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Uber Mozart will jeder mitreden ..

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Neun Tage Mozart - reines Glück, immer neue Entdeckungen: Das Köchelverzeichnis enthält 626 Werke; mit Programmnot ist nicht zu rechnen (was sollen da die Bayreuther Festspiele sagen!). Die „Zeitgenossen Mozarts“ waren in den kleinen „Tanzmeistersaal“ verbannt; warum eigentlich? So schlecht sind sie nicht, und Mozart hat von vielen gelernt und viele aufrichtig geschätzt. Als Beispiel einer Mozart-Rezeption des 19. Jahrhunderts gab es nur, von Rudolf Buchbinder in die Tasten gedonnert, die Liszt-Paraphrase von zwei „Figa-ro“-Themen, und die ist durchaus kein „Verbrechen an Mozart“, sondern ein sehr interessantes, spannungsreiches Dokument, das man sich freilich schattierter, lockerer, spielerischer hätte vorstellen können. Und schließlich: denkt hier noch jemand an die Neue Musik, die einstmals ein Programmpunkt war, so sie in Beziehung zu Mozart stand?

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Neun Tage Mozart - reines Glück, immer neue Entdeckungen: Das Köchelverzeichnis enthält 626 Werke; mit Programmnot ist nicht zu rechnen (was sollen da die Bayreuther Festspiele sagen!). Die „Zeitgenossen Mozarts“ waren in den kleinen „Tanzmeistersaal“ verbannt; warum eigentlich? So schlecht sind sie nicht, und Mozart hat von vielen gelernt und viele aufrichtig geschätzt. Als Beispiel einer Mozart-Rezeption des 19. Jahrhunderts gab es nur, von Rudolf Buchbinder in die Tasten gedonnert, die Liszt-Paraphrase von zwei „Figa-ro“-Themen, und die ist durchaus kein „Verbrechen an Mozart“, sondern ein sehr interessantes, spannungsreiches Dokument, das man sich freilich schattierter, lockerer, spielerischer hätte vorstellen können. Und schließlich: denkt hier noch jemand an die Neue Musik, die einstmals ein Programmpunkt war, so sie in Beziehung zu Mozart stand?

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Das Publikum will sie nicht? Da kenn' ich manche Passagen über ein Publikum der Zeit Mozarts, das diesen nicht wollte. Der Trend in der Neuen Musik - die Abkehr vom Esoterischen - käme einer Erweckung des seit Jahren begrabenen Vorhabens entgegen. 1980 gilt es die Hunderljahrfeier der Internationalen Stiftung Mozarteum; die Gelegenheit, aufs Neue ein Zeichen zu setzen, wäre günstig. Zur großzügigen Planung, ein Auftragswerk betreffend (veröffentlicht ist darüber nichts), wäre es heute schon zu spät. Hat man einmal - und vielleicht nicht nur einmal - bei Hans Werner Henze angefragt, der von 1962 bis 1967 eine Meisterklasse für Komposition am Mozarteum leitete? Henze ist ein Mozart-Verehrer, einer der größten; er notierte diesen „Gedanken an Mozart“: „Kann man das Unbegreifliche mit Worten berühren? Muß nicht alles Reden verstummen vor diesem höchsten und erhabenen Klang, der ein Etwas hat, das sich in dem Maße verflüchtigt und zurückzieht, wie man glaubt, sich ihm zu nähern?“

In der Einleitung zu Wolfgang Hildesheimers vieldiskutiertem „Mo-zart“-Buch findet sich ein leitmotivisch das auf fast 400 Seiten Folgende durchziehender Satz aus verwandtem Geist: „An diesem Werk ist alles von sublimer Fremdheit, alles unheimlich und, objektiv gesehen, alles wesentlich.“ Gegen diese These ist eingewandt worden, daß sie den Geniekult stütze und den Schaffensvorgang mit einer Aura des Magischen umgebe; unter diesem Aspekt des „ewigen Rätsels Mozart“ freilich würde die (wie auch immer) sachgerechte Mozart-Interpretation ein ewiges Rätsel bleiben, wären der Willkür Tor und Tür geöffnet, wäre eine akademisch grundierte, von einem „Stil- und Interpretationswettbewerb“ für Gesang und Violine eingeleitete Mozartwoche ein scheinhaftes Unterfangen. Dagegen stünde allerdings die Erwägung, daß das Buch des Literaten Hildesheimer doch wohl nur deshalb auch von Musikhistorikern ernst genommen wird, weil es den Heiligenschein um Mozart abtragen hilft und einer wie immer gearteten „Mozart-Wahrheit“ dient.

