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Uber das Amt reden

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Als Reaktion auf die sogenannte Parteienverdrossenheit und den steigenden Druck der Probleme wollen manche den Bundespräsidenten als „Anwalt des Volkes“ sowie als Machtfaktor und Gegengewicht gegenüber Parlament und Regierung gestärkt sehen. Die Direktwahl durch das Volk verleihe ihm die Legitimation und „moralische Autorität“, in Fragen der Politik mitzubestimmen. Er habe auch als „Hüter der Verfassung“ aufzutreten, einerseits dort, wo diese lückenhaft sei, andererseits dann, wenn sie durch po-

litische Mechanismen außer Kraft gesetzt werde. So sollte der Bundespräsident etwa Beanstandungen des Rechnungshofes „einmahnen“.

Die Forderung nach einer umfassenden Verfassungsreform unter dem Motto „Dritte Republik“ geht davon aus, daß die Republik als Kleinstaat es sich nicht leisten könne, daß die eine politische Hälfte ständig über und ohne die andere regiere. Die Republik brauche eine Regierung der Besten und eine Zusammenarbeit der großen politischen Kräfte. Im Sinne der Personalisierung der Politik und einer längerfristigen, vorausschauenden Konzeption solle der Bundespräsident gestärkt werden, gleichzeitig aber auch die parlamentarische Kontrolle und die direkte Demokratie. So entstünden neue Gegengewichte bei Sammlung der besten Kräfte in der Konzentra-'tiö'nsregierürig.

Wenngleich solche Diskus-sionsbeiträge wiederkehren mögen, ist nicht anzunehmen, daß sie zur Verwirklichung kommen. Die Wirklichkeit der Parteien in ihrem Verhältnis zueinander bietet dafür nicht die notwendigen realpolitischen Voraussetzungen. Außerdem liegen im Text der Verfassung mehr Möglichkeiten beschlossen, als im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung

bisher verwirklicht wurden. Ändern sich die Realbedingungen, so ändern sich auch die Funktionen der Rechtsnormen und ihre politischen Folgen bis hin zur Position des Bundespräsidenten.

Gerade diese Überlegung sollte aber zur Diskussion über die Zukunft des Bundespräsidenten anregen. In sie könnten auch kleinere rechtspolitische Beiträge einbezogen werden. So wurde die Frage gestellt, ob nicht das präsidiale Entlassungsrecht beseitigt werden sollte. Die „Quadratur des Kreises zwischen Parlamentarismus

und Präsidialismus“, die als Ansatz im Bundes-Verfas-sungsgesetz liegt, wäre damit aufgelöst und der Bundespräsident von einer Befugnis befreit, von der nie Gebrauch gemacht worden ist.

Ähnliches gilt für die Beurkundung des verfassungsmäßigen Zustandekommens der Bundesgesetze. Diesbezüglich wurde vorgeschlagen, den Inhalt der Beurkundung auf die Bestätigung der Erfüllung der reinen Formerfordernisse zu beschränken.

Die Wahlpflicht bei der Bundespräsidentenwahl wurde zwar anders geregelt, es stellt sich aber die Frage, ob sie überhaupt sinnvoll ist, ganz abgesehen davon, daß es bei Verletzung dieser Pflicht erfahrungsgemäß nicht zu Sanktionen kommt. Die Stellvertretung des Bundespräsidenten in bestimmten Fällen steht nach wie vor dem Bundeskanzler zu. „Im Hinblick auf die Polarität des Amtes des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers ... stellt diese Regelung nicht nur eine Systemwidrigkeit dar; das Amt des Bundespräsidenten wird für die Dauer dieser Vertretung seinem Sinn nach praktisch aufgehoben.“ Die Stellvertretung des Bundespräsidenten durch den Bundeskanzler wäre zu beseitigen.

Aus: „Das österreichische Staatsoberhaupt“, Verlag für Geschichte und Politik, Wien 1986 (FURCHE 15/1986).

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