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U-Boote und Spione

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Kaum versucht Schweden, die Wogen zu glätten, die eine Serie von „U-Boot-Affären" in den letzten Jahren aufgewirbelt hat, und sein Verhältnis zur Sowjetunion zu entkrampfen, da sorgt eine Spionagegeschichte für eine neue Störungsfront an der nordeuropäischen Großwetterlage. Seit der hohe Beamte des norwegischen Außenministeriums und frühere Vizeminister Arne Treholt wegen Spionage für den KGB verhaftet wurde, ist die Beziehung zwischen Norwegen und der Sowjetunion so frostig wie noch nie.

Im benachbarten Stockholm versuchen derzeit die Delegierten der „Konferenz für Vertrauensbildung und Abrüstung" (KVAE) sich auf „vertrauensbildende Maßnahmen" zu einigen, die das Kriegsrisiko in Europa vermindern sollen. In Oslo demonstriert die Sowjetunion, wie man sich Vertrauen verscherzen kann. Arne Treholt muß in seinen Agentenjahren schon erstklassiges Geheimmaterial verraten haben, wenn der Sympathieverlust, den die Sowjetunion durch seine Entschleierung erlitten hat, aufgewogen und die „Treholt-Bilanz" für den KGB mit Gewinn abgeschlossen werden soll.

Norwegen reagierte heftig: Die Ausweisung von fünf sowjetischen Diplomaten wird in Oslo als „härtester Schritt einem anderen Land gegenüber in Friedenszeiten" bewertet.

Es war ein Schritt, der mit norwegischen Gepflogenheiten brach: Ungewöhnlich ist erstens, daß die UdSSR die Plätze der ausgewiesenen nicht neu besetzen darf und man die überdimensionale Sowjet-Repräsentation in Oslo schrumpfen läßtj und zweitens, daß man die fünf zwar als Reaktion auf den „Fall Treholt" auswies, diese fünf aber nicht direkt in ihn verwickelt waren: Treholt war ein so „hohes Tier", daß er seine „Führungsoffiziere" im Ausland hatte - ein Kontakt zur Botschaft in Oslo wäre zu gefährlich gewesen.

Die Ausweisung der fünf Diplomaten entspricht als „Vergeltungsaktion" somit eher britischem oder französischem Muster als dem gewöhnlich betont vorsichtigen Vorgehen skandinavischer Länder;

Schweden hingegen bemühte sich als Gastgeberland der KVAE, die Störungen in seinen Beziehungen zur Sowjetunion zu überwinden. Viel guter Wille von schwedischer Seite und wenig Handgreifliches begleiteten diesen Versuch: Schwedens Marine schwört, daß auch im letzten Jahr die Grenzverletzungen durch fremde U-Boote fortgesetzt wurden. Die Regierung hingegen begnügt sich mit der Feststellung, es sei nicht möglich gewesen, diese Ubergriffe einer bestimmten Macht zuzuschreiben.

Sie begnügt sich auch damit, daß der sowjetische Außenminister Andrej Gromyko Ministerpräsident Olof Palme versicherte, die Sowjetunion respektiere Schwedens Grenzen. Sie scheint vergessen zu haben, daß Moskau dies auch beteuerte, als Schweden glaubte, ausreichendes Material zu besitzen, um die Sowjetunion der bewußten Grenzverletzung anzuklagen.

Der CIA hätte es nicht besser arrangieren können: Kaum versuchten die Schweden mit aller Macht, endlich wieder zu normalen Beziehungen zur östlichen Großmacht zurückzukehren, da schlugen die norwegischen Fahnder zu und verhafteten den ranghöchsten KGB-Spion seit Menschengedenken. Als Ex-Vizeminister und als offenherziger und kontaktfreudiger Politiker und Beamter war Treholt ein Mann, den jeder kannte. Darum schockte seine Enthüllung weit mehr, als hätte man einen einflußreichen, aber anonym im Hintergrund agierenden Sekretär erwischt.

Noch liegen die Dimensionen des Falls Treholt im dunkeln. Ob die Öffentlichkeit je ein klares Bild bekommt, ist zweifelhaft. Heute weiß niemand genaues über Treholts Motive oder über den Schaden, den seine Maulwurf-Tätigkeit in Norwegen anrichtete.

Klar ist, daß Treholt als Staatssekretär an den norwegisch-sowjetischen Verhandlungen über die Grenzziehung im Barentmeer beteiligt war und dabei sowohl die Sowjetunion mit norwegischen Positionen versorgen, wie auch die norwegische Delegation mit sowjetischen Argumenten beeinflussen konnte. Klar ist weiter, daß Treholt schon vor dieser Zeit im Handelsministerium und anschließend bei den Vereinten Nationen, auf der Verteidigungsakademie und im Außenministerium mit vertraulichem Material zu tun hatte.

Klar ist aber auch, daß die Zahl wirklicher „Top Secref'-Angele-genheiten recht bescheiden und der Kreis, der mit ihnen in Verbindung kommt, sehr begrenzt ist.Klar ist, daß die Sicherheitspolizei Treholt schon seit vier Jahren verdächtigte und Treholt seither wohl nichts mehr in die Hände bekam, was Norwegens Sicherheit gefährden hätte können. Klar ist schließlich auch, daß in Norwegen eine an Hexenjagd erinnernde Überreaktion eingesetzt hat, die nun alles, was irgendwie mit Arne Treholt in Verbindung gebracht werden kann, als „KGB-infiziert" brandmarkt.

Sicherlich hatte Treholt im letzten Jahrzehnt einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf Norwegens Politik. Die norwegische Presse aber läßt es nun so aussehen, als stecke ein Treholt hinter jeder Entscheidung der letzten 15 Jahre. .

Ganz Nordeuropa aber bekommt durch den Fall Treholt wieder einmal die Augen geöffnet: Man steckt mitten im Ost-West-Konflikt, auch wenn man sich am liebsten aus ihm heraushielte. Nicht Norwegen an sich, aber Norwegens strategische Lage, den Murmansk-Basen vorgelagert und an der Ausfahrt in den Nordatlantik gelegen, ist für die Sowjetunion so wichtig, daß sie in Oslo das Spionspiel mit all seinen Risken zu spielen wagt.

Daß Arne Treholt zwar ein ungewöhnlich prominenter Spion, aber keineswegs ein Einzelfall war, ist Norwegens Sicherheitspolizei überzeugt: 100 „Nachrichtenoffiziere" osteuropäischer Botschaften hätten keine andere Aufgabe, als Agenten zu werben.

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