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Tugendwächter als Stimmenfechter

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Alle Wahlen wieder: Intellektuelle und Künstler aller Gattungen treten an die Öffentlichkeit, um ihre Sympathie für Kandidaten und Parteien kundzutun. Warum?

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Alle Wahlen wieder: Intellektuelle und Künstler aller Gattungen treten an die Öffentlichkeit, um ihre Sympathie für Kandidaten und Parteien kundzutun. Warum?

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Es ist schon zur Binsenwahrheit geworden, daß jede Variante des Ausgangs der kommenden Bundespräsidentenwahl tiefe Risse in unserem Land hinterlassen wird. Jene Atmosphäre tiefgreifender Verstörung und Verunsicherung, wie sie von Neunmalklugen zur Voraussetzung längst fälliger Geschichtsbewältigung umstilisiert wird, ist wohl kaum den unter Zugzwang agierenden Parteizentralen anzulasten.

Wenn derzeit Vernunft durch Leidenschaft,- Urteilsbildung durch zum Prinzip erhobene Vor-

Verurteilung suspendiert werden, darf dieser für ein demokratisches Wesen fatale Zustand nicht zuletzt von jenen verantwortet werden, die sich seit geraumer Zeit als mentale Gesundheitswächter der Nation feiern.

Aus den Reihen derer, die sonst — vom Weltfrieden bis zur Religionsstunde — kein Register öffentlicher Stellungnahme ungeöffnet lassen, die sich bisweilen in penetranter Weise als Tugendbolde und Wahrheitshüter gerieren, haben sich wenige zu Wort gemeldet, um jenen wahnhaften Entgleisungen zu widersprechen, die wie faulige Schoten niedergeprasselt sind, um ihren krausen Widerhall in der Bevölkerung zu finden.

Wer selten eine Gelegenheit ausließ, um wertvolle künstlerische und wissenschaftliche Arbeit für die Unterzeichnung irgendeines holprigen Textes zu unterbrechen, wer fortwährend selbstaufopfernden Einsatz in Sachen Fernstenliebe demonstrierte, dem scheint nun die Sprache zu fehlen, wenn er nicht klammheimlich mit schlecht verhohlenem Triumph die Mißlichkeiten der „Gegenseite“ verfolgt.

Man steht zur Fahne und sieht keinen Anlaß, das einmal übergestreifte Mäntelchen auch nur ein wenig zu lüften.

Nicht die Krankls und Laudas unter den Parade-Österreichern der Kandidaten sind das Problem, sondern die Frieds, Ringels, Simmeis und Bornemanns: alle jene oberlehrerhaften Deuter und Mahner, die sich mit Hurra organisiert haben und nun wenig Anlaß sehen, die Logik der Stimmen-fechterei durch kritische Nuancen zu stören.

Nicht erst seit gestern hat sich ein Manichäismus des Geistes breitgemacht, der voreilig, was dem Gegner zu schaden scheint, dem Prestige des eigenen Lagers zurechnet.

Ohne die Unterschiedlichkeit an Bedrohung für den Betroffenen zu verkennen, darf auf jenen Fall des Oberleutnants Alfred Dreyfus verwiesen sein, der als Grundmodell moderner Vorverurteilung und Manipulation wie intellektueller Parteinahme gelten kann. Damals hat jener Einbruch politischer Leidenschaften seinen Anfang genommen, den Julien Benda in seiner bemerkenswerten Schrift als den „Verrat der Intellektuellen“ bezeichnet hat.

Seitdem ist in wechselnder Abfolge und bisweilen gleichzeitig postuliert worden, auf welcher Seite der Geist eigentlich zu stehen habe. Immer aber sind die Schübe von Preisgabe individuellen Urteils und organisierter Verantwortungslosigkeit mit dem Aufputschen atavistischer Masseninstinkte verbunden gewesen.

Kein Zweifel, daß hierzulande nach den ruhigen und von gemeinsamer Verpflichtung bestimmten Nachkriegszeiten, die nur selten von zweifelhaften intellektuellen „Kommandoaktionen“ geprägt waren, von den sechziger Jahren ausgehend eine ganz bestimmte Formierung des Geistes zum „Zeitgeist“ eingesetzt hat. Die Resultate jenes langen Marsches durch die Institutionen, als Drohung und Heilsversprechen verkündet, liegen heute auf dem Tisch.

