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Typisch österreichisch

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Mit den Urteilen - sie standen bei Redaktionsschluß noch aus - wurde der erste WBO-Prozeß abgeschlossen: Damit sind strafrechtliche Verstöße geklärt. Eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage ist vielen hingegen nach wie vor völlig unklar.

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Mit den Urteilen - sie standen bei Redaktionsschluß noch aus - wurde der erste WBO-Prozeß abgeschlossen: Damit sind strafrechtliche Verstöße geklärt. Eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage ist vielen hingegen nach wie vor völlig unklar.

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Der WBO-Prozeß in Eisenstadt verdient nicht nur wegen seines Verhandlungsthemas besondere Aufmerksamkeit. Bei der Einvernahme des FPÖ-Abgeordneten und Rechtsanwaltes Harald Ofner wurde eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage aufgeworfen. Kein Wunder, daß sich im Wahlkampf die Bundespolitik sofort des Themas bemächtigte.

Wer allerdings glaubt, daß die bisherige Auseinandersetzung auch nur im entferntesten Klarheit geschaffen hat, irrt gewaltig. Als nämlich über den Abgeordneten Ofner, der sich als Zeuge geweigert hatte, einen Informanten zu nennen, der unabhängige Rich-

ter eine Beugestrafe verhängte, äußerte niemand geringerer als Innenminister Erwin Lanc: „Der Richter war juridisch im Recht, sein Verhalten entsprach aber nicht dem Geist der Demokratie.“

WBO-Richter Ellinger konterte, daß die Äußerung des Innenministers unsachlich und in sich selbst widersprüchlich sei: „Minister Lanc erklärte ja, daß die Beugestrafe im Rahmen der Rechtsordnung erfolgte, also kann sie nicht undemokratisch sein!“ Wie soll sich da der einfache Staatsbürger zurechtfinden, zumal dann auch noch die Richtervereinigung sowie Politiker der ÖVP und FPÖ „Partei“ ergriffen.

Die wenigen Fachleute, die sich bei dem ganzen Problem näher auskennen, führen die Auseinan dersetzung auf eine typisch österreichische Haltung zurück. Im Zuge des von Bundeskanzler Kreisky immer wieder neu entfachten „Privilegienabbaues“ wurde nämlich auch die Immunität der Abgeordneten neu geregelt. Nach Bestimmungen über die in Ausübung ihres Berufes geschehenen Abstimmungen oder gemachten mündlichen und schriftlichen Äußerungen sowie die Ergreifung auf frischer Tat lautet der entscheidende Satz in der Bundesverfassung: „Ansonsten dürfen Mitglieder des Nationalrates ohne Zustimmung des Nationalrates wegen einer strafbaren Handlung nur dann behördlich verfolgt werden, wenn diese offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit des betreffenden Abgeordneten steht.“

Für den Vorfall in Eisenstadt besonders wichtig sind die Worte „wegen einer strafbaren Handlung“. Die Frage ist nämlich, ob die Verhängung einer Beugestrafe als eine Verfolgungsmaßnahme wegen einer solchen strafbaren Handlung angesehen werden kann oder nicht. Die Rechtswissenschaft verneint dies aus zwei Gründen: rein formal, weil Beugemaßnahmen überhaupt nicht zum Komplex des „Strafrechtes“ gehören, aber auch inhaltlich, weil sie nicht der Ahndung einer strafbaren Handlung, sondern der Herbeiführung eines gesetzmäßigen Verhaltens dienen.

Den Juristen innerhalb der Parteien muß dieser Umstand ziemlich klar gewesen sein, zumal es schon während des Wahlkampfes 1979 einen ähnlichen Vorfall gab: Damals hatte der Zentralsekretär der SPÖ, Abgeordneter Fritz Marsch, behauptet, von einem Industriellen informiert worden zu sein, daß „die Industrie“ die Schwierigkeiten auf dem Arbeitsmarkt verschärfe, um der SPÖ zu schaden. Als Angeklagter wurde er zunächst nicht ausgeliefert; bei der Klage gegen unbekannte Täter weigerte er sich, als Zeuge den

Namen seines Informanten zu nennen.

Politisch wäre es durchaus richtig, die Immunität auf solche Fälle anzuwenden. Aber im Zuge des „Privilegienabbaues“ fehlt ganz offenkundig der Mut, die rechtlichen Folgerungen zu formulieren.

Die „österreichische Lösung“ kann man im Kommentar zur Geschäftsordnung des Nationalrates von Czerny-Fischer nachlesen: Dort sind auf Seite 431 ff. die Stellungnahmen des Bundesministeriums für Justiz sowie des Verfas- sungsdienstes des Bundeskanzleramtes abgedruckt. Das Bundesministerium für Justiz erkennt zwar zunächst, daß sich Zwangsund Beugemittel nicht im engeren Sinn gegen „strafbare Handlungen“ richten, versucht jedoch mit dem Argument, daß sie „von ihrer Wirkung her“ Strafen nahe kommen, über den klaren Gesetzeswortlaut hinwegzuspringen.

Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes meinte im September 1979 noch mutig: „Wegen offensichtlichen Fehlens eines Zusammenhanges mit der politischen Tätigkeit wird insbesondere für nachstehende Verfolgungshandlungen grundsätzlich keine Zustimmung des Nationalrates … erforderlich sein … die Anwendung gesetzlich vorgesehener Zwangs- und Beugemittel, soweit sie nicht im Sinne der Judi katur des Verfassungsgerichtshofes… als Verhaftung zu werten ist, und anderseits die Verhängung gesetzlich vorgesehener Ordnungs- und Mutwillensstrafen.“ )

Im November 1981 — als das Problem klarer erkannt wurde — mußte der Verfassungsdienst allerdings bekanntgeben, daß er „keineswegs der Auffassung ist, daß in allen Fällen, in denen die Anwendung von Zwangs- und Beugestrafen gegen Mandatare zur Anwendung gelangen kann, ein Zusammenhang mit seiner politischen Tätigkeit nicht angenommen werden darf. Vielmehr wäre dies von Fall zu Fall zu beurteilen“.

Politischer Eiertanz

Am Kern des Problems argumentierte der Verfassungsdienst damit vorbei, weil nämlich die Verhängung eines Beugemittels keine Sanktion für eine „strafbare Handlung“ ist, vor der die Immunitätsbestimmung unserer Bundesverfassung schützt.

Daher der „politische“ Eiertanz: An der Verfassung nichts ändern, aber durch den Verfassungsdienst und das Justizministerium empfehlen, über den Wortlaut des Gesetzes hinauszugehen. Weil halt — wie der Innenminister meint — zwischen Demokratie und Gesetzesanwendung ein Widerspruch besteht. Daß dies nur in Österreich und nicht in einem demokratischen Rechtsstaat möglich ist, fügte er allerdings nicht hinzu.

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