Das Erfassen des „richtigen“, des wahren Mozart ist in der Praxis untrennbar von einem richtigen Erfassen dessen, was Mozart geschrieben hat; das lehrten Wettbewerb und Mozartwoche mit gleichem Nachdruck. Eine stilistisch überzeugende Interpretation ist erst möglich, wenn einige technische und psychologische Grund-Voraussetzungen erfüllt sind, und daran fehlt es in der allzu pluralistischen, unter dem Diktat des Managements und der Medien stehenden Konzert- und Opernpraxis häufig. Das „Unbegreifliche“ an Mozart,ist ein Synonym dafür, daß man nie damit zu Ende kommt (und kommen sollte), ihn zu studieren; und die Kategorie der „Fremdheit“ scheint mir durchaus brauchbar zu sein für die alljährlich in Salzburg stimulierte Auseinandersetzung mit Mozart: Fremdheit, die nicht geheimnisvolle Ferne, sondern eine zur wirklichen Erfahrung notwendige Distanz meint Einem Werk wie dem Geistlichen Singspiel „Die Schuldigkeit des Ersten Gebots“, KV 35, einer Arbeit des eben Elfjährigen (er schrieb von drei Teilen nur den ersten, und nur dieser ist überliefert), kann man auf zweierlei Art begegnen. Man kann herzwärmend darüber staunen, was der Knabe schon alles konnte und wie selbständig er sich zeigte, und man kann die fremden, weil bislang wenig gekannten Züge in das Mozart-Bild hineinnehmen und künftig mitschwingen lassen.

Die Musik zu diesem Singspiel, das formal noch dem Schultheater verpflichtet, also rückorientiert ist, folgt den Grundsätzen der bis ins 18. Jahrhundert hinein lebendigen Affektenlehre. Das heißt: dem lauen Christenmenschen, der weder kalt noch warm ist (wie es in der Offenbarung des Johannes heißt), wird zunächst einmal orchestral Rechenschaft abgefordert; ihm werden peinvolles Sterben und die Schrecken der Hölle vorgestellt, er wird mittels Altposaune daran gemahnt, daß er mitten im Leben vom Tod umfangen sei. Die Affektsprache, das klangmalerische Vorzeichen aller möglichen Schrecklichkeiten, folgte einer rigorosen Wirkungsästhetik. Mozart, von dem Schopenhauer später sagte, er sei „kein malender Komponist“, spielte auf dieser Klaviatur virtuos (wenn der Ausdruck bei einem Knaben erlaubt ist); und zwar im Sinne des Operndramatischen, als habe er Monteverdi gekannt. Und er stattete die vokale Repräsentanz himmlischer Tugenden - Gerechtigkeit und Barmherzigkeit - und die wechselseitig den bangen Christen führenden und verführenden Einflü-sterer, „Christengeist“ und „Weltgeist“, mit artistischen Schwierigkeiten in Fülle aus: Koloraturen, Trillern, schwer zu treffenden Intervallen, barock ausladender Wiederholungspraxis.

