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Uber die Kunstgeschichte hinaus

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Immer mehr Freizeit, mehr kulturelle Interessen - davon profitieren die Veranstalter von „Bildungsreisen”: im Kommen sind „ Wanderstudienreisen ”, „Fotostudienreisen” oder „Studienkreuzfahrten ”.

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Immer mehr Freizeit, mehr kulturelle Interessen - davon profitieren die Veranstalter von „Bildungsreisen”: im Kommen sind „ Wanderstudienreisen ”, „Fotostudienreisen” oder „Studienkreuzfahrten ”.

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Träumen Sie von der Zigeunerwallfahrt in Saintes-Maries-de-la-Mer, interessieren Sie sich für die hethitischen Funde im Archäologischen Museum von Ankara, möchten Sie in den Chianti-Bergen wandern und toskanische Küche und Keller an ihren Ursprüngen kennenlernen? Selbstverständlich können Sie auf eigene Faust diese Reise zu Ihrem Wunschziel organisieren. Oder aber gemeinsam mit Gleichgesinnten an einer einschlägigen „Bildungsreise” teilnehmen.

„Bildung” beschreibt das Brock-haus-Lexikon(1984) als „Vorgang und Ergebnis einer geistigen Formung des Menschen, in der er als instinktmäßig nicht festgelegtes Wesen in Auseinandersetzung mit der Welt, besonders mit den Gehalten der Kultur, zur vollen Verwirk-lichung seines Menschseins, zur Humanität, gelangt.” Diese Bildung kann nie endgültig abgeschlossen sein und das instinktive Bedürfnis sie - mit jeweils persönlichen Schwerpunkten - zu erweitern, steht wohl bewußt oder unbewußt dahinter, wenn man sich zu einer Bildungs-/Kultur-/Studienreise entschließt.

Schon berühmte Bildungsreisende des 18. und 19. Jahrhunderts, Goethe, Ferdinand Gregorovius, Heinrich Heine - haben in ihren feuilletonistischen Darstellungen aber nicht nur poetisch-gefühlvoll den Geist des antiken Italien oder Griechenland beschworen, sondern auch höchst eindringlich Land und Leute, das Leben in den Straßen, in den Gasthöfen, die Gespräche mit Einheimischen dargestellt.

Sie waren damals als Einzelreisende in Kutschen oder Postwagen unterwegs, ab der Mitte des 19. Jahrhunderts auch mit Eisenbahnen. Mit Beginn des Eisenbahnzeitalters entstanden auch die ersten

Reisebüros: Thomas Cook & Sons (1845 Leicester), Rominger (1842 Stuttgart), American Express (1881 New York).

Hat der Einzelreisende die Möglichkeit, Reiseroute und Dauer des Aufenthaltes jederzeit beliebig abzuändern, spricht vor allem bei Fernreisen viel für die Wahl einer organisierten Gruppenreise mit sprachkundigem Reiseleiter, und fixgebuchtem Rundfahrtprogramm, Hotelzimmer und Flugarrangement.

Der Reiseleiter bringt's

Über viele Jahrzehnte war das Programmangebot von Bildungsreisen entsprechend dem humanistischen Bildungsideal vor allem den kunstgeschichtlich und historisch-archäologisch bedeutenden Stätten gewidmet. Erst seit etwa zehn Jahren zeichnen sich neue Trends und veränderte Akzente ab. Nach Auskunft von Reiseunternehmern haben sich die Interessen der Teilnehmer in Richtung Landesund Naturkunde erweitert, Fragen nach dem Gehalt eines Lehrers in der Türkei oder nach der Pflanzen-und Tierwelt in Andalusien sind an der Tagesordnung, und wollen vom Reiseleiter beantwortet sein. So hat der deutsche Reiseunternehmer „Studiosus” beispielsweise regelmäßige Kontakte zu deutschen Entwicklungshelfern, die den für Dritte-Welt-Länder zuständigen Reiseleitern Informationen aus ihrer Sicht vermitteln, die diese dann den nicht nur devisen- sondern auch problemebringenden Touristen weitergeben.

