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Tugenden der Republik

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Die folgenden Überlegungen sindals- Beitrag zu einer politischen Tugendlehre gedacht. Sie betreffen die Theorie, aber sie leiten sich aus der Praxis her - eingedenk des frühen Vorgängers Sokrates, der sich seine Weisheit auch vom Markt holte, in Gesprächen mit den Leuten, den Bürgern. Darum stelle ich an den Anfang nicht den Versuch einer Definition, sondern eine Anekdote.

Ein junger Mann, christlich erzogen, gut gesinnt, tritt als Volontär in die Redaktion einer christdemokratischen Zeitung irgendwo im Ausland ein. Der Chefredakteur ist ein hochbegabter Mann, brillant, weitgeschätzt, ideenreich, gewiß auch in der Lage, einen ausgezeichneten Artikel über die Grundwerte zu schreiben.

Er hat nur einen Fehler: Er liebt die Große Welt, die vornehmen Hotelhallen, die glatt heranrollenden Dienstkarossen,die Kaviar-und Austernmahlzeiten, die Flugreisen erster Klasse von Kontinent zu Kontinent.

Ist das verboten? Gewiß nicht. Aber der junge Mann, der den Lebensstil des Großschreibers mit seiner Einstellung unvereinbar findet, wandert zur Linken ab, rundum und entschieden. ,

Da entscheidet nicht der Kopf, sondern das Gefühl. So entscheidet es in zahllosen Fällen. Das Beispiel ist beliebig, läßt sich ins Beliebighäufige multiplizieren. Die Tugend, um die es hier geht, heißt Unbestechlichkeit.

Man mustere unsere Diskussionen, ob dieses Wort noch vorkommt. Die Zeitungen sind voller Skandale, das ist nicht schlecht und gehört zur Demokratie. Ihre Aufdeckung ist Sache der freien Presse. Aber schlimm ist die sich verbreitende schleichende. Überzeugung, diese Skandale - und nicht ihre Aufdeckung - charakterisierten das System.

Schlimme Skandale oder kleine Gefälligkeiten - derlei bestimmt den Stil. Die eine Hand wäscht die andere, die Auguren zwinkern einander zu. Die dunklen Ehrenmänner geben sich die Klinke in die Hand. Die Geschäftemacher gewöhnen sich an Schamlosigkeit. Die Parteien decken jeweils ihre Leute-und halten dafür bei.den anderen still.

Zwar Gesellschaften sind nie tugendhaft, sie halten allerlei jus an solcherlei Mängeln und Mißständen. Was sie aber nicht überstehen, ist die Durchgängigkeit der Korruption, die Verbannung der Rechtschaffenen unter die Dummen, die Sakramentale Einsetzung des Grundwertes Geld ...

Als zweite Tugend unserer und jeder Republik, die ihren Namen verdient, nenne ich Zivilcourage. Während die Unbestechlichkeit aus dem Sprachschatz fast verschwunden ist, wurde und wird die Tugend des Mutes in öffentlichen Dingen geradezu überstrapaziert - unter Stichworten wie „Mündigkeit“, „Kritik“ und „unbequeme Meinung“ ...

Was (dennoch) herrscht, ist der Konformitätsdruck der gesellschaftlichen Gruppen, die Lagerbildung mit Sprachregelung. Auch wo heute von „Rebellen“ gesprochen wird, handelt es sich oft um den Fall des von einem witzigen Beobachter so getauften „Voraus-Opportunismus“. Der Rebell kalkuliert die Chancen für morgen, ist der Kristallisationskern einer werdenden Gruppe.

Zivilcourage hat, wer sich durch seine Meinungsäußerung Schwierigkeiten einhandelt, die nicht durch einen Zukunftsvorteil ausgeglichen werden. Das kann im Interesse einer Überzeugung geschehen - zum Beispiel der heute wenig konformitätsträchtigen christlichen -, oder es kann der Sache dienen, die man so sieht und nicht anders, trotz allgemeinen Widerspruchs.

Eine dritte Tugend muß noch in den Katalog aufgenommen werden. Ich wähle Qir sie den Namen Fairneß. Er hat gegenüber anderen, anspruchsvolleren den Vorteil, daß er sich nur auf Spielregeln bezieht. Er kommt aus dem Sport und aus dem Spiel. Dort hat er seine überzeugende Funktion.

Während das Schwindeln nach der herrschenden Vulgärmoral im Leben weiterhilft - „man darf sich nur nicht erwischen lassen“ -, entwertet es den Sport und macht das Spiel sinnlos.

Wenn das Klima sich verschlechtert hat, die Spielregeln nicht mehr unangefochten gelten, so trifft die Schuld daran - das festzustellen, gebietet gerade die Fairneß - eine kleine Gruppe von neulinken Intellektuellen, die bei den Kommunisten in die Schule gegangen sind.

Ihr Protagonist ist Günter Wallraff, ihr Prinzip die Parteilichkeit, die den Zweck das Mittel heiligen läßt, ihre Methode die Herstellung von Dokumentationen aus frisierten Statistiken, willkürlich verallgemeinerten Einzeltatsachen, düster fingerzeigenden Vergleichen, aus Vermutungen, Auslegungen und Andeutungen, die gerade noch diesseits der Straffälligkeit bleiben.

Wallraffs Verstellungskünste gelten dieser neuen Moral als legitim, das sophistische Argument verdrängt das sachliche, es wird nicht mehr nach vereinbarten Regeln gespielt, sondern Krieg geführt mit allen Tücken.

Zum Schluß muß einem Gegenargument begegnet werden, das im Gespräch über die Tugenden von der linken Seite gern ins Feld geführt wird. Tugenden seien nur nach dem jeweiligen Endzweck zu beurteilen, heißt es. So sei zum Beispiel Fleiß kein moralischer Wert in sich, sondern werde es erst durch den Einsatz für eine gute Sache.

Darauf ist zu antworten: Eine Besinnung auf Grundwerte kann nichts, darf nichts, wird nichts aus den alten Lagerbeständen unbesehen übernehmen. Sie wird jeden alten Wert zweimal umdrehen, ehe sie ihn verwirft oder bestätigt oder ihm eine neue Definition gibt.

Die Arbeit daran fängt erst an. Sie wird sich der Kardinaltugenden des Aristoteles erinnern und sich nach dem neuen Wertbewußtsein der Alternativszene umschauen. Sie wird den abgesunkenen „Fleiß“ ebenso einer Prüfung unterziehen wie das hochgepriesene „Engagement“...

Aber sie muß am Ende zu einem neuen Kanon, zu überzeugenden, verteidigungswerten, Ansprüche stellenden, aber auch innerlich befriedigenden Regeln kommen, die einer neuen Generation zum Leben und Handeln verhelfen.

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