Aber eine Margaret Price muß kommen, um vorzuführen, wie man einen Triller einbindet in die Phrasie-rung, als wäre er - aufs Ganze gesehen ein bloßes Vibrato und damit etwas sehr Edles, von jeder Gesangsstimme zu jeder Zeit Erstrebtes. Die Price im Part der Barmherzigkeit dominiert die anderen Stimmen (Edith Mathis, Li-lian Sukis, Claes H. Ahnsjö, Norbert Orth, sehr unterschiedlich in den Mitteln und im Können) nahezu unbarmherzig; Wolfgang Sawallisch hat die Aufführung mit dem Mozarteum-Orchester mit optimaler Feinarbeit vorbereitet und zeichnerisch durchgestaltet. Peter Schreier setzte ähnlich wie Frau Price einen Maßstab vokaler Mozart-Interpretation - mit einem unvergleichlichen Liederabend, über den man ins Schwärmen geraten könnte. Ein denkender Sänger, der die Kunst beherrscht, einfach zu sein!

Im vorangegangenen Wettbewerb wäre nicht nur den 29 Gesangs-Kandidaten aus 13 Ländern, sondern auch der Jury eine Begegnung mit Schreiers Liedgesang - auf der hier erreichten Stufe! - zu wünschen gewesen. Unverständlich bleiben sowohl positive als auch negative Entscheidungen. Ein erster Preis für Sänger wurde nur bei den Herren vergeben: an den Tenor James Wagner aus den USA, einen Farbigen. Mag sein, daß die Jury damit demonstrativ bekunden wollte, Mozart sei „Weltmusik“, doch ihr konnte kaum entgangen sein, daß der gewinnende, auch wohl ausdrucksstarke Sänger sein fülliges Material nur bedingt für Mozart zu gebrauchen weiß. Tenöre übrigens waren alle männlichen Preisträger; allein das Faktum läßt aufhorchen. Bei den Sängerinnen wurde der erste Preis nicht vergeben, bei den Sängern blieb der zweite offen. Nun sind Wettbewerbs-Ergebnisse selten eindeutig; der gleichsam sportliche Ruhm deutet keinesfalls immer auf „Karriere“. Die Fülle offener Fragen geht auf das Konto des - allerdings praktikablen - Bewertungssystems und damit letzten Endes der Tatsache, daß solche Wettbewerbe überhaupt stattfinden. Die Punkte-Bewertung trennt Qualitäten wie Podiumreife (ein sehr schillernder Begriff), Stil, Ausdruck, Technik, Musikalität und gewinnt aus der Summe die Beurteilung. In Wahrheit sind solche Fähigkeiten aber nicht einfach zu addieren, teilweise Sogar eine durch die andere bedingt. Der Rang junger Sängerinnen und Sänger kann sich meines Erachtens nur abzeichnen in der Arbeit mit Lehrern, Dirigenten, Regisseuren, die selber genaue Mozart-Kenntnis haben. Sie sind rar.

Uber Mozart glaubt jeder mitsprechen zu können: das hindert daran, auf das Sprechende in Mozarts Musik zu hören. Für dieses Sprachnahe, Dialogische hat der 16jährige Österreicher Thomas Zehetmair, Gewinner im Violin-Wettbewerb, einen ausgeprägten Sinn; auf seine herausragende Begabung wird zu achten sein. Keinesfalls einsichtig wurde, warum er im Preisträger-Konzert ein Stück spielen mußte, das in der überlieferten Form gewiß nicht von Mozart ist, sondern eher Züge des 19. Jahrhunderts aufweist: D-Dur, KV 271a. An instrumentalen Ereignissen gilt es - resümierend drei zu nennen: das Auftreten des aus Boston stammenden Klavierduo-Brüderpaares Anthony und Joseph Para-tore (es gewann 1954 den ersten Preis im Münchner Internationalen Musikwettbewerb der Rundfunkanstalten in der BRD - manchmal haben Wettbewerbe sozusagen doch recht) in einem Philharmoniker-Konzert unter Christoph von Dohnänyi, Andre Previn als Dirigent und Solist eines weiteren Konzerts der Wiener Philharmoniker (das zeitlich erste hatte Leopold Hager geleitet) und - abermals - die Academy of St. Martin-in-the-Fields unter Ne-ville Marriner, das für Mozart wohl weitbeste Kammerorchester, dem sich ein gleich bewunderswerter Flötist, William Bennett, zugestellt hatte.

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