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Turm und Kathedrale

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Der Vater wurde nicht Priester, sondern Lehrer. Der Sohn, in Göpfritz geboren, war Zögling des Knabenseminars in Oberhollabrunn und entschied sich gleichfalls für die Welt. Aber auch sein Leben gewann die Transparenz jedes wahren Dienstes. Aus einer sehr kurzen Tätigkeit im staatlichen Dienst führte ihn der Aufsatz „Parlamentsmüdigkeit“ zu Friedrich Funder und damit zur „Reichspost“, außerdem aber zu Richard Schmitz, dem Direktor des Volksbundes der Katholiken Österreichs, und als Mitarbeiter in die Zentralstelle dieses Volksbundes; von hier wurde er in den Beirat der Ravag entsendet, und im Jahre 1931 übernahm er die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung, die er nun bis zum März 1938 verwaltete. So einfach und geradlinig verläuft dieses Leben, und der erste Teil des Titels, unter dem Henz 1963 seinen Lebensbericht herausgibt — „Fügung und Widerstand“ —, ist damit leicht zur Deckung zu bringen.

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Der Vater wurde nicht Priester, sondern Lehrer. Der Sohn, in Göpfritz geboren, war Zögling des Knabenseminars in Oberhollabrunn und entschied sich gleichfalls für die Welt. Aber auch sein Leben gewann die Transparenz jedes wahren Dienstes. Aus einer sehr kurzen Tätigkeit im staatlichen Dienst führte ihn der Aufsatz „Parlamentsmüdigkeit“ zu Friedrich Funder und damit zur „Reichspost“, außerdem aber zu Richard Schmitz, dem Direktor des Volksbundes der Katholiken Österreichs, und als Mitarbeiter in die Zentralstelle dieses Volksbundes; von hier wurde er in den Beirat der Ravag entsendet, und im Jahre 1931 übernahm er die Leitung der wissenschaftlichen Abteilung, die er nun bis zum März 1938 verwaltete. So einfach und geradlinig verläuft dieses Leben, und der erste Teil des Titels, unter dem Henz 1963 seinen Lebensbericht herausgibt — „Fügung und Widerstand“ —, ist damit leicht zur Deckung zu bringen.

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Die Einladung in die von Heinrich Suso Waldeck begründete Leostube und die Mitgestaltung des Katholikentages 1932 waren Folge und Zeugnis des Dienstes auch am schöpferischen Wort gewesen. Die Dichtung war ihm in den frühen Romanen ein Weg der Bewältigung seiner Kriegs- und Jugendjahre, sie war in den Dramen — auch in „Kaiser Joseph II.“ — die Auseinandersetzung zwischen Einsicht und Wollen des Menschen und Auftrag Gottes bis zu jenern Ja, das uns das eigene Ich ertragen und vollenden hilft. Jetzt erst, in den Jahren nach 1938, nach der Amtsenthebung, wird Dichtung in einem neuen Sinn Widerstand. „Der Kurier des Kaisers“ — Türkenkrieg, die feindlich gewordenen Brüder, die Befreiung Wiens — „Der große Sturm“ — Walther von der Vogelweide als Dichter des Reichs und Sohn der Kirche, in der Bedrohung des Abendlandes — „Peter Anich, der Sternsucher“ — der still und treu ein großes Werk vollbringt — sind Parallelbilder, Deutung der eigenen Zeit.

