auf Skandali-sierung als Mittel zur Auflagensteigerung setzen, nicht durchführen. An diesem Punkt wird ein Pferdefuß der Branche sichtbar.

Journalist kann jeder werden, der sich dazu berufen fühlt. Keine Vorbildung, keine Qualifikation sind Voraussetzung. Außerdem gibt es nahezu keinen Beruf, in dem Eigeninitiative und Ellbogentechnik so karriereträchtig sind und Ausbildung ersetzen können.

Die Aufwertung, die die Medien in den letzten Jahren — vor allem in der politischen Öffentlichkeit — erfahren haben, trägt zur Verschärfung der Situation bei. Politiker gelangen fast ausschließlich über Zeitungen und Rundfunk an die Öffentlichkeit. Sie sind tendenziell von den Journalisten abhängig. Was eine Meldung wert ist, wie sie kommentiert wird, das hängt vom Geschick des Politikers im Umgang mit den Journalisten ab.

Die vierte Gewalt im Staat wurde de facto zur ersten. Unter den politischen Journalisten hat sich die Unsitte breit gemacht, weniger für die Leser als für Politiker zu schreiben. Politiker und politisehe Entscheidungen wiederum orientieren sich an der veröffentlichten Meinung.

Mit der Macht der Medien ist das Ethos der Macher nicht entsprechend mitgewachsen, ist eine kritische These, die immer häufiger zu hören ist. Für die Kritiker ist dabei der Verweis auf bestehende Journalisten-Ehrenkodi-zes nicht stichhaltig. Der Kommunikationswissenschafter Ulrich Saxer beispielsweise hält sie für wenig sinnvoll, weil sie zu sehr auf .journalistische Tugendbolde“ abgestellt seien und mit einer Personalisierung der Ethik aufwarten, wo doch Journalisten in äußerst komplexen Organisationen ihrer Tätigkeit nachgingen.

Von der provokanten Frage „Journalistische Ethik — eine Schimäre?“ (in der Publikation ,J5thik der Kommunikation“, hg. von Hans Maier, Freiburg 1985) ausgehend, gelangt er zur Antwort, daß die Medien- und Journalismusethik keinesfalls ihrer Unvollkommenheit überlassen werden dürfe. Er fordert vermehrt Anstrengungen zur Formulierung „fundierter, differenzierter, sanktionsfähiger und sanktionierter“ Ethik.

Daß es dazu zuallererst notwendig ist, den Begriff der Objektivität als unbrauchbar über Bord zu werfen, beschreibt Louis Bosshart in dem gleichen Sammelband: „Der Begriff .Objektivität' ist, weil in der Alltagswirklichkeit kaum realisierbar, obsolet geworden“.

Kriterien wie „Sachlichkeit“, „Wahrhaftigkeit“ und „Fairness“ seien schon eher geeignet, globale Oberbegriffe für ethische Ansprüche zu bilden.

Wie sehr es notwendig ist, daß sich Journalisten um das eklatante Ethikdefizit der Branche den

Köpf zerbrechen, deutete in Österreich der Kärntner Landeshauptmann Leopold Wagner im Rahmen des Klagenfurter Publizistik-Wettbewerbes an. „Ich bin überzeugt, daß das Ansehen der Journalisten in breitesten Bevölkerungskreisen davon abhängig ist, wieweit sie in der Lage sind, Freiheit und Ethos zu bewältigen.“

In Österreich zeichnet sich vorerst der übliche Weg zur Bewältigung ab. Mit ritualisierten Diskussionen wird Dampf abgelassen. Beispielsweise läßt „Kurien-Chefredakteur Gerd Leitgeb, der in letzter Zeit nicht nur einmal Anlaß zu Unmut gab, den Wiener Vizebürgermeister Erhard Busek zum Thema „Politik und Journalismus“ Stellung nehmen.

Busek nach einer Selbstkritik der Politikerkaste: „Auf der anderen Seite haben wir Zeitungen und Medien, die selbst Politik machen wollen, anstatt über politisches Geschehen nach bestem Wissen und Gewissen zu berichten und es zu beurteilen.“

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