Überhaupt scheint nach Auskunft der Reisefachleute die Qualität der Reiseleiter in steigendem Maß von Bedeutung und sie ist in den letzten Jahrzehnten erfreulicherweise auch tatsächlich gestiegen. Gerade Bildungsreisende erwarten nicht nur beste organisatorische Betreuung während des nicht billigen Unternehmens, sondern überraschen die sich aus Absolventen der Kunstgeschichte, Geschichte, Archäologie, Völkerkunde rekrutierenden Rei-. seleiter oft mit ungewöhnlichen Fragen. Daher sind regelmäßige Seminare zur Fortbildung der Reiseleiter in außerhalb ihrer Studienbereiche liegenden Gebieten, der Botanik oder Geologie etwa, selbstverständlich.

Bei „Studi#sus” werden die Reiseleiter vom Unternehmen selbst in einem einwöchigen Lehrgang geschult. Für die gruppendynamischen Prozesse, die während einer gemeinsamen Reise von Menschen mit höchst unterschiedlichen Bedürfnissen und Motiven in Gang kommen, ist auch eine psychologische Schulung hilfreich. Wie sehr der Erfolg einer Bildungsreise und die Zufriedenheit der Teilnehmer von der Geschicklichkeit und Erfahrung des Reiseleiters abhängt, bestätigen alle Reiseveranstalter. Die Berücksichtigung von Sonderwünschen und die Aufmerksamkeit für Sehenswürdigkeiten abseits des Bekannten (von der Volkskunst bis zum alten Handwerk, von alten Siedlungsformen bis zu aktuellen Kunstströmungen) hängen stark von seinem Einsatz ab. Für Bildungsreisen ideal ist die Teilnehmerzahl von 15 oder 16 Personen, praktisch ist sie meist mit 25, maximal 30 Personen begrenzt. Aus dieser Tatsache lassen sich die deutlich höheren Preise als bei normalen Gruppenreisen erklären. Immer mehr jüngere Menschen nehmen an Bildungsreisen teil. Erfahrungsgemäß (es gibt kein statistisches Material darüber) reisen mehr Frauen als Männer in Bildung und Kultur.

Außer der Qualität des Reiseleiters ist die Ausgefeiltheit und die Einhaltung des Besichtigungsprogramms und das Gleichgewicht zwischen Ruhepausen und Besichtigungenentscheidend. Die Abstimmung der einzelnen Routen untereinander garantiert dem Unternehmen, daß zufriedene Teilnehmer auch eine nächste Reise dort buchen, ohne mit Programmüberschneidungen rechnen zu müssen.

Ein neuer Trend geht gerade bei den Bildungsreisen in Richtung „sanfter Tourismus”: Der verantwortungsbewußte Umgang mit der Umwelt und die Respektierung der Lebensgewohnheiten von Eingeborenen sollen den Reisenden bewußt werden.

„Sanfte Touristen”

In diesen Trend gehören auch die „Wanderstudienreisen”, bei denen zwischen den Besichtigungen kul-, tureller Sehenswürdigkeiten kürzere oder längere Wanderungen unternommen werden, und dies nicht nur innerhalb Europas, sondern auch in Nepal, Hawai oder Indonesien. Auf eigenen Beinen eine Landschaft erwandern und kennenlernen, läßt auch die kulturellen Eindrücke nachhaltiger wirken.

„Studienkreuzfahrten” kombinieren den Wunsch nach Bequemlichkeit und größtmöglichem Komfort am Schiff mit dem Bildungserlebnis, „Fotostudienreisen” mit fotokundigen Reiseleitern sind ein Angebot für Fotoneulinge und versierte Hobbyfotografen.

Golfkrieg und Flugangst haben heuer Länder wie Spanien, Portugal, Italien, aber auch Irland als Reiseziele in den Vordergrund gerückt, bei den Fernzielen sind es Mexiko, China, Australien und Neuseeland.

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