Aber in diesen Jahren verbinden sich Dichtung und Leben auf eine noch tiefere Weise. Die zweite der „Strophen zu einem Selbstbildnis“ (1934) lautet: „Sie alle sind in mir, Sind meines Lebens Grund; Der Knabe und der Mann, die Welt, der Traum, der Tod.“ Und in dem 1958 in Nürnberg erschienenen Buch, „Österreich“, sagt Henz, wie einst Hofmannsthal in „Wir Österreicher und Deutschland“: Wer die österreichische Dichtung kennen will, muß die Vergangenheit in der Gegenwart sehen und die Gegenwart in der Vergangenheit. Dieses Erlebnis einer Fülle der Zeit in jeder Zeit ist tragende Gewißheit. Und in sie taucht tief die Tätigkeit des Retaurators Henz, der für die Innsbrucker Glasmalerei und Mosaikwerkstätte unter anderen Arbeiten auch die eine übernimmt, die zu dem Gedichtzyklus von 1944 führt: „Bei der Arbeit an den Klosterneuburger Scheiben.“ „Der Zeit entsprungen, bin ich dir verwandt“, ruft er dem alten Meister über die Jahrhunderte hin zu und endet stilecht mit der Bitte um Gebet und dem Bekenntnis: Gott zur Ehre. Vor diesen Scheiben wird ihm das Mittelalter Gestalt in der Kathedrale, die eigene Zeit im Turm von Babel, in der Verwirrung der Sprachen, in der Verblendung der Geister, in der Taubheit der Herzen. Und er selbst wird zum Baugesellen, der durch die dämonischen Reiche wandert, nach dem Vorbild und in der Form der Terzinen Dantes. Das ist das Epos „Der Turm der Welt“, 1951. Der Aufschrei zu Gott rettet ihn aus der „Unterwelt“, die nicht als Vorgeschichte, sondern im Sinn der Mysterienspiele als Vorspiel, Schau, Enthüllung zu verstehen ist. Nun folgt, den „Sintflut“-Romanen von Stefan Andres vergleichbar, der zweite Teil, „Welt“, Rhapsodie der Jahre 1938 bis 1945, bis der Baugeselle, die Fahne um den Leib geschlungen, den Turm des Doms emporsteigt. Im Brand des Doms kehrt das Gedicht ein in die Wirklichkeit des Jahres 1945. Es endet mit einem Lobgesang, der in den neuen Morgen hineinklingt.

Schon 1927 ahnen wir in der Betrachtung zum ersten Adventsonntag („Das Gericht“) dieses Werk. Es ist spürbar in der „Ballade vom Wort“ (1944), in der „österreichischen Trilogie“ (1949), 1955 in dem Hymnus „Sankt Ambrosius singt in der belagerten Kathedrale“, auch mit der frohen Gewißheit: „Was ist wirklicher denn der Lobgesang?“

Dieses durchgehaltene Grunderlebnis hindert nicht eine Vielheit von Tönen und Formen. Aber Henz ist nicht Lyriker in dem Sinn einer formalen Entwicklung, die zugleich die Zuweisung des einzelnen Gedichtes zu einer Periode seines Werkes erlaubt. Lang sind Züge des Expressionismus merklich. Die Zugehörigkeit zu diesem Zeitstil ergibt sich schon aus dem Geburtsjahr 1897; aber für Henz ist, wie seine Dissertation über Jean Paul erweist, Expressionismus vielmehr eine zeitlos mögliche Lebenshaltung. Von ihr, nicht vom Modestil her ergibt sich der Einfluß anderer Aussageweisen. Stets bleibt die Welt hinter der Welt gegenwärtig, die Bibel und das Lied der Kirche. Geschichte und Vision stehen gleichwertig nebeneinander; „Die große Altersfuge“ (Gedichte 1972) endet mit den Versen: „Hinter den Flammen von Grodek, den Todesqualen von Auschwitz, die Herrlichkeit dieses Jahrhunderts.“ Der Rilke-Ton des „Stundenbuchs“ und der „Duineser Elegien“ erscheinen gleichzeitig, aber verwandelt, im Jahre 1944; Josef Weinheber übt Einfluß besonders im knappen Vers, in der Neigung zum Zyklus im späteren Werk. Nicht Formen, sondern Reife und Tiefe der Einsicht, Größe des Ringens um das Ja zur Welt gestatten die zeitliche Zuweisung.

Aus der Dichtung, den religiösen Dramen, so der freien Unterwerfung des Paulus in der „Großen Entscheidung“ (1954), wächst die Kraft zum Durchhalten in der neu übernommenen Führung des Rundfunks und dem Ausbau von Hör- und Sehfunk, in der Leitung der Katholischen Aktion, in der Vorbereitung des Katholikentages 1952. Die späten Dramen sind ein Ja zu unserer Zeit des Ubergangs; nicht Lösung, nicht Prophetie, sondern Vertrauen auf Gott auch für alle Zukunft.

Das große Alterswerk ist „Fügung und Widerstand“: Prachtvoll im treffenden Wort, erfrischend in seiner Offenheit, ein Dokument dieses Jahrhunderts, ein Bekenntnis zu Österreich, das Zeugnis eines gläubigen, reichen Lebens.

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