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Uber Frieden sprechen

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Nach einem Jahr der Freiheit melden sich die Weihnachten, die Feiertage des Friedens, der Liebe, der Hoffnung.

Können wir über den Frieden sprechen?

Bestimmt war dieses Jahr alles, nur nicht friedlich. Es gab ja Wahlen, sogar zweimal, die Parlamentsund die Kommunalwahlen. Sie mußten Konfrontationen bringen: gegen die alten Strukturen und auch innerhalb der sich neu formierenden demokratischen Bewegungen. Nach der Einigkeit in der Bekämpfung der Totalität entfaltete sich allmählich ein breiter Fächer pluralistischer Strömungen. Sie sind noch nicht differenziert, nicht klar definiert, sie suchen eine verständliche Artikulationsform, daher kommt es noch zu oft zu Mißverständnissen.

Die Menschen haben verlernt zu reden, ihre eigenen Meinungen zu formulieren, logisch zu argumentieren. Das Fehlen der Diskussionsfähigkeit wird durch Lautstärke kompensiert und durch Emotionen ersetzt. Die Angst, allein die Verantwortung für eine Meinung tragen zu müssen, führt zu Massenauftritten, wo man sich geborgen und sicher fühlt.

Man glaubt sich von der älteren und besonders von der jüngeren Geschichte betrogen, man ist mißtrauisch gegenüber allen Versprechungen - es waren j a so viele - man will die Lösung jetzt und gleich, man ist ungeduldig und unduldsam, zanksüchtig und aggressiv.

Für den Außenstehenden ist diese Art des Handelns unbegreiflich. Man stelle sich aber einen Schauspieler vor, dem jahrelang aufzutreten untersagt war. Jetzt tritt er aus dem Halbdunkel der Kulissen ins grelle Lampenlicht hervor. Er ist total verwirrt, hat seine erlernte Rolle vergessen, irrt herum und stottert.

Können wir über die Liebe sprechen?

Jahrelang wurden wir zum Haß erzogen. Es wurden fortwährend neue Feindbilder vorgetäuscht. Nicht nur nach außen, auch in den eigenen Reihen, in der Gemeinde, auf dem Arbeitsplatz, ja in der eigenen Familie. Man vertraute niemandem, man sprach, was man nicht glaubte, man tat, was man nicht wollte, man verstellte sich fortwährend.

Man verkroch sich in die Isolierung oder man wurde in sie hineingetrieben. Die menschlichen Kontakte wurden verflacht, durch Lüge deformiert, kalt und frostig. Mitleid, Barmherzigkeit, Liebe galten als Zeichen der Schwäche.

Der Protektionismus führte zu Neid auf einer Seite und zu Stolz und Überheblichkeit auf der anderen Seite. Die Gleichmacherei schwieg die Initiative tot. Der Arbeitselan und die Arbeitsmoral sind verschwunden. Die amtlich geregelte Wohltätigkeit brachte nur Gleichgültigkeit gegenüber den Nöten des Nächsten und der Welt.

Können wir über die Hoffnung sprechen?

Die Euphorie hat sich gelegt, es kam zur Ernüchterung. Das Ausmaß des moralischen und wirtschaftlichen Schadens der Vergangenheit ist größer als angenommen. In den Trümmern kann man sich nur schwerstens orientieren, es fehlt die Übersicht, das klare Ziel. Man tritt auf der Stelle, man verspürt keine Änderung, wenn, dann nur zum Schlimmeren. Es kommt zu Engpässen, zur Teuerung, zur Verunsicherung auf den Arbeitsplätzen. Es mangelt an Persönlichkeiten, die charismatisch nach vorne, in die Zukunft zu zeigen wüßten.

Darum Apathie, Kleinmut, Jammern, Schimpfen, ja Verzweiflung.

Aber trotz dem Unfrieden, der Lieblosigkeit und der Hoffnungslosigkeit, gibt es im Nebel, in der Dämmerung doch einige Schimmer des Ausweges.

Die Tumulte der Wahlkampagne haben sich gelegt, die Vergangenheitsbewältigung schreitet voran, die in den Hungerstreik getretenen haben sich sattgegessen, die Nationalitätenfrage hat sich entschärft und die Kompetenzenfragen sind wieder in den Hintergrund geraten. Die Situation ist doch friedlicher geworden. Bestimmt sind nicht alle Probleme gelöst und auch die alten können wieder aufflackern, aber man kann doch eine Rationalisierung des Zuganges an die Probleme beobachten.

Zur Liebe aufrufen sollte ein tägliches Bedürfnis werden, bei den Journalisten angefangen bis zu Männern der Politik und der Kirche. Es genügt nicht mehr, passiv abzuwarten und keine resolute Haltung für ein positives Auftreten zu wagen. Es sollte ein Dialog gesucht werden, ein Dialog auf jeder Ebene, der zur Verständigung, zur Versöhnung führt, in der Nation und zwischen den Nationalitäten.

Man vergißt auf die verwandelnde Kraft des Christentums und auf die Lösungen, die es anbietet. Die Hoffnung auf eine raschere Genesung von dem moralischen Übel und von der Wirtschaftskrise ist in den Tugenden der Gerechtigkeit, der Verantwortung, der Demut, des Vergebens und des Zuhörens.

Die Weihnachten 1990 bergen in sich den Frieden, die Liebe und die Hoffnung, wir sind in diesem Jahr näher an sie herangekommen. Aber der Weg ist weit.

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