Konkret: Am Beginn der Kampagne gegen Kurt Waldheim stand keineswegs die ominöse Beislrunde, sondern die Namen von Historikern - vielleicht ein Anlaß, die Freizügigkeit anzuklagen, mit der selbst der Kanzler den Berufstitel als Freibrief politischer Parteinahme schwenkt.

Die in der Abfolge von Anklage und Gegenklage entstandene Verstörung sitzt jedoch tiefer; sie ist auch die Folge massiven Um-schreibens und Fälschens österreichischer Geschichte, die von der Gleichsetzung von „Austro-Faschisten“ mit den Nazis bis zur jüngsten unverfrorenen Verzerrung der fünfziger Jahre reicht.

Unter dem Titel der Geschichtsbewältigung wird die nahe Vergangenheit unseres leidgeprüften

Landes von mittlerweile etablierten Kreisen tatsächlich vergewaltigt. Daß damit durchaus Gegenteiliges ausgelöst wird, sollte jenen schrecklich aufdämmern, die nun, wenn sie die erschreckende Zunahme antisemitischer Affekte registrieren, ahnungslos vor den Scherben der Indoktrination stehen.

Was nun? Man mag, wo nicht nach Veränderung, so doch nach Erklärung der Mißlichkeiten suchen. Was bestimmt Intellektuelle eigentlich dazu, politische Leidenschaften nicht nur selbst zu pflegen, sondern hämisch zu schüren?

Seit Entstehen der ersten „Kampfbünde“ um die Jahrhundertwende (und zurück zu den Saint-Simonisten) sind es namentlich zwei Motive, die derartigen Affekten zugrunde liegen: zum einen das Verlangen nach Aufstieg und Anerkennung, zum anderen der verzweifelte Wunsch, in unmittelbare Resultate geistigen Mühens zu greifen, Tatendrang zur Kompensation intellektueller Einsamkeit.

Wer verdenkt es den politischen Schaltstellen, daß sie triumphierend die zu schlichtem Bekenntnis geschrumpften egg-heads, aufgereiht in langen Unterstützerlisten, schwenken?

Mögen auch die Kombinationen wechseln — mag, wer vorgestern die Kreisky-G'schichten salonfähig machte, gestern die Poetenbank am „Volksstimme-Fest“ schmückte, heute etwa der grünen Tafelrunde zuprosten: es bleibt doch beim verderblichen Prinzip, dem Verharren des Organisierungswahns.

Studiert man die ^ohlfeüerr Sätzchen der intellektuellen Feinspitze, mit denen sie ihren Klubgeist absegnen, dann entsetzt die bisweilen geäußerte Erleichterung, , ja“ zur Partei sagen zu dürfen. Doch mag die eilfertige Flucht aus der Denkerklause wie der Verdienst, neben „Jazz-Gitti“ und Karl Moik strahlende Einförmigkeit zur Schau zu stellen, ein zweifelhafter Gewinn sein.

Denn die Wahlgemeinde, die manchen Kiesel mit schillernder Fassung schmückt, gefährdet Kompetenz und Glaubwürdigkeit auf ureigenstem Gebiet. Was wiegt die Stimme des Künstlers und Wissenschaftlers noch, wenn er in kritischen Zeiten so bedenkenlos delegiert?

Das Publikum hat duldsam hingenommen, daß Erich Fried im Zeichen des Sonnenkönigs dessen Kritiker Thomas Bernhard wüst attackierte. Man schmunzelt dazu, wenn sich bildende Künstler, durch hintergründiges Lagerdenken bestimmt, ineinander verbeißen. Das fällt unter jene Sorte grobianischen Umgangstones untereinander, die man Geistesmenschen leichter durchgehen läßt.

Wie lange soll man aber das Verharren in magischer Kraftprotzverehrung noch akzeptieren, jenes unheimliche Schweigen zur Gefährdung des moralischen Klimas, das—von wenigen durchbrochen - gepaart scheint mit der Arroganz von Selbstgesprächen und dem Dialog mit den eigenen Zwangsvorstellungen?

Schon von den Denkern des 17. Jahrhunderts wurde Urteilsvermögen als die Fähigkeit bezeichnet, das Falsche in sich selbst aufzuspüren. Es wäre an der Zeit, daß führende Träger des „geistigen Österreich“ sich auf diese raison d'Stre des Intellektuellen besinnen.

Der Autor dissertiert im Fach Neuere Geschichte an der Universität Wien.

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